Politik
Vierzig Jahre nach dem Apothekenurteil des Bundesverfassungsgerichts,
das die Weichen für die Niederlassungsfreiheit und das Fremd- und
Mehrbesitzverbot gestellt hat, kann in Deutschland von einer Idylle nicht
die Rede sein.
Dr. iur. Johannes Pieck, Sprecher der ABDA-Geschäftsführung, sprach in seinem
Geschäftsbericht vor der Hauptversammlung des 50. Deutschen Apothekertages in
München davon, daß eine große Zahl von Apotheken betriebswirtschaftlich rote
Zahlen schreibt. Dies bleibe ein Problem für die Verbandspolitik. Er warnte jedoch
vor den Verlockungen einer Liberalisierung, die dem Berufsstand bessere
Überlebenschancen suggerieren wollten.
Die ABDA bleibt ihren Grundsätzen treu und dennoch flexibel
Äußerungen, gewählte Repräsentanten seien unsensibel, unbeweglich und nicht
kreativ tat Pieck als Klischee ab. Das Positionspapier der ABDA, Projekte zum
elektronischen Rezept und zur Arzneimitteldokumentation, die Forderungen des
DAV nach Einbindung der Apotheker in die Strukturverträge, die Initiative zur
Novellierung der Arzneimittelpreisverordnung, die Vorschläge von ABDA und
ADKA, für eine glaubwürdige Abgrenzung von öffentlichen Apotheken und
Krankenhausapotheken, und nicht zuletzt das Bemühen, den grauen Markt der
Krankenhausware auszutrocknen, seien Beweise für Mut und Kreativität im
politischen Geschäft.
Die ABDA verfährt nach Piecks Worten nach der biblischen Ermutigung Prüfet
alles und behaltet das Beste". "Wir sind nicht um jeden Preis marktgerecht,
zeitgerecht oder zeitgeistgerecht. Denn: Wer nach allen Seiten offen ist, kann nicht
ganz dicht sein", so Pieck. Gleichzeitig wisse die ABDA, daß, wer alles verteidigt,
auch alles verlieren kann. Ob allerdings die Politik, an den Grundstrukturen des
deutschen Apothekenwesens, insbesondere am Verbot des Fremd- und
Mehrbesitzes unter den neuen Vorzeichen weiter festhalten werde, müsse sich
erweisen.
Krankenhausversorgung muß dual und effektiv sein
In der abgelaufenen Legislaturperiode des Bundestages konnte die Novelle zum
Apothekengesetz nicht mehr verabschiedet werden. Folglich sei der Kompromiß
zwischen ABDA und ADKA zur Arzneimittelversorgung von
Krankenhausambulanzen weiter nur ein gemeinsamer Vorschlag an den
Gesetzgeber. Die derzeitige Praxis einiger Krankenhausapotheken, Ambulanzen mit
Arzneimitteln zu beliefern, sei illegal.
Die ABDA halte aber an dem dualen System der Arzneimittelversorgung fest,
wonach Krankenhausträger entscheiden können, ob sie die Arzneimittelversorgung
ihrer Häuser einer eigenen oder fremden Krankenhausapotheke oder einer
krankenhausversorgenden öffentlichen Apotheke übertragen. Die ABDA wehrt sich
gegen die Scheinprivatisierung von Krankenhausapotheken, die dann als
"Zwitterapotheken" auch den ambulanten Bereich mitversorgen wollten. Solche
Schritte seien ausschließlich von ökonomischen Interessen motiviert.
Transparenz der Entscheidungen sei vor allem in solchen Bundesländern gefordert,
die zugleich als Krankenhausträger auftreten und ihre ökonomische Interessen
wahrnehmen. Hier müßten die Landesapothekerkammern gutachterlich beteiligt
werden, um den Umgang mit dem Apothekengesetz kontrollieren und
Interessenkonflikte aufspüren zu können. "Die formale Mitteilung, es sei noch nichts
geschehen oder entschieden, reicht uns jedenfalls dann nicht aus, wenn im gleichen
Bundesland bereits seit längerem mit dem Versuch experimentiert wird, eine
Krankenhausapotheke als GmbH zu betreiben", so Pieck.
