Politik
GESUNDHEITSPOLITISCHES FORUM
Mit dem GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz (SolG) hat die grüne
Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer den Unmut der Apotheker auf
sich gezogen. Der Großteil der Ärzte steht dem Schnellschuß ebenfalls
skeptisch gegenüber. Bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt als Ministerin
signalisierte Frau Fischer jedoch, daß sie in Zukunft stärker auf
Kooperation mit Ärzten und Apothekern setzen will.
Das SolG sei ein reines Vorschaltgesetz, das lediglich für 1999 gelte, betonte
Fischer in einer vom Deutschen Ärzteblatt und der PZ veranstalteten
Podiumsdiskussion, an der der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes
(DAV), Hermann Stefan Keller, der Vorsitzende der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung (KBV), Dr. Winfried Schorre, und der Vize-Präsident der
Bundesärztekammer (BÄK), Professor Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, teilnahmen.
"Das Vorschaltgesetz soll die Ausgaben im kommenden Jahr begrenzen, damit wir
mehr Zeit haben, eine wirkliche Strukturreform im Gesundheitswesen einzuleiten."
Mehrfach betonte die Ministerin, daß sie der großen Reform nur eine Chance gebe,
wenn alle Beteiligten im Gesundheitswesen gemeinsam daran arbeiteten. Fischer: "Es
liegt mir nicht, ein Gesetz zu machen, nach dem sich dann alle richten müssen. Wir
sollten das Gesundheitswesen im Dialog weiterentwickeln." Ärzte und Apotheker lud
sie ein, ihre Konzepte und Ideen in eine "Reformwerkstatt" einzubringen.
Die Sozialpolitikerin Fischer machte keinen Hehl daraus, daß die Gesundheitspolitik
Neuland für sie ist. Sie sehe darin den Vorteil, als Newcomer mit mehr Offenheit
und ohne Vorbehalte auf die Leistungserbringer zugehen zu können. "Ich habe
bislang keine schlechten, aber auch keine übermäßig positiven Erfahrungen mit der
einen oder anderen Gruppe gemacht."
Nach ihren Aussagen gibt es für die Strukturreform lediglich zwei Vorgaben: Die
Beitragssätze müssen stabil bleiben und das solidarische Prinzip der GKV soll
gestärkt werden. Auf Erleichterung bei Ärzten und Apothekern stieß ihre
Ankündigung, nicht unbedingt an einer Budgetierung ab dem Jahr 2000 fest zu
halten. "Budgets sind langfristig keine optimale Lösung."
Dessen ungeachtet verteidigte die Gesundheitsministerin die im SolG beschlossene
sektorale Budgetierung für 1999. Die Budgets sollen im nächsten Jahr stabile
Beitragssätze garantieren. "Wir mußten schnell handeln, damit die wirkliche Reform
nicht unter dem Druck steigender Ausgaben angegangen wird."
Die Budgets seien nicht eingeführt worden, um die Senkung der Zuzahlung zu
finanzieren, betonte die Ministerin. Mit etwa einer Milliarde DM werde die geringere
Selbstbeteiligung die Kassen der GKV belasten. Diese Summe werde jedoch durch
die Einbeziehung der 620-DM-Jobs in die Versicherungspflicht wieder eingespielt.
Die Vertreter der Apotheker und Ärzte begrüßten einhellig Andrea Fischers
Dialogbereitschaft, sparten aber auch nicht mit Kritik an dem Vorschaltgesetz. Die
Apotheker leiden vor allem unter der drastischen Begrenzung der
Arzneimittelausgaben. So sei das für 1999 vorgesehene Arzneimittelbudget eine
Katastrophe für den Berufsstand, sagte der DAV-Vorsitzende Keller.
Nach den Plänen der Bundesregierung soll das Budget 1999 um 4,5 Prozent unter
dem von 1996 liegen. In der Diskussion wurde allerdings deutlich, daß die Ministerin
bei der Bemessung von falschen Voraussetzungen ausgegangen war. 1996
überschritten die Ärzte das Arzneimittelbudget deutlich; bundesweit lagen die
tatsächlichen Ausgaben um rund zwei Milliarden DM über dem Budget. Fischer war
davon ausgegangen, daß das Budget damals weitgehend eingehalten worden war.
Mithin wäre die Argumentation hinfällig, das Vorschaltgesetz solle lediglich die
Ausgaben einfrieren.
Keller wies darauf hin, daß das Budget sich bereits im vorletzten Jahr als zu niedrig
erwiesen habe. Nur wenn Arzneimittel rationiert würden, könne es eingehalten
werden. Sein Vorschlag an die Regierung: "Nehmen Sie als Berechnungsgrundlage
nicht das Budget, sondern die tatsächlichen Ausgaben von 1996. Wenn sie dann
noch die 4,5 Prozent Absenkung vergessen, könnten die Apotheker damit schon
besser leben."
Kritik äußerte der DAV-Vorsitzende auch an der geplanten Absenkung der
Festbeträge. Nach dem Willen der Bundesregierung soll der Festbetrag in Zukunft
nicht über dem Preis des teuersten Medikaments des unteren Preisdrittels einer
Festbetragsgruppe liegen. Die Festbeträge seien bereits seit Jahren auf Abwärtskurs,
weitere Preissenkungen könnten Industrie und Apotheker nicht verkraften, so der
DAV-Chef. Die Folge wäre der Abbau von Arbeitsplätzen.
Die leichtfertige Gefährdung von Arbeitsplätzen sei ein klarer Widerspruch zur
Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder, sagte Keller weiter.
Schröder hatte in seiner Antrittsrede betont, sein Kabinett wolle sich vor allem daran
messen lassen, inwieweit es ihnen gelinge, neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Der KBV-Vorsitzende Schorre bezeichnete es als äußerst unglücklich, die gerade
erst eingeführten Regelleistungsvolumina wieder durch ein Budget zu deckeln. "Die
Ärzte hatten nicht die Zeit zu beweisen, daß sie mit Regelleistungsvolumina die
Mengenentwicklung steuern können." Besonders unbefriedigend für die Ärzte in den
neuen Bundesländern sei die Entscheidung der Regierung, die Honorare an die
Entwicklung der Grundlohnsumme zu koppeln. Dies bedeute für viele
niedergelassene Mediziner im Osten das Aus.
Grundsätzlich hält auch Schorre Budgets für wenig sinnvoll, weil sie lediglich nach
finanziellen Kriterien aufgestellt werden. "Ein rein ökonomisches Steuerungsmittel ist
ungeeignet, die Ausgaben in der GKV zu steuern." Budgets würden den
vielschichtigen Anforderungen des Gesundheitswesens nicht gerecht.
Zweifel daran, daß die zusätzlichen Einnahmen durch die Einbeziehung geringfügiger
Einkommen ausreichen, die Defizite durch niedrigere Zuzahlungen zu kompensieren,
hat BÄK-Vize Hoppe. Er befürchtet, daß die Regierung einen Teil der
Mindereinnahmen mit dem Einkommen der Ärzte und Apotheker kompensieren
möchte. "Die Leistungserbringer haben Angst, daß sie die durch das Vorschaltgesetz
verursachten Löcher stopfen müssen."
Nach Hoppes Einschätzung hätte sich die Regierung das SolG sparen können. Die
Finanzlage der Kassen sei nicht prekär. Ohne erkennbare Not würden jetzt
Arbeitsplätze gefährdet, vor allem in den Krankenhäusern. "Was wollen Sie mit den
Budgetfesseln? Das Haus lag doch nicht in Schutt?"
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Düsseldorf
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