Politik
Drei Jahre nach Abschluß der parlamentarischen Untersuchungen über
die Affäre um HIV-verseuchtes Blut und Blutprodukte zeigten sich der
sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Horst Schmidbauer und die
Deutsche Hämophiliegesellschaft (DHG) unzufrieden mit den bisher aus
dem Ereignis gezogenen Konsequenzen. Unverändert bestünden
beträchtliche gesundheitliche Risiken beim Einsatz von Blut und
Blutprodukten. Alle betroffenen Patienten liefen weiterhin Gefahr, sich mit
Hepatitis C zu infizieren.
Trotz einer neunmonatigen Inkubationszeit bei dem Virus werde Spenderblut nicht
selten schon bis zu drei Monate vor Ablauf der Zeit getestet. Eine heute bereits
mögliche zusätzliche Analyse auf den Hepatitis-C-Erreger unterlasse die
pharmazeutische Industrie mit Wissen des Bonner Ministeriums und seiner für die
Arzneimittelsicherheit zuständigen nachgeordneten Behörden aus Kostengründen.
Schmidbauer und Ute Braun, Vorsitzende der Deutschen Hämophiliegesellschaft,
traten zudem dafür ein, die Finanzmittel der seinerzeit eingerichteten Stiftung zur
Entschädigung der Opfer aufzustocken und Ansprüche von mittelbar Betroffenen zu
befriedigen. Angehörige und nichteheliche Lebenspartner von inzwischen
verstorbenen Infizierten gingen derzeit immer noch leer aus.
Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer mochte die Vorwürfe nicht auf sich und
seinem Ressort sitzen lassen. Er konterte die Angriffe mit der Bemerkung, die
Sicherheit von Blutprodukten habe sich in den letzten Jahren "entscheidend
verbessert".
Zugleich warb er um Verständnis dafür, daß die seinerzeit vom Bundestag
geforderte Neuordnung des Arzneimittel-Haftungsrechts noch einige Zeit in
Anspruch nehmen werde. Hier prüfe das federführende Justizressort derzeit
Empfehlungen einer interministeriellen Arbeitsgruppe. Angesichts der "komplizierten
Materie" sei es zunächst wesentlich wichtiger gewesen, die Opfer der Affäre zu
entschädigen und Lücken bei der Sicherheit von Blut und Blutprodukten zu
schließen. Mittlerweile habe die Bundesrepublik auf diesem Gebiet ein Spitzenniveau
erreicht. Ein nicht auszuschließendes Restrisiko bestehe allerdings in menschlichem
Fehlverhalten.
Unter Hinweis auf weiterhin ausstehende Vorschläge für ein wirksameres
Arzneimittel-Haftungsrecht sprachen Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen
nach den öffentlichen Äußerungen des Bundesgesundheitsministers von einem
"Kniefall" Seehofers vor der mächtigen Pharmaindustrie. Damit habe er die
betroffenen Patienten bitter enttäuscht.
PZ-Artikel von Jürgen Becker, Bonn
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