Politik
Jenseits aller
Partikularinteressen sollte das gemeinsame Interesse ein
finanzierbares Gesundheitswesen sein, in dem allen der
medizinische Fortschritt zuteil werden kann. Das
postulierte Bundespräsident Roman Herzog bei der
Eröffnung des 100. Deutschen Ärztetages in Eisenach.
Für den Bundespräsidenten ist die ärztliche
Selbstverwaltung ein Stück schlanker Staat, weil der
Fiskus die Aufgaben an die unmittelbar Betroffenen
delegiert hat, und sie ist Partner in der
gesundheitspolitischen Diskussion. Von der deutschen
Ärzteschaft erwartet der erste Bürger des Staates
aktive Mitsprache in ethischen Fragen. Der einzelne Arzt
dürfe in seiner Gewissensentscheidung nicht auf den Rat
der Strafrechtler angewiesen bleiben. Maßstab sei immer
der erkrankte Mensch und nicht die Lebensqualität
anderer oder gar die Kostenbelastung der
Solidargemeinschaft.
Herzog fragt sich, ob die Gesellschaft mental in der Lage
ist, die Grenzen des medizinischen Fortschritts zu
akzeptieren. Verbesserte Medikamente und Techniken
verleiteten zu dem törichten Irrglauben, daß alles
medizinisch machbar sei. Krankheiten würden von einer
großen Bedrohung zur Belästigung herabgestuft. Der
Bundespräsident appellierte an jeden einzelnen,
Verantwortung für seine Gesundheit zu übernehmen.
"Gesundheit ist nicht planbar, aber planmäßig
zerstörbar." Das nenne die Gesellschaft dann
Zivilisationskrankheiten, so als seien ausgerechnet
Maßlosigkeit und mangelndes Verantwortungsgefühl die
deutlichsten Zeichen von Zivilisiertheit. Modernes
Anspruchsdenken kollidiert nach Herzogs Worten manchmal
mit dem ärztlichen Ethos. Er rief dazu auf zu prüfen,
ob die Ansprüche immer zu Recht bestünden: "Ärzte
dürfen nicht zu Handlangern hedonistischen Zeitgeistes
werden." Dies sei aber kein Plädoyer zur
Verminderung medizinischer Forschung.
Auch ein leistungsfähiges System bedarf der Korrektur.
Dann nämlich, wenn sich viele Patienten so verhalten,
als seien Therapien kostenlose Güter, als sei
Sparsamkeit unnötig und Verschwendung legitim, sagte
Herzog. In der gesundheitspolitischen Diskussion seien
einige Prinzipien zu beachten:
o Eine Krankenversicherung
ist für das medizinisch Notwendige, nicht für das
sozialpolitisch Wünschenswerte da.
o Der einzelne darf nicht
aus der Mitverantwortung entlassen werden.
o Sparsamer Mitteleinsatz
muß sich lohnen.
o Es muß gespart werden,
damit kostenintensive Therapien möglich bleiben.
Seehofer: Reformdiskussion ist abgeschlossen
Die Reformdiskussion ist für den
Bundesgesundheitsminister - jedenfalls soweit sie die
Politik betrifft - abgeschlossen. Den rund 250
Delegierten des 100. Deutschen Ärztetages gab Horst
Seehofer mit auf den Weg: "Sie sind gut beraten,
wenn sie sich mit der Ausgestaltung der dritten
Reformstufe beschäftigen und nicht mit neuen
Reformen." Mit Sparen allein könnten die
Anforderungen an das Gesundheitswesen nicht finanziert
werden. Deshalb seien neue Finanzierungsinstrumente
vonnöten sowie eine Besinnung auf die
Eigenverantwortung. Seehofer ist sich sicher, daß die
offenbar einzigen Sorgen der Ärzte, die Transparenz und
die besonderen Therapieeinrichtungen, auf dem 101.
Deutschen Ärztetag keine Rolle mehr spielen werden.
Vilmar: Kooperation aller Beteiligten ist
gefragter denn je
Als äußerst brisant - mit unübersehbaren finanziellen
und medizinischen Auswirkungen - könnte sich nach
Ansicht von Dr. Karsten Vilmar, Präsident der
Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages, ein in
letzter Minute im Gesundheitsausschuß des Deutschen
Bundestages in die Vorschrift über die Voraussetzungen
für die GKV-Leistungspflicht über neue Methoden
eingebrachter Zusatz in § 135 Abs. 1 SGB V erweisen.
Wenn die Beurteilung von Methoden, wie es die jetzige
Fassung vorsehe, "nach dem jeweiligen Stand der
wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen
Therapierichtung" möglich sei, werde durch diese
Binnenanerkennung der Wissenschaftsbegriff konterkariert.
Für die GKV könne eine Kostenlawine für Leistungen
ausgelöst werden, die einer allgemein anerkannten
wissenschaftlichen Prüfung auf Sinnhaftigkeit und
Wirksamkeit nicht standhalte. Vilmar bezweifelt, ob sich
wirklich alle, die dieses beschlossen haben, über die
damit verbundenen Folgen klar waren.
PZ-Artikel von Gisela Stieve, Eisenach
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