Politik
ARZNEIMITTELBINNENMARKT
Die Vollendung eines Arzneimittelbinnenmarktes in Europa liegt
noch in weiter Ferne. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die Inanspruchnahme der
Möglichkeiten eines EU-weiten Pharmamarktes überwiegend im Rahmen der nationalen
Gesundheitsversorgung geregelt ist und somit von Entscheidungen der einzelnen
Mitgliedstaaten abhängt. In einer Ende November verabschiedeten Mitteilung hat die
EU-Kommission die Problematik aufgearbeitet und mögliche Lösungsansätze vorgeschlagen. Die
"Mitteilung der Kommission über den Binnenmarkt für Arzneimittel" bekräftigt
das Grundprinzip, daß auch auf Arzneimittel die Binnenmarktregeln anzuwenden sind, obwohl
sie im Rahmen von nationalen Gesundheitssystemen verwendet werden. Ferner stellt die
Kommission fest, daß Preiskontrollsysteme nicht per se dem Grundsatz des freien
Warenverkehrs widersprechen.
Zur Trennung der Zuständigkeiten von EU und Mitgliedstaaten heißt es in der
Mitteilung: Das Ziel der Gewährleistung hinreichender Gesamteinnahmen für die
pharmazeutische Industrie, damit auch weiterhin Forschung und Entwicklung finanziert
werden können, muß betrachtet werden im Zusammenhang
- mit der Verantwortung der Mitgliedstaaten, mit beschränkten Haushaltsmitteln Gesundheit
zu fördern und Krankheiten zu behandeln,
- mit der Aufgabe, den Patienten und Verbrauchern Zugang zu erschwinglichen Arzneimitteln
zu verschaffen, und
- mit den Grundsätzen des Binnenmarktes.
Die Kommission betont, daß zwischen drei Szenarien der Binnenmarktentwicklung
unterschieden werden sollte. Neben dem Streben nach einem vollharmonisierten Zustand
(insbesondere auch hinsichtlich weiterer Preiskonvergenz) könne erwogen werden, die
derzeitige Situation unter der Voraussetzung einer angemessenen Überwachung sich selbst
zu überlassen. Beide Wege werden jedoch als nicht opportun betrachtet. Als dritte,
realitätsnahe Option wird ein Mittelweg skizziert, der darin besteht, die Zusammenarbeit
zwischen den Mitgliedstaaten und den Anbietern von Gesundheitsleistungen auszubauen und in
hinreichend konvergenzgeeigneten Marktsegmenten normale Marktmechanismen einzuführen.
Unter dem Hinweis, daß es gemäß dem Subsidiaritätsprinzip Aufgabe der
Mitgliedstaaten ist, über geeignete Maßnahmen zu entscheiden, hat die Kommission
folgende Lösungsansätze einer Betrachtung unterzogen:
- Lockerung der Preiskontrollen und Entwicklung eines effektiven Wettbewerbs. Hierfür
wird vorgeschlagen, die unterschiedlichen "Muster und
Entwicklungsgeschwindigkeiten" in drei Teilmärkten "anzuerkennen": nicht
verschreibungspflichtige Arzneimittel, Arzneimittel, deren Patent ausgelaufen ist und
patentgeschützte Produkte. Für rezeptfreie Medikamente wird weitgehende Liberalisierung
angedacht.
- Vertragspolitik. Nach Ansicht der Kommission könnte der Ablösung staatlicher
Preisfestsetzung zugunsten von Preisverhandlungen zwischen Behörden und Industrie
geeignet sein, Preisfreigabe und Eindämmung der Gesundheitsausgaben miteinander in
Einklang zu bringen.
- Gewinnbeschränkung. Verhandlungen zwischen Staat und Industrie könnten auch mit dem
Ziel geführt werden, Zielvorstellungen für Unternehmensgewinne zu vereinbaren, mit denen
vernünftige Preise, eine wettbewerbsfähige Entwicklung und kontinuierliche
Forschungsarbeiten möglich wären.
- Herausnahme bestimmter Produkte aus der Erstattungspflicht und höhere Zuzahlungen.
Diese Maßnahmen sollen dazu dienen, das Kostenbewußtsein bei der Verwendung von
Arzneimitteln zu schärfen.
- Referenzpreise. Die Festsetzung von Höchstwerten oder Erstattungssätzen nach
therapeutischen Kategorien kann bei der Eindämmung der Arzneimittelausgaben hilfreich
sein. Gegenüber der Reglementierung von Preisen hätten Referenzpreise den Vorteil, daß
sie den Wettbewerb anspornen und nicht behindern.
- Anregung des Wettbewerbs zwischen Generika. Anreize sollen hier sowohl bei Ärzten und
Apothekern wie auch bei den Patienten geschaffen werden. Darüber hinaus sind hinsichtlich
Zulassung und Erstattungsregelungen geeignete Voraussetzungen zu schaffen.
- Beteiligung der Verordner an der Eindämmung der Gesundheitsausgaben. Damit soll das
Preisbewußtsein auf der Nachfrageseite geschärft werden und das
Verantwortungsbewußtsein der Verordner gestärkt werden.
- Marktzugang. Bei der Markteinführung kommt es aufgrund behördlicher Versäumnisse in
einigen Mitgliedstaaten zu erheblichen Verzögerungen. Dies betrifft auch Generika.
- Markttransparenz. Hierfür wird eine Verbesserung der Datenlage über Preise und
Vertriebssysteme sowie die relative Wirksamkeit von Arzneimitteln angestrebt. In diesem
Zusammenhang heißt es in der Mitteilung: "Wenn Beschränkungen der
grenzüberschreitenden Vermarktung mit Vergütungssystemen einhergehen, die den Verkauf
hochpreisiger Produkte begünstigen, so besteht die Gefahr, daß der vom Wettbewerb im
Binnenmarkt ausgeübte Druck, Arzneimittel und Apothekendienstleistungen von optimalem
Wert (Preis/Leistungs-Verhältnis) anzubieten, aufgehoben wird."
Unter Verweis auf die Handelsspannen der Apotheken regt die Kommission Überlegungen
an, inwieweit sich die Distribution von Arzneimitteln durch neue Systeme für die
Arzneimittelabgabe an den Verbraucher insbesondere angesichts der wachsenden
Möglichkeiten des elektronischen Handels kostengünstiger gestalten ließe. Aspekte der
Arzneimittelsicherheit und der öffentlichen Gesundheit finden ebenfalls Erwähnung,
ebenso die unmittelbar an den Verbraucher gerichtete Werbung für verschreibungspflichtige
Arzneimittel.
Mit Blick auf die anstehende Osterweiterung der EU verweist die Mitteilung auf ein
komplexes Geflecht gesundheits-, industrie-, wettbewerbs- und marktpolitischer
Einzelfragen, die der Arzneimittelbinnenmarkt aufwirft. Details zu diesem Themenkomplex
werden in der Mitteilung nicht erörtert.
PZ-Artikel von Susanne Hof, Brüssel
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