Politik
Weder elektronische Medien noch der Beipackzettel sind ein adäquater
Ersatz für die Beratung und Dienstleistungen der Apotheker rund um das
Arzneimittel. Der Präsident der Bundesapothekerkammer (BAK), Dr.
Hartmut Schmall, hat in seiner Eröffnungsrede zum Fortbildungskongreß in
Westerland dazu aufgefordert, durch spezifische apothekerliche Leistungen
die Menschen von der Unverzichtbarkeit des Apothekers zu überzeugen.
Der Vertrieb von Arzneimitteln über andere Kanäle als die Apotheke bergen nach
Schmalls Einschätzung erhebliche Gefahren für den Patienten. So werden von
einigen Anbietern im Internet Medikamente für Indikationen offeriert, für die keine
Zulassung vorliege. Das Anti-Parkinson-Mittel Deprenyl könne dort online bestellt
werden, nach den Werbeversprechungen des Anbieters soll es lebensverlängernd
wirken. Das Psychopharmakon Pirocetamin soll die Intelligenz steigern können.
Nach wie vor ein Dorn im Auge sei auch die britische Versandhandelsfirma Express
Medical Sevice, die von London aus Arzneimittel nach Deutschland versendet. Der
BAK-Präsident unterstrich, daß die Standesvertretung mit allen Mitteln gegen diese
Praktiken vorgehen werde. National bestehe auch ein weitgehender Konsens, den
Versandhandel mit Arzneimitteln zu verbieten. Auf europäischer Ebene sei eine
Einigung jedoch weitaus schwieriger, da nicht einmal die europäischen Apotheker
eine einheitliche Position zum Versandhandel hätten. Schmall warnte davor,
Versandapotheken als lukratives Geschäft für Apotheker anzusehen. Die Leistungen
einer Versandapotheke könnte auch ohne Apotheker erbracht werden. Langfristig
sei deshalb dort ein Pharmazeut überflüssig.
Kritik an OECD-Bericht
Auch Apothekenketten, wie sie die OECD vor wenigen Wochen in ihrem
Jahresbericht gefordert hat, lehnte Schmall ab. Apothekenketten hätten nur das Ziel
einer Gewinnmaximierung, im Zentrum ihres Bestrebens stehe die Kostenreduktion.
Selbst wenn jede Filiale einer Kette von einem qualifizierten Apotheker geleitet
würde, könnte dieser seine Kunden aus Kostengründen nicht ausreichend beraten,
denn diese Leistung widerspreche einer Kostenminimierung.
Eine Zulassung von Apothekenketten bedeute auch das Ende der
Arzneimittelpreisverordnung, denn Ketten könnten nur dann Medikamente billiger
abgeben, wenn die Preisbindung aufgehoben würde. Schmall bezeichnete die
Arzneimittelpreisverordnung als "eine der tragenden Säulen der
Arzneimittelversorgung. Sie erspare es dem Kranken, von Apotheke zu Apotheke
zu gehen, um nach dem günstigsten Angebot zu fahnden. Zudem sei sie eine
Mischkalkulation, die nicht nur materielle, sondern auch immaterielle Kosten, wie
Beratung und Information abdecke. Schmalls Fazit zu den OECD-Vorschlägen :
"Dies bedeutet Arzneimittelsicherheit auf niedrigem Niveau und ist eine
Kriegserklärung an alles, wofür wir Apotheker uns nachdrücklich einsetzen."
Untersuchungen zufolge würden auch heute noch fast die Hälfte aller Mittel nicht
richtig eingenommen. Hier sei der Apotheker gefordert, so Schmall. "Wir müssen
jedem Patienten eine individuelle Beratung anbieten, die ihn vom Nutzen der ihm
verordneten Therapie überzeugt und ihm mögliche Ängste nimmt." Die im
ABDA-Konzept geforderte Intensivierung der Beratung sei deshalb auch keine
modische Zeiterscheinung, sondern "ein Kapital, das es zu vermehren gilt."
Die intensive Beratung der Patienten ist eine Grundbedingung für die
pharmazeutische Betreuung. Allerdings bedeute Pharmaceutical Care mehr als gute
Beratung. Schmall: "Sie ist die Begleitung des Patienten während einer Therapie
durch den Apotheker in enger Abstimmung und Zusammenarbeit mit dem Arzt. Sie
solle dem Patienten den für ihn bestmöglichen Gesundheitszustand während der
gesamten Therapie gewährleisten. Die Konzepte der Pharmazeutischen Betreuung
seien dynamisch und müßten kontinuierlich weiterentwickelt werden. Schmall lud
deshalb alle Apothekerinnen und Apotheker dazu ein, das 2. ABDA-Symposium
"Pharmaceutical Care" am 22. und 23. November in Frankfurt zu besuchen, um dort
mit Kolleginnen und Kollegen aus der Offizin über die praktische Umsetzung zu
diskutieren.
An Strukturverträgen beteiligen
Der § 73a SGB V ermöglicht es Krankenkassen und Ärzten, Versorgungsverträge
abzuschließen, deren Konsequenzen zu Lasten Dritter gehen. So können Kassen
und Kassenärztliche Vereinigungen Leistungsbudgets vereinbaren, in die auch
veranlaßte Leistungen einbezogen sind. Der Arzt erhält eine Kopfpauschale pro
Patient, durch die er auch die verordneten Arzneimittel finanziert. Schmall warnte
davor, sich solchen Verträgen rundweg zu verweigern: "Eine Ablehnung hilft uns
nicht weiter, die Fakten sind geschaffen. Wir müssen uns daher um eine aktive
Einbindung des Apothekers bemühen." Sorge, daß Ärzte eine Kooperation mit den
Apothekern ablehnen, hat Schmall nicht, denn "unsere Vorschläge für einen
effektiven und zugleich kostengünstigen Einsatz von Arzneimitteln können sich sehen
lassen".
Auch wenn das aktuelle Szenario keinen Grund zur Euphorie bietet, sieht Schmall
keinen Grund dafür in Larmoyanz zu verfallen. Die Pharmazeuten hätten es in der
Hand, die Menschen davon zu überzeugen, daß apothekerliche Leistung zum Wohle
des Patienten sei. Es bestehe zwar nicht in jedem Punkt Einigkeit, doch eines sei
sicher: "Der Sachverstand des Apothekers wird auch in Zukunft benötigt."
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Westerland
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