Politik
Den Teilnehmern der 38. Sitzung der Ständigen Konferenz der
Versorgungswerke der Apotheker vermittelte Dr. Gisela Babel,
sozialpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, am 15. Mai 1998
in Münster ein düsteres Bild für die Zukunft der sozialen
Sicherungssysteme. Zur Zeit sehe es nicht danach aus, daß die Lage sich
aufhelle. Reformen seien unbedingt nötig.
Als Vorbild für eine Neuorientierung der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland
empfahl Babel Skandinavien, besonders Schweden und Finnland, die wesentlich
weiter seien als die Deutschen und vor Jahren die finanziellen Probleme ihrer
Systeme gelöst hätten, ohne Widerstand in der Bevölkerung und ohne
Qualitätsverlust.
In fünf Thesen faßte die FDP-Sozialexpertin ihre Analyse der deutschen
Sozialversicherungssysteme zusammen:
- These 1: Sozialstaat belastet die Wirtschaft. Deutschland habe eine
Fehlentwicklung hinter sich. Der Sozialstaat habe sich zu einem
Wohlfahrtsstaat entwickelt. Der Staat könne nicht mehr über seine
Sicherungssysteme den Luxus garantieren. Der Ausweg aus diesem Dilemma
sei mehr Eigenverantwortung und Senkung der Sozialabgaben.
- These 2: Ungünstige demographische Entwicklung. Der Generationenvertrag
funktioniere nicht mehr. Zum Teil lebten in einer Familie bereits zwei
Generationen im Ruhestand. Das heißt, eine arbeitende Generation finanziert
die Renten zweier Generationen. Sowohl in der Renten-versicherung als auch
in der Krankenversicherung zahle ein kleinerer Personenkreis ein als der, der
Leistungen aus den Sicherungssystemen zieht. Die Weichen für ein neues
Finanzierungssystem sollten heute gestellt werden. Eine schmerzfreie Therapie
gebe es allerdings nicht.
- These 3: Belebung des Arbeitsmarktes. Die ideale Lösung der
augenblicklichen Finanzierungsschwierigkeiten der
Sozialversicherungssysteme sei die Belebung des Arbeitsmarktes. Dazu
müsse eine umfassende Steuerreform mit deutlichen Steuersenkungen
eingeleitet worden. Der These, Steuersenkung führe zu Mindereinnahmen
beim Staat, konnte Babel nicht zustimmen.
- These 4: Die ersten Maßnahmen waren richtig. Babel betonte, daß die
Koalition mit der Reduzierung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf dem
richtigen Weg war. Nur seien die Tarifpartner diesem nicht gefolgt.
Kompensation beim Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld führe wiederum zu
Mindereinnahmen bei den Sozialversicherungen. Auch die Renten- und die
Gesundheitsreform weisen nach Meinung Babels in die richtige Richtung: mehr
Eigenverantwortung.
- These 5: Reformbedarf noch vorhanden. Nach Meinung der Sozialexpertin
der FDP ist der Reformbedarf noch lange vorhanden. Die eingeleiteten
Reformen könnten auch nicht kurzfristig wirken, sondern erst mittel- und
langfristig. Erste Auswirkungen seien allerdings bereits sichtbar. Selbstkritisch
fügte die FDP-Politikerin hinzu, die Reformen seien zu spät eingeleitet und in
der Bevölkerung falsche Erwartungen geweckt worden.
Die Teilnehmer der Ständigen Konferenz der Versorgungswerke der Apotheker
beruhigte Babel mit dem Hinweis, daß die berufsständischen Versorgungswerke
nach der jetzigen Gesetzeslage nicht gefährdet seien. Die derzeitige Koalition würde
daran ebenso wenig ändern wollen wie an dem System der individuellen Apotheke.
Gefahren sieht Babel aber in einer Rot-Grün-Koalition, die die Versichertenzahlen in
den gesetzlichen Sozialversicherungssystemen vergrößern wollen, obwohl es einen
verfassungsrechtlich abgesicherten Bestandsschutz gebe. Gefahr könne aber auch
aus Europa kommen, wenn sich diese Systeme privaten Anbietern öffnen müßten,
was unweigerlich zum Export von Leistungen führen werde.
PZ-Artikel von Hartmut Morck, Münster
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