Politik
Trotz aller anderslautender Ankündigungen haben die einzelnen
Maßnahmen der Gesundheitsreformen immer wieder Auswirkungen auf den
Arzneimittelbereich. Das haben die Apotheker ebenso zu spüren bekommen
wie die Pharmaindustrie. Die Pharmazeutische Zeitung wollte wissen, wie
der Verband Forschender Arzneimittelhersteller(VFA) die Lage im Herbst
1997 beurteilt. Wir befragten den VFA-Vorsitzenden Dr. Horst Freisler und
die Hauptgeschäftsführerin Cornelia Yzer.
PZ: Der VFA hat sich kürzlich zu neuen Versorgungsformen geäußert. Handelt
es sich dabei um Konzepte mit empfehlendem Charakter oder will der Verband
selbst ein Modellprojekt nach seinen Vorstellungen auf den Markt bringen?
Yzer: Der VFA befaßt sich mit dem Themenfeld "neue Versorgungsformen", weil
wir davon überzeugt sind, daß integrierte Versorgungskonzepte dazu beitragen
können, die sektorale Betrachtung einzelner Leistungsbereiche mit all ihren negativen
Auswirkungen für die Patienten und die Finanzsituation der Gesetzlichen
Krankenversicherung zu überwinden. Ziel muß ein integriertes Kosten- und
Qualitätsmanagement sein. Dazu sind alle Beteiligten - Ärzte, die forschenden
Arzneimittelhersteller, die Apotheker, aber auch die Kassen gefordert, ihr
Know-how einzubringen. Die forschenden Arzneimittelhersteller werden in einem
solchen System weiterhin mit der Entwicklung innovativer Arzneimittel die Grundlage
für therapeutische und organisatorische Innovationen bereitstellen. Sie werden
darüber hinaus verstärkt als Kooperationspartner für Anbieter und Nachfrager im
Gesundheitssystem agieren. Sie können zudem bei bestimmten Indikationen mit
Disease-Management-Konzepten als eigenständige Anbieter auftreten. Das werden
für die Mitglieder des VFA Wettbewerbsparameter sein, die sie unterschiedlich
nutzen werden. Ein eigenes Modellprojekt des Verbandes sehe ich da nicht,
womöglich aber Rahmenvereinbarungen mit einzelnen Krankenkassen oder
Kassenarten.
PZ: Bei der Festlegung der Richtgrößen für Arzneimittel sollen gemäß der
Bundesempfehlung, Anlage 2, solche Verordnungen ausgenommen werden, bei
denen keine Anhaltspunkte für unwirtschaftliche Anwendungen oder
Mengenausweitungen bestehen. Findet dieser Vorschlag Ihre Zustimmung,
oder muß er noch erweitert beziehungsweise eingegrenzt werden?
Freisler: Wir werten den Ansatz, bestimmte Wirkstoffe bei der Festlegung von
Richtgrößen auszunehmen, insgesamt positiv. Zwar hätten wir die Herausnahme
bestimmter Indikationen lebensbedrohlicher Erkrankungen beziehungsweise
Erkrankungen mit schwerwiegenden Folgen für den Patienten bevorzugt, doch kann
auch die wirkstofforientierte Lösung der Empfehlung zu Richtgrößen unsere
Zustimmung finden. Für wichtig halten wir, daß die Anlage 2 aktualisiert und
möglichst weitgehend mit der Kategorie I des VFA-Dreiteilungsmodells kompatibel
gemacht wird. Dann wäre erreicht, daß Ärzte, Krankenkassen und forschende
Pharmaindustrie eine gemeinsame Position vertreten.
PZ: Die Spitzenverbände der Gesetzlichen Krankenkassen, der Bundesverband
des pharmazeutischen Großhandels und der Deutsche Apothekerverband
haben sich jetzt auf einen Konsens zur Änderung der
Arzneimittelpreisverordnung verständigt. Kann der VFA diesen Konsens
mittragen oder sind Ihrer Meinung nach Korrekturen notwendig?
Freisler: Der VFA kann mit dem Konsens leben. Man sollte sich aber davor hüten,
von einer Lösung zu sprechen. Dieser Begriff wäre zu hochtrabend, muß man sich
doch vor Augen halten, daß durch die jetzt geplante Änderung der
Arzneimittelpreisverordnung ein Anteil von gerade mal 0,2 Prozent der
GKV-Arzneimittelausgaben umgeschichtet wird. Daß damit die Diskussion um die
Distributionskosten und die Arzneimittelpreisverordnung beendet ist, bezweifle ich.
PZ: Die Pharmaindustrie und die Apothekerschaft haben eines gemeinsam: Sie
sind bei vielen Verhandlungen nur Zaungäste. Am Tisch sitzen Vertreter der
Krankenkassen und der Ärzte. Wo müßten Ihrer Meinung nach auch die
anderen am Gesundheitssystem beteiligten Gruppen gehört werden?
Yzer: Wenn man es mit dem Schlagwort der partnerschaftlichen Lösungen ernst
meint, müssen die Beteiligten und Betroffenen in die Entscheidungsfindung
substantiell einbezogen werden. So sollten Arzneimittelhersteller und Apotheker bei
den Entscheidungen des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen im
Hinblick auf die Arzneimittelrichtlinien ein echtes Mitwirkungsrecht haben. Das
Gleiche gilt etwa im Hinblick auf die Festbeträge, Richtgrößen,
Erprobungsregelungen und Strukturverträge.