Der Sprecher der Geschäftsführung kritisierte darüber hinaus den "nicht akzeptablen
behördlichen Umgang mit Vorschriften des Apothekenrechts im Zusammenhang mit
der Genehmigung von Versorgungsverträgen". Politisch verantwortlich seien die
Landesbehörden, die unter Mißachtung des Gesetzes Versorgungsverträge auch
dann genehmigen, wenn Apotheke und zu versorgendes Krankenhaus bis zu 140
Kilometer voneinander entfernt sind. In anderen Bundesländern sollen sich Behörden
über gesetzliche Vorgaben hinwegsetzen, wonach Apotheke und zu versorgendes
Krankenhaus im gleichen oder benachbarten Stadt- oder Landkreis gelegen sein
müssen. "Unter tätiger behördlicher Mithilfe registrieren wir jedenfalls einen Trend
zur alten Versandapotheke, die sich mit der verschlissenen Toga einer
Versorgungsapotheke lediglich schmückt", so Pieck.
Fremdbesitz & Mehrbesitz: Stange & Taupitz
Zum Fall Stange, dem "einzigen Apotheker, der sich bisher in Wort und Tat
gerichtsnotorisch gegen das Fremd- und Mehrbesitzverbot gestellt hat", führt Pieck
aus: Das Verwaltungsgericht Minden hatte Stange am 4. September 1996 die
Betriebserlaubnis wegen persönlicher Unzuverlässigkeit mit sofortiger Wirkung
entzogen. Das OVG Münster hat diese Entscheidung am 14. Februar 1997 nicht
beanstandet, das Bundesverfassungsgericht am 4. März 1997 den sofortigen Vollzug
der Entziehung längstens für die Dauer von sechs Monaten vorläufig ausgesetzt.
"Wer nun glaubt, das Verwaltungsgericht Minden hätte inzwischen wegen des auch
von ihm bejahten öffentlichen Interesses das Verfahren auch in der Hauptsache
abgeschlossen, der irrt", erläutert Pieck. Das Bundesverfassungsgericht habe
hingegen - "Rechtsprechung im Abonnement" - dreimal die vorläufige
Aussetzungsfrist um je sechs Monate verlängert.
Die Verzögerung des Verfahrens scheint nach Piecks Auffassung Professor Jochen
Taupitz, Autor eines Gutachtens, zupass gekommen zu sein. Der Inhaber des
Mannheimer Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilprozeßrecht, Internationales
Privatrecht und Rechtsvergleichung, der 1991 über "Die Standesordnungen der
freien Berufe" habilitiert hat, gelangt zu dem Ergebnis, das Fremd- und
Mehrbesitzverbot verstoße sowohl gegen das Grundgesetz als auch gegen den
EG-Vertrag.
Im Vorwort beziehe sich der Autor auf Anfragen aus der Praxis. Fußnoten belegten:
Zumindest der Fall Stange war Anlaß für das Gutachten. Es liegen jedoch
Vermutungen nahe, daß noch andere Hintermänner das Gutachten gefördert haben
sollen.
Das Gutachten von Taupitz soll wohl in das Verwaltungsgerichtsverfahren als
wissenschaftlich erhärteter Beweis eingeführt werden, das Verbot von Fremd- und
Mehrbesitz sei rechtswidrig. Stange, so dürfe man weiter vermuten, will erreichen,
daß das Verwaltungsgericht die Verfassungswidrigkeit des Verbotes sowie einen
Verstoß gegen den EG-Vertrag bejaht, das Verfahren aussetzt und das
Bundesverfassungsgericht sowie den Europäischen Gerichtshof anruft. Die ABDA
werde selbstverständlich auf das Taupitz-Gutachten reagieren, aber hierüber nicht
auf dem öffentlichen oder verbandsöffentlichen Markte reden. Politisch sei das
Gutachten eine Kriegserklärung an die Apotheker.
Versandverbot: ordnungspolitische Konsequenz des Bundesgesetzgebers
Mit der Verabschiedung der achten Novelle zum Arzneimittelgesetz bescheinigte
Pieck dem Gesetzgeber ordnungspolitische Konsequenz. Allerdings versuche nun
Niedersachsen das Gesetz, das vor allem den Versand von Arzneimitteln verbietet,
durch abenteuerliche Interpretationen auszuhebeln. Solches Vorgehen schwäche
auch die Glaubwürdigkeit der deutschen Position gegenüber EU-Kommissar Dr.
