Politik
"Wir haben wirklich einen Glücksgriff getan. Mit relativ moderaten
Investitionen haben wir in der Beratung von Arzt und Patient einen echten
Fortschritt realisiert." Begeisterung spricht aus den Worten des Thüringer
Kammerpräsidenten Dr. Egon Mannetstätter, wenn er von seinen
Erfahrungen mit Patientenkarten berichtet. Mit dem Einverständnis der
Patienten speichert er deren Arzneimitteldaten im apothekeneigenen
Computer.
Vor genau einem Jahr haben er und seine Tochter Antje Mannetstätter die
Patientenkarte in ihren beiden Apotheken eingeführt. Dabei haben sie bewußt den
Zeitpunkt der drastischen Zuzahlungserhöhungen genutzt, um Kunden auf den
Nutzen der Karte hinzuweisen. Wird jede Zuzahlung gespeichert, so kann am
Jahresende ein sauberer Sammelbeleg ausgedruckt werden. Ebenso kann der
Apotheker sofort informieren, wenn die Zuzahlungen die Härtefallgrenze erreicht
haben. Pluspunkt für den Patienten: Er kann sich von der Kasse sofort befreien
lassen und muß für den Rest des Jahres keine Zuzahlung mehr leisten.
Doch den eigentlichen Nutzen der patientenbezogenen Datenspeicherung sieht
Mannetstätter in der verbesserten Beratung und Betreuung seiner Kunden. Das
haben viele offenbar auch so verstanden. Etwa 1 000 Kunden der Hirsch-Apotheke
haben seither schriftlich ihr Einverständnis erklärt, daß "ihre" Apotheke
Arzneimitteldaten speichern und für die Interaktionsprüfung nutzen darf.
Schätzungsweise ein Drittel der Thüringer Kollegen pflegt ebenfalls diese Art der
Kundenbetreuung.
Während das Rezept gescannt wird, läuft automatisch der Interaktionscheck auf der
Basis der ABDA-Datenbank. Angesichts der Fülle möglicher Wechselwirkungen
werden der Schmalkaldener Apotheker und sein Team nur bei praktisch relevanten
Interaktionen aktiv. Im Klartext: Sie rufen den Arzt direkt an, informieren ihn über
die Wechselwirkung und diskutieren Alternativen. "Dabei muß man sehr vorsichtig
sein", gibt Mannetstätter zu bedenken, doch: "Viele Ärzte haben jetzt den Nutzen
unseres Eingreifens eingesehen." Etwa ein- bis zweimal pro Tag können auf diesem
Weg Arzneimittelprobleme zum Nutzen des Patienten gelöst werden. Ein Beispiel:
Die gleichzeitige Verordnung von Eisensalzen und Doxycyclin. Da das Kation durch
Komplexbildung die antimikrobielle Wirkung des Tetracyclins einschränken kann,
muß eventuell dessen Dosis erhöht oder Eisen vorübergehend abgesetzt werden.
Arzt und Apotheker konnten dies gemeinsam klären.
Der Offizinapotheker ist begeistert von den neuen Möglichkeiten, die ihm die
Technik erlaubt: "Erstmals sind wir Apotheker in der Lage, bei der Medikation
gegenüber dem Arzt mitzureden, da wir die gesamte, auch die zurückliegende
Arzneitherapie überblicken können. Wir sind sogar im Vorteil, weil wir alle
Verordnungen verschiedener Ärzte für einen Patienten kennen und zudem noch
dessen Selbstmedikation berücksichtigen können."
Natürlich gibt die Karte auch bei der Selbstmedikation mehr Sicherheit, da der
Apotheker den Kunden vor Unverträglichkeiten zwischen Selbstmedikations- und
rezeptierten Arzneien rechtzeitig warnen kann. Mannetstätter erinnert sich an einen
Patienten, der wegen eines grippalen Infektes Aspirin® Brause verlangte. Der
Check zeigte die rote Karte: Der Patient spritzte Enoxaparin. Das Schmerzmittel
könnte die gerinnnungshemmende Wirkung des Heparins verstärken und die
Blutungsneigung erhöhen. Mit Paracetamol wird diese Gefahr vermieden.
Stört die Computerabfrage nicht das Kundengespräch? In Stoßzeiten sei der
routinemäßige Check manchmal lästig, gibt Mannetstätter zu. Doch er ist ganz
Heilberufler: "Die Aufgabe des Apothekers ist es zu beraten und zu informieren.
Soviel Zeit muß immer sein."
Der Wermutstropfen? Man bräuchte mehr Zeit, um die gewonnenen Daten noch
besser auswerten zu können, meint der Apotheker. Zum Beispiel für eine
umfassende pharmazeutische Betreuung einer Zielgruppe. Mannetstätter denkt an
junge Diabetiker oder an Hochdruckpatienten. Man könnte die Entwicklung des
Blutdruckes unter verschiedenen Medikationen verfolgen, deren Verträglichkeit
dokumentieren und gemeinsam mit dem Arzt eine maßgeschneiderte
Hypertonietherapie entwickeln. Interessant wäre auch, die Verordnungen auf
Privatrezepten zu analysieren. Erfahrungen und Hinweise aus der Praxis könnten
zudem mit Daten untermauert werden und in die ABDA-Datenbank zurückfließen.
Der Thüringer Apothekerpräsident hätte die A-Card bevorzugt; "doch die gab es
damals nicht". Die Speicherung der Daten direkt auf der Karte sieht er als vorteilhaft
für sehr mobile Patienten; wer häufig den Ort wechselt, könne in jeder Apotheke
fundiert beraten werden. Andererseits binde die apothekeneigene Karte den
Patienten an die Apotheke. Insofern sei sie ein Marketinginstrument, sagt
Mannetstätter, der im gleichen Atemzug die Gewährung eines Rabattvorteils und die
Werbung dafür als unethisch und irreführend scharf anprangert.
Kommt die Smart-Card, will er zweigleisig fahren. "Für Stammkunden werde ich die
Daten zusätzlich in meinem Computer speichern, denn für eine echte
pharmazeutische Betreuung brauchen wir die Daten im eigenen Haus - und viel Zeit."
PZ-Artikel von Brigitte M. Gensthaler, Erfurt
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