PZ: Kann der VFA inzwischen schon erkennen, ob - unabhängig von den
Gründen - die erhöhte Zuzahlung der Patienten auf Arzneimittel eine
Auswirkung auf den Arzneimittelmarkt hat?
Freisler: Nein. Zwar ist der Apothekenmarkt im Juli im Vergleich zum
Vorjahresmonat um gut sieben Prozent und im August sogar um mehr als zehn
Prozent zurückgegangen, dies kann jedoch ein Reflex auf den im Juni festgestellten
Vorzieheffekt sein. Insgesamt ist der Umsatz auf dem deutschen Apothekenmarkt in
den ersten acht Monaten mit plus 0,2 Prozent im Vergleich zum entsprechenden
Vorjahreszeitraum nahezu unverändert. Das leichte Marktwachstum von plus 1,7
Prozent, das noch bis Juli zu verzeichnen gewesen ist, ist im wesentlichen von
Innovationen getragen worden. Während das Preisniveau nahezu unverändert und
die Mengenkomponente bis zu diesem Zeitpunkt mit minus 5,4 Prozent deutlich
zurückgegangen ist, weist die sogenannte Strukturkomponente, die ein Indiz für die
verstärkte Nutzung innovativer Arzneimittel ist, bis einschließlich Juni einen Zuwachs
von sieben Prozent auf.
Ob und inwieweit sich die erhöhte Zuzahlung auf die Struktur des
Arzneimittelmarktes auswirkt, wird man frühestens Ende des Jahres mit einiger
Sicherheit sagen können.
PZ: Wie steht der VFA vor diesem Hintergrund heute zu dem
Dreiteilungsmodell des Arzneimittelmarktes?
Yzer: Die Entwicklung auf dem Apothekenmarkt zeigt, wie Dr. Freisler eben
dargestellt hat, einen wachsenden Bedarf und eine wachsende Nachfrage innovativer
Arzneimittel, besonders bei schweren und chronischen Krankheiten. Dieser Trend
wird durch die generelle, allenthalben gewünschte Verschiebung vom stationären
zum ambulanten Sektor verstärkt. Angesichts dieses Trends und der offensichtlich
wachsenden Einsicht, daß die umstrukturierten Arzneimittelbudgets gescheitert sind,
ist das VFA-Konzept der indikationsorientierten Dreiteilung des Arzneimittelmarktes
aktueller denn je. Wenn die Finanzmittel der solidarisch finanzierten
Krankenversicherung nicht ausreichen, alle Leistungen gleichermaßen zu bezahlen,
dann muß es zu einer Neubestimmung von solidarisch finanzierten Leistungen und
der Eigenverantwortung kommen. Das VFA-Modell ist hierzu nach wie vor das
intelligenteste Konzept auf dem Markt.
PZ: Die Globalisierung in der Pharmaindustrie schreitet voran. Wie steht es
einerseits um die Sicherheit der Arbeitsplätze in der pharmazeutischen
Industrie und andererseits um die Attraktivität des Standorts Deutschland?
Freisler: Keine Frage, unsere Branche wird sich weiter restrukturieren müssen,
nicht zuletzt, um die Forschung bezahlen zu können und um die weltweiten
Vertriebswege unterhalten zu können, die notwendig sind, um neue Produkte zu
refinanzieren. Gleichwohl haben die Mitgliedsunternehmen des VFA trotz der
Übernahmen und Fusionen des letzten Jahres 1996 die Beschäftigtenzahlen in
Deutschland um 1,6 Prozent auf mehr als 74.000 erhöht. Dabei wuchs die Zahl der
Mitarbeiter im Bereich Forschung und Entwicklung sogar mit 3,1 Prozent auf fast
15.000.
Inzwischen können wir mit einiger Hoffnung auf die Entwicklung der Gentechnik in
Deutschland blicken. Mittlerweile befassen sich mehr als 40 Prozent unserer
Unternehmen in Deutschland mit der Gentechnologie. Es gibt sogar erste Hinweise
darauf, daß Unternehmen gentechnische Einrichtungen und Labors aus den USA
zurück nach Deutschland holen.
Aber es gibt keinerlei Anlaß, die Hände in den Schoß zu legen. Die Globalisierung,
der Wettbewerb um Standorte bei dem die Mitbewerber keineswegs schlafen,
verlangt von den Unternehmen wie von der Politik das ständige Bemühen um
Verbesserungen für einen wettbewerbsfähigen Standort Deutschland in Europa.
PZ: Welche Überlegungen gibt es beim VFA für den Fall eines
Regierungswechsels im nächsten Jahr?
Freisler: Wir haben konkrete Anforderungen an die Bundesregierung, jetzt und
nach den Wahlen. Positiven Rahmenbedingungen für die Erforschung, Entwicklung,
Produktion und Markteinführung von Innovationen kommt dabei eine besondere
Bedeutung zu. Das gilt insbesondere auch für die Biotechnologie als
Schlüsseltechnologie. Nur so können zukunftsfähige Arbeitsplätze am Forschungs-
und Produktionsstandort Deutschland erhalten und womöglich ausgebaut werden.
Die Bereitschaft hierzu haben die VFA-Mitgliedsunternehmen im letzten Jahr unter
Beweis gestellt.
Das Interview führte Gisela Stieve, Eschborn
© 1997 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de