Politik
Der Risikostrukturausgleich (RSA) zwischen den Krankenkassen ist
umstritten. Während Kassenvertreter in dem Finanztransfer die Grundlage
für einen fairen Wettbewerb sehen, will ihn der Gesundheitsökonom
Professor Dr. Peter Oberender, Bayreuth, so schnell wie möglich
abschaffen.
Oberender hält die Kriterien zur Berechnung des RSA für vollkommen willkürlich.
Die Einflußgrößen auf den Beitragssatz seien nicht vollständig bekannt, und es gebe
keine eineindeutigen Kausalbeziehungen zwischen Beiträgen und Struktur des
Versichertenkollektivs, sagte er auf einer Veranstaltung von Handelsblatt und
Euroforum am 29. und 30. Juni in Frankfurt. Es sei unmöglich, strukturbedingte von
anderen Einflußgrößen zu trennen.
Der Bayreuther Ökonom befürchtet, daß der RSA Krankenkassen zu
unwirtschaftlichem Verhalten ermuntert. Effizient arbeitende Kassen werden seiner
Meinung nach benachteiligt. Das Resultat des RSA sei eine Einheitskasse.
Ein wirklicher Wettbewerb der gesetzlichen Krankenkassen sei nur möglich, wenn
der RSA abgeschafft werde, was nach Oberender nur eine Frage der Zeit sei. Er
favorisiert einen "Wettbewerb der Kassen um Mitglieder und Leistungserbringer".
Voraussetzung dafür sei ein Kontrahierungszwang und Diskriminierungsverbot. Eine
Krankenkasse muß jeden aufnehmen, der Mitglied werden möchte.
Zweite Voraussetzung für einen offenen Wettbewerb um die bestmögliche
Versorgung sei die Möglichkeit, Verträge mit einzelnen Leistungserbringern
abzuschließen, also eine Abkehr von dem Grundsatz "einheitlich und gemeinsam".
Danach dürften sich Krankenkassen einzelne Ärzte, Krankenhäuser oder Apotheker
herausgreifen, die Leistungen zu Lasten der Kasse erbringen dürfen.
Knieps: RSA ermöglicht Wettbewerb
Viele Vertreter der Krankenkassen teilen Oberenders Meinung nicht. So sieht Franz
Knieps, Leiter des Stabsbereichs Politik im Bundesverband der Allgemeinen
Ortskrankenkassen (AOK), den RSA nicht als Hemmnis für Wettbewerb, sondern
als dessen Grundlage. Der RSA garantiere die Grundprinzipien einer solidarischen
Krankenversicherung.
Vor seiner Einführung habe eine faktische Ungleichbehandlung von Arbeitern und
Angestellten bestanden. Arbeiter, die fremdbestimmt den Ortskrankenkassen
zugewiesen wurden, hätten einen deutlich höheren Beitragssatz bezahlen müssen als
Angestellte. In einem freien Wettbewerb der Kassen habe die AOK ohne den RSA
keine Chance, da sie eine ungünstigere Mitgliederstruktur habe als etwa die
Betriebskrankenkassen oder die Technikerkrankenkasse.
Falsch sei Oberenders Behauptung, der RSA belohne unwirtschaftlich arbeitende
Kassen, denn Berechnungsgrundlage seien nicht die Ausgaben einer Versicherung,
sondern ausschließlich die Risikostruktur der Mitglieder. Dadurch verhindere der
RSA auch einen Wettbewerb um junge, gesunde Menschen und helfe somit,
unnötige Ausgaben für Marketing zu vermeiden.
Knieps erwartet, daß der RSA in den nächsten Jahren nicht angetastet wird. Nach
seiner Aussage streben die Spitzenverbände der Gesetzlichen Krankenversicherung
ein Moratorium an, in dem der RSA für die nächsten vier Jahre in seiner
bestehenden Form festgeschrieben werden soll.
Regionale Aspekte berücksichtigen
Schützenhilfe erhielt der AOK-Funktionär von Professor Dr. Jürgen Wasem,
München. Er plädiert ebenfalls dafür, den RSA beizubehalten und so die
Risikoselektion im Wettbewerb zu verhindern. Ihm fehlen in der Berechnung
allerdings regionale Aspekte. Heute werde der Finanztransfer zwischen den Kassen
bundesweit berechnet. Dies führe zu Wettbewerbsunterschieden zwischen regional
und überregional agierenden Kassen, sagte der Gesundheitsökonom.
In Regionen mit einem hohen Preisniveau - und damit auch hohen Gesundheitskosten
- haben regional agierende Krankenkassen, etwa die Ortskrankenkassen und
Innungskrankenkassen, einen Nachteil gegenüber deutschlandweit agierenden
Kassen, sagte Wasem. Sie erhalten zwar Ausgleichszahlungen aus dem RSA, doch
reiche dies angesichts der überproportional hohen Kosten nicht aus, um den
Beitragssatz national operierender Konkurrenten zu halten (besonders hoch seien die
Preise in Berlin und Hamburg).
Letztere können durch einen bundeseinheitlichen Beitragssatz auch in
Hochpreisregionen einen günstigen Tarif anbieten. Umgekehrt verhält es sich in
Gebieten, in denen das Preisniveau niedrig ist. Dort liege der Vorteil bei den regional
operierenden Kassen.
Wasem schlägt deshalb regionale Beitragssätze und eine regionale Berechnung des
Risikostrukturausgleiches vor. Alternativ zum regionalen RSA sei auch ein
bundesweiter mit intraregionalen Ergänzungen denkbar, um einen echten
Wettbewerb zwischen den Krankenkassen zu ermöglichen.
Kassen fordern Vertragsfreiheit
Während sich die Vertreter der Krankenkassen mit dem Wettbewerb in der GKV
nicht ganz leicht tun, geht er ihnen auf der Seite der Anbieter nicht weit genug. So
forderte der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes der Innungkrankenkassen,
Rolf Stuppardt, mehr Vertragsfreiheit. Wie bereits von Oberender angeregt, möchte
er mit einzelnen Leistungsanbietern Verträge abschließen.
Der Kassenfunktionär erwartet, daß die Möglichkeit Einzelverträge abzuschließen,
Ärzte und Krankenhäuser zu mehr Effizienz zwingt und damit die Behandlungskosten
reduziert. In diesem Punkt scheint unter den Krankenkassen ein weitgehender
Konsens zu bestehen, denn auch der Vorstandsvorsitzende des
BKK-Landesverbandes Bayern, Gerhard Schulte, und Dr. Eckart Fiedler,
Vorstandsvorsitzender der Barmer Ersatzkasse, wollen von der gesetzlichen
Verpflichtung zu einheitlichen und gemeinsamen Verträgen weg - angesichts ihrer
Marktmacht ein nachvollziehbarer Wunsch, denn Leistungsanbieter müßten die
Konditionen der Kassen wohl in den meisten Fällen bedingungslos akzeptieren.
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Frankfurt
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