Martin Bangemann, dem diese Regelung ein Dorn im Auge ist.
Auch bei der Weiterentwicklung der Apothekenbetriebsordnung verficht laut Piecks
Bericht die ABDA die Interessen ihrer Mitglieder. In einem ersten Gespräch mit den
pharmazeutischen Spitzenbeamten der Ländern habe die ABDA deutlich gemacht,
daß der Maßstab einer Novellierung nur die Arzneimittelsicherheit und der
geordnete Apothekenbetrieb sein könne. Wenn das Sozialministerium
Baden-Württemberg meine, die Überwachung der Apotheke dient inzwischen
ausschließlich der Sicherung der beruflichen Qualität des Apothekers, so sei dies
falsch. Wer die Apotheke und den Apotheker nicht mehr als unverzichtbare
Faktoren der Arzneimittelsicherheit verstehe und das Apothekenrecht auf die
Funktion beruflicher Qualitätssicherung einengen wolle, stellt die ordnungspolitische
Grundsatzfrage. Pieck: "Und deshalb sind solche Thesen nicht verbaler Puderzucker,
sondern sie enthalten Sprengstoff".
Auf schiefer Bahn: von der Apotheke zur Tankstelle
Als eine Aufkündigung der Partnerschaft interpretierte Pieck unter Beifall des
Auditoriums die Entscheidungen und Absichten einiger Hersteller,
apothekenpflichtige Arzneimittel künftig frei, zum Beispiel an BP-Tankstellen, zu
verkaufen. "Arzneimittel, die ausschließlich durch qualifizierte Abgabe in der
Apotheke Renommee und Marktanteile gewonnen hatten, werden dazu mißbraucht,
den flotten Abverkauf in Super- und sonstigen Märkten zu forcieren", erklärte er.
Der Versuch andere Vertriebskanäle zu erschließen sei Anfang der 70er Jahre der
Firma Merck schlecht bekommen. Die bis dahin apothekenpflichtigen Arzneimittel
Cebion und Multibionta waren in freiverkäufliche Präparate umgewidmet worden.
Dies provozierte einen Sturm der Entrüstung bei den deutschen Apothekern. Sie
stellten seinerzeit den Vertrieb dieser Präparate praktisch ein und erteilten mitunter
den Merck-Vertretern Hausverbot. Pieck gab zu Bedenken, daß die Apotheker
heute noch genau so marktbewußt sind wie damals. Die Mehrheit der Bevölkerung
wisse den Mehrwert der Beratung in der Apotheke zu schätzen und nehme dies
auch in Anspruch.
ABDA: Ausgleich von Meinungen und Interessen
Auch das Verhältnis der Berufsorganisationen zu ihren Mitgliedern nahm Pieck
kritisch unter die Lupe. Er beobachtet bei einem Teil der Mitglieder Desinteresse,
Resignation und Distanz zu den Berufsorganisationen bei gleichzeitigem Fehlen einer
Opposition, die man an Inhalten, an politischen oder personellen Alternativen
festmachen könnte. "Wenn die Tagesordnung einer Mitgliederversammlung nur
Formalien enthält und die gesamte politische Situation auf die Ankündigung 'Bericht
des Vorsitzenden' schrumpft, dann ist dies unter dem Aspekt der Einbindung der
Mitglieder und ihrer Sensibilisierung in diesen Zeiten nicht mehr ausreichend", so
Pieck.
Die systemfeindlichen Positionen von Krankenkassen und Gewerkschaften, auch die
Äußerungen einiger SPD-Gesundheitspolitiker außerhalb der Partei- und
Wahlprogramme seien Signale. Aus dem angekündigten Kassensturz könne sich ein
gesundheitspolitischer Wettersturz ergeben. "Es ist wahr, die Apotheker sind ein
kleiner Berufsstand, aber gerade das erfordert die Konzentration im Gefüge der
ABDA", mahnte Pieck.
PZ-Artikel von Gisela Stieve, München
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