Politik
Die demographische Entwicklung, der mögliche Regierungswechsel in
Bonn und die mehrfach gestellte Forderung, den Apothekenmitarbeitern die
Befreiungsmöglichkeit von der Gesetzlichen Rentenversicherung zu
nehmen, sind Herausforderungen, denen sich die Versorgungswerke stellen
müssen. Das Wie wollten wir in einem Gespräch mit Apotheker Karl-August
Beck, Vorsitzender der Ständigen Konferenz der Versorgungswerke für
Apotheker und stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes der
Arbeitsgemeinschaft beruftsständischer Versorgungseinrichtungen e. V.
(ABV) erfahren.
PZ: Herr Beck, über die Rente gibt es fast täglich neue Meldungen. Müssen die
Apotheker sich Sorgen um ihre Altersversorgung machen?
Beck: Nein! Die Apotheker haben, wie andere freie Berufe auch, ihre
Altersversorgung in eigenständigen Versorgungswerken organisiert. Die
Versorgungswerke beruhen auf Landesrecht und sind nicht, wie die gesetzliche
Rentenversicherung, nach dem Umlageverfahren, sondern nach
Kapitaldeckungsgrundsätzen finanziert. Das, was jetzt zur Leistungseinschränkung in
der gesetzlichen Rentenversicherung publiziert wird, oft auch in Werbeanzeigen der
privaten Versicherungswirtschaft, in denen für den Abschluß ergänzender
Privatvorsorge geworben wird, trifft die Apotheker nicht, die Versorgungswerke
sind von der Gesetzgebung nämlich nicht betroffen.
PZ: Aber die demographische Entwicklung betrifft doch auch die
Versorgungswerke.
Beck: Ja, aber das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentnern ist für die
Versorgungswerke wegen des Finanzierungsverfahrens Kapitaldeckung weit
weniger relevant als für die gesetzliche Rentenversicherung.
PZ: Gilt dies auch für die Verlängerung der Lebenserwartung?
Beck: Die im Grundsatz ja erfreuliche verlängerte Lebenserwartung trifft auch die
Versorgungswerke. Sie führt zu einer längeren Rentenbezugsdauer, die aus den
Zinserträgnissen des Deckungsvermögens der Versorgungswerke finanziert werden
muß. Das bedeutet: Die Renten der Versorgungswerke sind sicher, aber sie steigen
in Zukunft wegen der verlängerten Lebenserwartung nicht mehr so stark wie früher.
PZ: Können Sie etwas konkreter die Verlängerung der Lebenserwartung beziffern?
Beck: Ja gern. Wir haben in eigenen statistischen Untersuchungen, die wir von
einem renommierten versicherungsmathematischen Büro haben anfertigen lassen,
festgestellt, daß die Lebenserwartung der freien Berufe bei den Frauen mit 23,5
Jahren rund 3,5 Jahre und bei den Männern mit 19 Jahren rund 3 Jahre höher liegt
als in der allgemeinen Bevölkerung. Hinzu kommt, daß wir davon ausgehen müssen,
mit höherer Wahrscheinlichkeit als die gesetzliche Rentenversicherung eine
Witwenrente leisten zu müssen und diese Renten länger als vergleichbar bei der
Rentenversicherung gezahlt werden, weil der Altersunterschied zwischen den
Ehegatten bei uns größer ist. Es ist also durchaus nicht so, daß die
Versorgungswerke im Risikobereich durchweg besser dastehen als die
Rentenversicherung, was oft behauptet wird.
PZ: Sie sagen, die Renten der Versorgungswerke sind sicher, aber die SPD will
doch die angestellten Apothekerinnen und Apotheker in die Rentenversicherung
einbeziehen.
Beck: Ja, das ist richtig. Wieder einmal hat die SPD den Versorgrungswerken den
Krieg erklärt. Sie will unseren noch angestellt tätigen Kolleginnen und Kollegen das
Befreiungsrecht von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung
zugunsten ihrer Versorgungswerke streichen. Die SPD vergißt dabei, daß sie selbst
1957 das Befreiungsrecht mit beschlossen hat, weil man damals die freien Berufe
nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung haben wollte und aufforderte, ihre
Altersversorgung selbst zu organisieren. Die Antwort auf den damaligen Herauswurf
aus der Rentenversicherung sind die Versorgungswerke. Wir nehmen in der ABV,
diese ist der Dachverband der Versorgungswerke, die Forderung der SPD ernst,
wissen aber unsere Position verfassungsrechtlich gesichert.
PZ: Worauf gründet sich Ihre Sicherheit?
