Politik
Krankenkassen und
Ärzte haben recht unterschiedliche Vorstellungen davon,
wie die arztgruppenspezifischen Richtgrößen festgesetzt
werden sollen. Während den Kassen differenzierte
Richtgrößen vorschweben, die sich an einer Dreiteilung
des Arzneimittelmarktes orientieren, plädieren Ärzte
für eine Festlegung, die ihnen innerhalb eines
bestimmten Finanzrahmens weitgehende Therapiefreiheit
einräumt. Es erscheint deshalb unwahrscheinlich, daß
sie noch in diesem Jahr das Arzneimittelbudget ablösen
werden. Unklar ist auch die Frage, ob die
Patientenzuzahlung in die Richtgrößen einbezogen wird.
Auf einer Atrium-Veranstaltung in Königswinter
favorisierte Herbert Rebscher, Vorstandsvorsitzender des
Verbands der Angestellten-Krankenkassen unterschiedliche
Richtgrößen für unverzichtbare, unumstrittene und
sonstige Arzneimittel. Unverzichtbare Medikamente sollen
danach nicht budgetiert werden, unumstrittene erhalten
großzügigere Richtgrößen als sonstige Arzneimittel.
Grundlage für die Einordnung könnte die nie
eingeführte Positivliste sein. Die Spitzenverbände der
AOK und der Betriebskrankenkassen unterstützen Rebschers
Position.
Vor allem die Hausärzte lehnen eine zu starke
Ausdifferenzierung der Richtgrößen ab. Dr. Jürgen
Bausch, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung
Hessen, fordert ein Individualbudget für jede
Arztpraxis. Innerhalb dieses Rahmens müsse es dem Arzt
freigestellt bleiben, welche Arzneimittel er verschreibt.
Die Ärzte drängen darauf, daß Praxisbesonderheiten bei
der Ausgestaltung von Richtgrößen berücksichtigt
werden. Dazu gehören neben regionalen Unterschieden auch
die Sozialstruktur des Patientenstammes einer Praxis,
sagte Dr. Lothar Krimmel, stellvertretender
Hauptgeschäftsführer der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung.
Grundsätzlich sehen die Ärztevertreter Richtgrößen
als eine gerechtere Lösung im Vergleich zum
Arzneimittelbudget an, bei dem wirtschaftlich
verschreibende Ärzte für ihre unwirtschaftlichen
Kollegen mithaften müßten. Wenn jede Praxis ein
individuelles Verordnungsvolumen erhalte, falle die
Gruppenhaftung weg.
Die Apotheker, die die Ablösung des Budgets durch
Richtgrößen grundsätzlich begrüßen, wollen die
Ärzte bei einem ökonomischen Verordnungsverhalten
unterstützen. So bot Dr. Paul Hoffacker,
Geschäftsführer Wirtschaft und Sozialpolitik bei der
ABDA, eine Mitverantwortung der Apotheker an. In
Sachsen-Anhalt haben Ärzte und Apotheker eine
Kooperation vereinbart.
Über die Rechenzentren liefert der Landesapothekerverein
monatlich arztbezogene Daten über die Verschreibungen.
In Arzt/Apothekergesprächen können diese Daten
analysiert werden. Der Apotheker werde so in das
Budgetmanagement einbezogen. Für die Pharmazeuten sei es
unabdingbar, in Zukunft mehr Verantwortung im
Gesundheitswesen zu übernehmen, sagte Hoffacker weiter.
Schalte er sich nicht bald in diesen Prozeß ein,
übernähmen andere diese Rolle.
Unklarheit besteht darüber, ob die Patientenzuzahlung in
die Richtgrößen einfließt oder nicht. Wenn die
Selbstbeteiligung nicht berücksichtigt wird, hätte dies
zur Folge, daß Verordnungen für Patienten von
Krankenkassen mit geringer Zuzahlung die Richtgrößen
der Ärzte stärker belasten als Verordnungen für
Patienten, die bei Krankenkassen mit hoher Zuzahlung
versichert sind. Im ersten Fall wäre der Kassenanteil an
den Kosten höher. Dasselbe Problem stellt sich bei
Patienten, die von der Zuzahlung befreit sind, und bei
chronisch Kranken. Dann bleibe das Morbiditätsrisiko
zumindest teilweise bei den Ärzten, kritisierte Dr.
Peter Lau, Vorstandsmitglied des Bundesverbandes der
Allgemeinärzte Deutschlands. Er befürchtet, die
vorgesehene Überforderungsklausel mache die Deutschen zu
"einem Volk von chronisch Kranken".
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Königswinter
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