Politik
"Es ist so. Uns
bleibt im Prinzip nichts anderes übrig, als zu
zahlen", so die allgemeine Stimmung in Deutschlands
Apotheken. Am 1. Juli hat der Gesetzgeber die Zuzahlung
auf Medikamente erneut erhöht. Seitdem sind je nach
Packungsgröße neun, elf beziehungsweise dreizehn DM pro
Medikament fällig.
Resignation macht sich unter deutschen
GKV-Versicherten breit. Aggressive Reaktionen in der
Offizin sind eher die Ausnahme. Nach Ergebnissen einer
nichtrepräsentativen Umfrage der Pharmazeutischen
Zeitung bei Apothekerinnen und Apothekern fügen sich die
Kunden meist in ihr Schicksal. Vor allem die ältere
Generation überraschten die höheren Zuzahlungen kaum.
Hinweise in Schaufenstern, persönliche Ansprache durch
den Apotheker oder Arzt, Handzettel, aber auch eine
intensive Berichterstattung in den Medien informierte vor
allem regelmäßige Apothekengänger rechtzeitig.
"Nur die, die gerade mal zufällig ein Medikament
verschrieben bekommen haben, regen sich mitunter
furchtbar auf", so der stellvertretende Leiter einer
Apotheke im Taunus. Oft würden Patienten die Frage
stellen, was das Medikament ohne Rezept koste. Noch seien
einige Kunden nicht ausreichend darüber aufgeklärt,
daß sie nur den Preis des Arzneimittels zahlen, wenn
dieser unter dem Anteil liegt. Um sich den Gang zum Arzt
zu sparen, versuchten Patienten außerdem, Medikamente,
die billiger als die Zuzahlung sind, ohne Rezept zu
bekommen.
Kommt es dennoch zu heftigen Unmutsäußerungen der
Patienten, so weist das pharmazeutische Personal meist
auf die Zuständigkeit der Krankenkassen hin: "Ich
ziehe mir diesen Stiefel nicht an und sage ganz klar, wo
das Geld hingeht. Das funktioniert gut, den Ärger so
umzulenken", berichtete eine Apothekerin aus
Niederhöchstadt. Die Apotheker geben außerdem Hinweise
zu Härtefall- und Überforderungsklauseln, weil sie
bemerkt haben, daß viele ihrer Patienten nicht
ausreichend darüber informiert sind. Um die Abrechnung
der Zuzahlungskosten am Jahresende zu erleichtern, bieten
viele Apotheken Quittungshefte oder eine Kundenkarte an,
mit der die gezahlten Anteile registriert werden. Die
meisten Apotheken haben bereits Mitte Juni mit der
Aufklärung ihrer Kunden begonnen. Die Plakate und
Thekenaufsteller der ABDA hätten dabei gute Dienste
geleistet. In einigen Betrieben wurden zusätzlich
Handzettel bereitgehalten.
Apothekerverhände informieren
Umfassendes Material stellten auch die meisten
Landesapothekerverbände ihren Mitgliedern zur
Verfügung. Dort registrierten die Mitarbeiter der
Geschäftsstelle dann in den meisten Fällen spezielle
Fragen der Apothekerschaft zu Härtefallklauseln und
Zuzahlungen auf Hilfsmittel. Beim Apothekerverband
Nordrhein können sich Mitglieder sogar über eine eigens
eingerichtete Hotline informieren. Nach Angaben von
Geschäftsführer Uwe Hüsgen seien sogar regelmäßig
Patienten in der Leitung, um sich über komplizierte
Sachverhalte aufklären zu lassen. "Das sind dann
meistens Fragen, die der Apotheker nicht mehr beantworten
kann", so Hüsgen.
Die 20prozentige Zuzahlung auf Hilfsmittel führte in
zahlreichen Betrieben zu Verunsicherungen. So herrsche
unter der Apothekerschaft zum Beispiel Unklarheit
darüber, ob für Kompressionsstrümpfe auch bei
Schwangeren eine 20prozentige Zuzahlung zu leisten ist,
berichtete Wolfdieter Brinkmann vom Saarländischen
Apothekerverein. Häufiger als Anfragen aus der Apotheke
sind allerdings Anrufe von Fernsehsendern und
Zeitungsredaktionen, erklärte Friedrich-Wilhelm Wagner,
Geschäftsführer des Berliner Apothekervereins. Meist
müßten falsche Pressemeldungen korrigiert werden.
Über Umsatzrückgänge wagten die Mitarbeiter der
befragten AV-Geschäftsstellen noch keine Prognose. Ein
allgemein rückläufiger Trend könne nicht
ausschließ1ich den neuen Zuzahlungen angelastet werden.
Der Beginn der Ferienzeit sowie das Sommerloch würden
sicherlich auch eine Rolle spielen. Endgültige Aussagen
seien frühestens mit Ablauf des Monats möglich. Sicher
sei nur, daß es Apotheken in sozial schwächeren
Regionen stärker treffen würde, hieß es dazu aus
Berlin und Mecklenburg-Vorpommern.
Für die meisten Patienten bleibt alles beim alten
Gerade chronisch kranke Patienten, für die
Medikamente lebensnotwendig sind, lösen ihre Rezepte
auch weiterhin regelmäßig in der Apotheke ein, so der
Trend in den Offizinen. Die meisten Kunden sind sauer auf
die verantwortlichen Politiker, wollen aber den
Arzneimittelbedarf nicht auf Kosten ihrer Gesundheit
einschränken. "Wenn ich ein Rezept habe, dann löse
ich es auch ein", sagte ein junger Vater. Auch den
nötigen Gang zum Arzt wollen die meisten Patienten
künftig beibehalten, um ihre Gesundheit nicht zu
gefährden. Anders sieht es bei Bagatellerkrankungen aus.
Hier sei der Leidensdruck entscheidend, berichtet eine
28jährige Rechtsanwaltsgehilfin. Für einen Schnupfen
wolle sie sich künftig nicht mehr ins Wartezimmer
setzen, sondern direkt in die Apotheke gehen. Bei
freiverkäuflichen Produkten, wie Vitaminpräparaten,
sieht es anders aus. Einige Patienten wollen künftig
Geld sparen, indem sie diese Artikel in Supermärkten
kaufen.
PZ-Artikel von Ulrich Brunner, Eschborn
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