Beck: Auf zwei Aussagen von Professor Dr. Jürgen Salzwedel, der für die ABV
diese Frage gutachterlich untersucht hat. Salzwedel kommt zu dem Ergebnis, daß
der direkte Eingriff des Bundesgesetzgebers in bestehende Versorgungswerke durch
Übernahme der Versichertenbestände in die Rentenversicherung bei gleichzeitiger
Übertragung des Vermögens vor der Verfassung als offenbar unzulässig zu
betrachten ist. Man ziehe die Zahlenverhältnisse in Betracht und mache sich deutlich,
daß die Einbeziehung der rund 250 000 angestellt tätigen Freiberufler bei fast 30
Millionen Sozialversicherten wohl kaum als Maßnahme vorgestellt werden kann, die
die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung nennenswert verbessert.
Ganz ähnlich ist es auch im Hinblick auf die von den Versorgungswerken insgesamt
angesammelten Kapitalrücklagen von knapp 80 Milliarden DM, wenn man bedenkt,
daß die gesetzliche Rentenversicherung im Jahr rund 300 Milliarden DM an Renten
ausgibt. Da die in den berufsständischen Versorgungswerken entstandenen Renten
und Rentenansprüche ausschließlich aufgrund eigener Beitragsleistung der Mitglieder
entstanden sind, unterliegen sie voll dem Eigentumschutz des Artikels 14 unserer
Verfassung, müssen also auch bei Überführung in die gesetzliche Rentenversicherung
voll befriedigt werden, so daß dadurch kein nennenswerter Beitrag zu deren
Sanierung geleistet würde. In gleicher Weise ist nach Auffassung unseres Gutachters
die von der SPD geforderte Abschaffung des Befreiungsrechts vor der Verfassung
nicht zu rechtfertigen.
PZ: Wissen Sie denn, wie der SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder, der ja
immerhin einmal Rechtsanwalt und damit Freiberufler war, zu der Sache steht?
Beck: Nun, Gerhard Schröder hat sich vor der Kammerversammlung der
Tierärztekammer Niedersachsen, nachdem er auf die Thematik angesprochen
wurde, dahingehend geäußert, daß er der Auffassung ist, daß es bei dem
Befreiungsrecht bleiben sollte. Man kann ihn nur auffordern, diese Position in seiner
Partei durchzusetzen, weil sonst seine Ankündigung, mit seiner Politik auch "die neue
Mitte" erreichen zu wollen, für die freien Berufe nicht glaubwürdig ist. Um es ganz
klar zu sagen, wer das Befreiungsrecht gefährdet, ist nach meiner Auffassung für die
freien Berufe nicht wählbar!
PZ: Wissen Sie denn, wie die anderen Parteien zum Befreiungsrecht stehen?
Beck: Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl hat sich klar zum Befreiungsrecht bekannt.
Das gilt auch für die anderen, die Koalition tragenden Parteien. Es gibt auch gar
keine Notwendigkeit, das Thema heute aufzuwerfen, denn mit dem
SGB-VI-Änderungsgesetz von 1995 ist die sogenannte Friedensgrenze zwischen
den Versorgungswerken und der gesetzlichen Rentenversicherungen, übrigens im
Konsens aller Parteien, also auch der SPD, gerade gefestigt worden. Die
Versorgungswerke stehen zu dieser Friedensgrenze, sie erwarten aber im Gegenzug,
daß diese Friedensgrenze auch von allen ein Konsens beteiligten Parteien akzeptiert
wird.
PZ: Herr Beck, im Gespräch sind Fonds zur Sicherung der Altersversorgung, wie
stehen Sie beziehungsweise die Versorgungswerke dazu?
Beck: Wir begrüßen jede Maßnahme, die geeignet ist, die kapitalbildende
Alterssicherung in Deutschland zu stärken und zu fördern. Sie sprechen mit Ihrer
Frage sicher die mit dem Dritten Finanzmarktförderungsgesetz eingeführten
Vorsorge-Sondervermögen an, die wir, das will ich gerne zugeben, eher kritisch
sehen. Kritisch deshalb, weil es sich bei diesen Fonds eher um ein Instrument der
Vermögensbildung, denn um ein Instrument der Altersvorsorge handelt. Dies
deshalb, weil anders als beim Versorgungswerk das Kapitalanlagerisiko voll beim
einzelnen Anleger verbleibt, was bedeutet, daß der konkrete Wert der Anteile im
Zeitpunkt des Eintritts in die Altersrente nicht vorhergesagt werden kann. Die
Versorgungswerke sind dagegen, wie die Unternehmen der privaten
Versicherungswirtschaft, verpflichtet, in ihrer Vermögensanlage das
Versicherungsaufsichtsgesetz zu beachten und bestimmte Kalkulationsprinzipien
einzuhalten, so daß die vom Versorgungswerk zugesagte Rente bei Eintritt in den
Ruhestand auf jeden Fall zur Verfügung steht. Wenn und soweit aber allen
Beteiligten die Unterschiede, die hier bestehen, klar sind, bestehen aus unserer Sicht
Bedenken gegen diese neuen Formen nicht.
