Politik
Erhebliche Bedenken
gegen die Strukturverträge, die durch das 2.
GKV-Neuordnungsgesetz möglich werden, hat der
Vorsitzende des Bundesverbandes der Pharmazeutischen
Industrie (BPI), Professor Dr. Hans Rüdiger Vogel, jetzt
auf der Hauptversammlung seines Verbandes in Bonn
geäußert. Durch Strukturverträge könnten Ärzte und
Krankenkassen beliebig Leistungen aus der gesetzlichen
Krankenversicherung ausgrenzen und das ganze System auf
den Kopf stellen. Den neuen § 73a des 5.
Sozialgesetzbuches habe die Koalition zu guter letzt noch
als Kuckucksei ins Nest gelegt.
Der BPI habe sich stets gegen die Verknüpfung
von ärztlichem Honorar und veranlaßten Leistungen
gewandt, wie sie jetzt in Form von Managed Care,
vernetzten Praxen und Health Maintenance Organizations
machbar sind. Diese neuen Versorgungsformen könnten
unbefristet und bedauerlicherweise ohne wissenschaftliche
Überprüfung der therapeutischen Folgen in das
herrschende System eingeführt werden. Vogel sieht in den
Strukturverträgen einen Beweis dafür, daß aus der
angekündigten gleichberechtigten Mitwirkung aller
Beteiligten im Gesundheitswesen wenig geworden sei.
"Pharmaindustrie, Apotheker und Physiotherapeuten,
um nur einige zu nennen, haben noch immer hinzunehmen,
was Kassen und Ärzteschaft zu Lasten dritter
vereinbaren", so Vogel. Der BPI forderte daher,
wenigstens beim Bundesausschuß der Ärzte und
Krankenkassen, der künftig mehr denn je über die
Arzneimittelversorgung entscheidet, einen
medizinisch-pharmazeutischen Beirat einzurichten. Der
Bundesausschuß könne damit ein Zeichen für
partnerschaftliche Entscheidungen im Gesundheitswesen
setzen.
Die in der dritten Stufe der Gesundheitsreform
vorgesehene Ablösung des Arzneimittelbudgets durch
arztspezifische Richtgrößen begrüßte der
BPI-Vorsitzende. Dadurch würden künftig
Arzneimittelrationierungen vermieden. Außerdem werde
sichergestellt, daß das Arzneimittelangebot nicht
ausgedünnt werde und der Arzt dem Patienten weiterhin
alle Medikamente verordnen kann.
"Reiche arme Gesellschaft"
Nachdenklich stimmte Professor Dr. Norbert
Walter, Chefökonom einer großen Bank, mit seinem
Vortrag "reiche arme Gesellschaft". Der
Reichtum dieser Gesellschaft bestehe in ihrer
Vergangenheit. Arm sei sie dagegen an Zukunft, Optimismus
und Zuversicht. Arm sei die deutsche Gesellschaft aber
auch, weil sie sich eine düstere Zukunft einrede und
weil sie aus den guten Substanzwerten nichts machr. Für
Walter ist die deutsche Gesellschaft das Spiegelbild der
Titanic: "Schweißen wir die Rettungsboote fest,
damit sie uns nicht beim Tanzen stören".
Insofern sei der Weg zurück der Weg aus der Krise. Wir
brauchen Besinnung auf die Jahrhunderte geltenden,
offenkundig erfolgreichen Werte: Familie, privates
Eigentum und Aufrichtigkeit oder Selbstverantwortung im
Sinne des englischen Begriffs honesty. Deutschland
brauche eine offene Gesellschaft und Wettbewerb. Der Wahn
der Arbeitszeitverkürzung ist Walter unverständlich.
Deutschland könne international keine Rolle spielen,
wenn hierzulande - von zu wenigen Ausnahmen abgesehen -
ein Entwicklungsingenieur 45 Stunden pro Woche, in den
USA 65 Stunden und in Japan 70 Stunden arbeite.
Auch in der Sozialpolitik muß die Gesellschaft von der
Vollkaskomentalität zur Selbstverantwortung finden. Die
Rentner müßten ihre Ansprüche korrigieren. Die aktive
Generation, die heute die Renten finanziert, trage eine
Doppelbelastung, weil sie neben den Renten ihre eigene
Altersversorgung erarbeiten muß. In der
Krankenversicherung geht für Walter kein Weg an einer
obligatorischen, staatlich verordneten Selbstbeteiligung
vorbei.
PZ-Artikel von Gisela Stieve, Bonn
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