Politik
Der Generalangriff auf die klare ordnungspolitische Trennung zwischen
ambulanter und stationärer Arzneimittelversorgung durch die
Bundesratsinitiative des Landes Berlin vom 6. Mai 1997 auf Änderung des
Apothekengesetzes, die Angriffe auf den Vertriebsweg öffentliche Apotheke
und auf die Arzneimittelpreisverordnung als Säulen der beruflichen
Tätigkeit - das waren bisher die drei schwerwiegendsten Themen 1997 für
die Apothekerschaft. Zuletzt hat der Deutschland-Bericht der OECD mit
seiner Forderung nach Kettenapotheken das geltende System in Frage
gestellt. Was bringen nach diesen Vorkommnissen die letzten Monate
dieses Jahres, wollten wir von ABDA-Präsident Hans-Günter Friese wissen.
PZ: Wie schätzen Sie die gesundheitspolitische Großwetterlage eine?
Friese: Die Bundesregierung und die parlamentarische Mehrheit haben mit der
dritten Reformstufe im Gesundheitswesen Wege zu mehr Flexibilität geebnet. So
sind die Partnerschaftsmodelle eine Möglichkeit zu mehr Gestaltungs- und
Vertragsfreiheit, die dem Patienten nutzen soll. Große Bedenken haben wir, ob dies
auch bei den Strukturverträgen gelingt, weil die Möglichkeit nicht auszuschließen ist,
daß Verträge zu Lasten Dritter abgeschlossen werden und sich ein
Bonus/Malus-System zwischen Kassen und Ärzte zum Schaden der Beitragszahler
herausbildet. Die Empfehlungen der KV Hessen lassen diesen Schluß zu. Es kann
nicht angehen, daß sich Kassen und KVen auf Verträge einigen, die den
Arzneimittelhersteller und Apotheker ausschließen und damit ein wichtiges Kapitel
für den Patienten, nämlich seinen Anspruch auf eine qualitativ hochstehende
Arzneimittelversorgung übergehen.
Qualitätssicherung und Kostenkontrolle werden auch in Zukunft maßgeblich die
Diskussion um die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens in Deutschland
bestimmen.
PZ: Wie beurteilen Sie den Zusammenhalt der ABDA, der angesichts der
anstehenden Probleme wichtiger als je zuvor erscheint?
Friese: Die Apothekerschaft steht vor großen Herausforderungen. Nicht nur der
allgemeine Leidensdruck, sondern gerade auch die Einsicht in weiten Teilen der
Kollegenschaft, daß diesen Herausforderungen in erster Linie mit Kreativität und
pharmazeutischer Kompetenz begegnet werden muß, läßt die Apotheker noch enger
zusammenrücken, was ich dankenswerterweise, meist ermutigend und dadurch
zusätzlich motivierend, über Briefe und Telefonate erfahren darf.
Der gerade veröffentlichte OECD-Bericht belegt einmal mehr, daß vermeintlich oder
tatsächlich notwendige Veränderungen im Gesundheitswesen nahezu ausschließlich
unter ökonomischen Aspekten diskutiert werden. Die dadurch möglicherweise
eintretende, qualitativ schlechtere Arzneimittelversorgung der Patienten und Kunden
wird entweder fahrlässig oder absichtlich verschwiegen. Diese Vorgehensweise von
"interessierten Kreisen" gilt es zu entlarven: Vorrang vor ökonomischen
Gesichtspunkten muß die qualitativ gute, pharmazeutische Arzneimittelversorgung
haben. Lamentieren hilft nicht: Über die von dem Patienten und Kunden täglich
erlebte Praxis müssen wir beweisen, daß unser Arzneimittelversorgungssystem
bedingt durch den heilberuflich tätigen Apotheker eben besser ist.
Die Berufsorganisationen, sprich Apothekerkammern und Apothekerverbände, sind
dabei aufgefordert, den Kollegen an der Basis Hilfestellungen anzubieten. Dabei ist
eine sinnvolle Aufgabenteilung zwischen ABDA, BAK und DAV sowie den
Landesorganisationen notwendig. Meinungsverschiedenheiten müssen im
demokratischen Meinungsbildungsprozeß erörtert werden.
PZ: Arzneimittel ist keine Ware an sich, sondern verlangt immer nach Beratung. Was
tut die Selbstverwaltung, um die pharmazeutische und im eigentlichen Sinn des
Wortes soziale Qualifikation des Apothekers à jour zu halten, wie rüstet sich der
Berufsstand für die bevorstehenden Aufgaben?
Friese: Kammern und Verbände leisten in den einzelnen Ländern ganze Arbeit, um
den Apotheker vor Ort über Fort- und Weiterbildungskurse in pharmazeutischer
und wirtschaftlicher Hinsicht verstärkt zu qualifizieren. Kommunikationsseminare zum
Beispiel sind nur ein Teil des Angebots, um die wertvolle psychosoziale
Komponente der Apotheke zu gewährleisten. In diese Richtung zielen auch die
großen Fortbildungskongresse der Bundesapothekerkammer in Davos, Meran und
Westerland sowie das Wirtschaftsforum des DAV in Baden-Baden. Die
Teilnehmerzahlen beweisen, daß die einzelne Apothekerin und der einzelne
Apotheker die Verpflichtung zur Fortbildung, die in den Heilberufsgesetzen
festgeschrieben und das Hauptelement der Weiterentwicklung eines freien Berufes
ist, ernst nehmen.
In diesem Jahr wird außerdem in Düsseldorf anläßlich des Deutschen
Apothekertages die Ausstellung Expopharm erstmalig mit einem
Kongreß
gekoppelt. Damit wird ebenfalls belegt, daß es nicht ausreicht, die Ware, das
Arzneimittel, zu kennen, sondern daß das Arzneimittel nur mit der Beratung eine
Einheit wird und beides zusammengehört.
Die Mitgliedsorganisationen der ABDA und weite Teile der Apothekerschaft haben
erkannt, daß über Zukunftsprojekte in die Weiterentwicklung unseres Berufsbildes
investiert werden muß, um auch in den nächsten Jahren den Anforderungen der
Gesellschaft gerecht werden zu können. Wer nämlich nicht handelt, wird behandelt!
PZ: Auf was müssen sich die Apotheker einstellen, wenn es - verschiedenen
Meinungsumfragen zufolge - zu einem Regierungswechsel rot/grün kommt?
Friese: Es ist aus meiner Sicht falsch, wenn sich die Politik der ABDA nach den
jeweils Regierenden ausrichten würde. Die ABDA wird sich in Gesprächen mit den
Parteien und deren Orientierungen auseinandersetzen. Für mich ist aber viel
wichtiger, daß die Apothekerschaft selbst aktiv in die Politik eingreift und gegenüber
der Politik ihre Vorstellungen einer zukunftsorientierten Arzneimittelversorgung
vertritt, egal, welche Farbe die Regierung hat. Wichtig ist mir auch, selbst die
Leitlinien für die Zukunft der Apotheke zu bestimmen als es der Politik zu
überlassen, was sie mit den Apothekern vorhat. Der Deutsche Apothekertag in
Düsseldorf wird einmal mehr die Gelegenheit bieten, diese Leitlinien substanziell
auszubauen, damit sie für die Politik noch besser nachvollziehbar sind.
Die Fragen stellte Hartmut Morck, Eschborn
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