PZ: Herr Beck, noch ein weiteres Thema möchte ich ansprechen: Welche
Konsequenzen hätte es für die berufsständischen Versorgungswerke, also auch die
Apothekerversorgungswerke, wenn die 620-Mark-Jobs rentenversicherungspflichtig
würden? Müssen Sie, sollte die Befreiungsmöglichkeit für Apotheker bestehen
bleiben, diese geringfügig Beschäftigten nicht auch in die Versorgungswerke
aufnehmen?
Beck: Im Prinzip sind sie heute schon erfaßt, da die Versorgungswerke als
Mitglieder alle Mitglieder der Apothekerkammern in der Pflichtmitgliedschaft
erfassen. Allerdings gibt es in vielen Satzungen Möglichkeiten der Beitragsbefreiung,
wenn nur geringfügig gearbeitet wird. Je nach Ausgestaltung einer gesetzlichen
Neuregelung könnte eventuell Handlungsbedarf für die Versorgungswerke entstehen,
da die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung zur
Voraussetzung hat, daß entsprechend den Verhältnissen bei der Rentenversicherung
Beiträge an das Versorgungswerk gezahlt werden.
PZ: Eine weitere Frage stellt sich im Zusammenhang mit der augenblicklichen
Diskussion über die Renten. Sollte es dazu kommen, daß als Grundalterssicherung
Mindestrenten gezahlt werden, welche Auswirkungen hätte dies auf die
Apothekerversorungswerke? Müssen sie sich dann an den Mindestrenten
orientieren? Würde damit nicht das Prinzip der Kapitalisierung der Beiträge bei den
Versorgungswerken in Frage gestellt?
Beck: Die gegenwärtige Rechtslage verlangt nur, daß das Leistungsrecht der
Versorgungswerke sich an dem der Rentenversicherung orientiert. Es muß also nicht
in allen Punkten dem der Rentenversicherung entsprechen. Eine Anordnung des
Bundesgesetzgebers hinsichtlich der Zahlung einer Mindestrente durch die
Versorgungswerke würde einen Eingriff in das auf Landesrecht beruhende
Selbstverwaltungsrecht der Berufsstände bedeuten. Schon das halte ich aus
verfassungsrechtlichen Gründen nicht für möglich. Auch müßte geklärt werden, ob
Mindestrenten aus Steuermitteln oder aus den Beiträgen der Mitglieder finanziert
werden müßten. Da das Leistungsrecht der Versorgungswerke strikt
beitragsorientiert aufgebaut ist, sehe ich auch hier verfassungsrechtliche Probleme.
PZ: Der Einbezug der 620-Mark-Jobs und die Zahlung von Mindestrenten würden,
das haben Berechnungen ergeben, die gesetzliche Rentenversicherung in noch
größere finanzielle Schwierigkeiten bringen, als es heute der Fall ist, weil die
eingezahlten Beiträge in keinem Verhältnis zu den möglichen Leistungen stehen.
Sehen Sie gleiche Konsequenzen auch auf die Versorgungswerke zukommen, wenn
solche Forderungen Gesetz würden?
Beck: Wahrscheinlich nicht. Sie dürfen nicht vergessen, daß die Versorgungswerke
der Apothekerschaft sich in ihrem Leistungsrecht auf den Kernbereich des
Versorgungsauftrages, also Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung,
konzentrieren. Das Leistungsrecht ist dabei, wie ich schon ausgeführt habe, strikt
beitragsbezogen ausgestattet. Allerdings würden den Versorgungswerken für die
Verwaltung und den Einzug der sehr niedrigen Beiträge aus den 620-Mark-Jobs
erhebliche Kosten entstehen. Im übrigen wird wohl niemand erwarten können, daß
sich aus unter Umständen lebenslanger Zahlung von Beiträgen aus einem Verdienst
von monatlich 620 DM eine nennenswerte Altersrente ergibt.
PZ: Eine Abschlußfrage gestatten Sie mir noch: Wir stehen vielleicht vor einem
Machtwechsel in Bonn, wir stehen aber euch an der Schwelle zu einem neuen
Jahrtausend mit neuen Herausforderungen. Sind Sie sicher, daß Sie die Stabilität der
Versorgungswerke auch im neuen Jahrtausend sichern können?
Beck: Ja, das bin ich. Solange wir uns auf die schon angesprochenen Kernbereiche
des Versorgungsauftrages, also Vorsorge für das Alter, für Hinterbliebene und bei
Invalidität/Berufsunfähigkeit, konzentrieren und dem Prinzip treu bleiben, daß nur
das ausgegeben werden kann, was durch Beiträge gedeckt ist, sehe ich trotz der auf
uns zukommenden Herausforderungen aus Politik und gesellschaftlicher Entwicklung
keine Gefahren für die Versorgungswerke im 21. Jahrhundert.
PZ-Interview von Hartmur Morck, Eschborn
© 1997 GOVI-Verlag
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