Politik
Managed Care ist eine Chance für die Apotheke. Dennoch ist der
Berufsstand in den meisten Projekten nicht vertreten. Diese Tatsache
stellten die Podiumsteilnehmer des Gesundheitspolitischen Forums am 3.
Juni in Heidelberg, zu dem Landesapothekerkammer und -verband
Baden-Württemberg sowie die Pharmazeutische Zeitung eingeladen hatten,
einhellig fest. Je nach Interessenlage - ob Pharmahersteller, Krankenkasse,
Arzt oder Patient - wird den Apothekern unterschiedlich viel Raum zur
Mitgestaltung und Mitverantwortung in der Diskussion zugestanden.
Managed Care will hohe Versorgungsqualität zu günstigen Kosten sicherstellen. Eine
annehmbare Übersetzung des Begriffs sah PZ-Chefredakteur Dr. Hartmut Morck,
Moderator der Runde, in "geführte Betreuung", weil sich die Krankenversicherer
anschickten, Kosten- und Therapiepläne zu steuern und zu regulieren.
Unbeantwortet sei bisher die Frage geblieben, welche Rolle die einzelnen Beteiligten
künftig in vernetzten Managed-Care-Strukturen spielen.
Der niedergelassene Arzt und Gründer des Bundesverbandes Managed Care, Dr.
Klaus Meyer-Lutterloh, hält eine Vernetzung vorhandener Strukturen für dringend
notwendig. Wer sich nicht beteilige, werde das Gorbatschow-Wort "Wer zu spät
kommt, den bestraft das Leben", zu spüren bekommen. Schnittstellen müßten zu
Nahtstellen werden, so daß die Informations- und Kommunikationsflüsse nicht
behindert werden. Wenn ein Netz funktioniert, werden die Patienten optimal
versorgt, und Kosten werden eingespart, ist Meyer-Lutterloh überzeugt.
"Strategische und operative Allianzen aufbauen"
Befürchtungen der Apotheker, im System nicht mehr gebraucht zu werden, hält der
Arzt für unbegründet. "Bauen Sie auf Ihre Stärken", riet er den Apothekern. Er
selbst habe aus einer Verordnungsanalyse, die er mit einem Pharmazeuten diskutiert
hat, viel gelernt und empfiehlt diesen interdisziplinären Austausch seinen Kollegen.
Im Datenfluß werde auch das elektronische Rezept Einzug finden, so daß Apotheker
in der Pharmakotherapie einen Teil der Patientenführung übernehmen könnten.
Schulungen für die neue Aufgabe und Verantwortung sollten als zusätzliche
Qualifikation nicht gleich von der Hand gewiesen werden. Dies gelte nicht nur für die
Leistungserbringer, sondern auch für die Netzpatienten. Es müssen strategische und
operative Allianzen aufgebaut werden.
Dem stimmte der Vorstandsvorsitzende des BKK Landesverbandes Bayern,
Gerhard Schulte, voll zu. Es gehe einzig und allein um eine Optimierung der
Versorgungsabläufe. Das überreiche Angebot an Gesundheitsdienstleistern und enge
gesetzliche Vorgaben behinderten die Reformbemühungen der gesetzlichen
Krankenkassen. Die dritte Stufe der Gesundheitsreform habe keine
durchschlagenden Erfolge gezeigt. Es müßten neue Verträge zwischen Versicherern
und Leistungsanbietern her. Hier zeichneten sich aber nur zögerliche Versuche ab.
Daß Apotheker und Apotheken in der Diskussion keine nennenswerte Rolle spielen,
ist nach Schultes Worten "ein Erfolg der Politik der Standesführung". Sie habe es
verstanden, den Arzneimittelbereich aus den Erprobungsregelungen rauszuhalten.
Nur über eine Stärkung der ambulanten Medizin könne die Versorgung verbessert
werden, wobei "gute Arzneimittel durchaus Gegenstand von Netzüberlegungen sein
werden". Allerdings müsse die Handelsschiene gelockert werden. "Daran wollen wir
wackeln". Seehofers beruhigende Worte hätten nur bis zum 27. September
Wirkung. Für Schulte besteht kein Zweifel, daß danach - unabhängig vom
Wahlausgang - der Versandhandel für Arzneimittel kommt "für die Patienten, die
sich der Mühe der Bestellung unterziehen".
Einen Grund, warum "wir seit 30 Jahren immer wieder die gleiche Misere beklagen",
sieht der Versicherungsmann in der Tatsache, daß immer auch wirtschaftliche
Interessen vertreten und gegen andere Bereiche abgeschottet werden. Da sich für
die Apotheker Beratung nicht lohnt - "sie wird nur an das Arzneimittel angehängt" -
stellen die Krankenkassen Beratungsapotheker ein. Diese haben nach Schultes
Einschätzung die besseren Chancen, in Praxisnetze eingebunden zu werden als
niedergelassene Offizinapotheker.
Wirtschaftlichkeit geht Kassen vor Versorgungsqualität
Für den Vertreter der Pharmaindustrie, Rolf Reher, Bayer Vital Leverkusen, war die
wirtschaftlich ausgerichtete Argumentation Schultes interessant. Es gehe schließlich
nicht darum, wie man Arzneimittel sparen könne, sondern wie die Strukturen
effizienter gestaltet werden können. Der Begriff Prozeßoptimierung sei in den
Diskussionen offenbar immer noch ein Fremdwort.
Die Bonusverträge in Berlin, Brandenburg und Hessen hält Reher lediglich für einen
Beweis von Mismanagement. Sie werden sich für die Krankenkassen als
Minusgeschäft erweisen, weil die "teuren Patienten" ins Krankenhaus eingewiesen
werden, wodurch sie das System wesentlich mehr kosten als in der niedergelassenen
Praxis. "Das System wird sehenden Auges in die Ineffizienz getrieben", so Reher.
"Wir brauchen aber integrierte Versorgungsformen - insbesondere für chronisch
Kranke".
Integrierte Versorgungsformen - dazu habe Bayer mit der eigenen
Betriebskrankenkasse ein Pilotprojekt zur Versorgung von Diabetikern laufen. Der
Pharmahersteller praktiziere hier bereits sein neues Selbstverständnis. Er liefert nicht
nur das Arzneimittel als Software, sondern auch das Know-how und die Beratung
der Kasse in Fragen des Versorgungsmanagements. Der Modellversuch "Focus
diabeticus" beinhaltet darüber hinaus Qualitätszirkel für und mit Ärzten. Die Industrie
will im Gegenzug strategisch fair eingebunden werden. Apothekern kommt in dem
Modellversuch unter anderem die Aufgabe zu, die Compliance der Patienten zu
verbessern. Pharmazeutische Betreuung als strukturierte Therapiebegleitung - "das
geben die Apotheker hoffentlich nicht auf".
Becker: "Apotheker sind nicht Prügelknaben der GKV"
Managed Care ist nach Ansicht von Fritz Becker, Präsident des
Landesapothekerverbands Baden-Württemberg, ein reines Machtinstrument der
Kassen mit Kostenspareffekten. Apotheker sehen dagegen in Managed Care ein
Instrument zur Verbesserung der Versorgung. Amerikanische Versorgungsmuster
dürften nur wohl überlegt ins gewachsene deutsche Solidarsystem transferiert
werden. Die allgemeine Misere werde nicht verdrängt. "Sicherlich haben wir
Finanzierungsprobleme, aber dies auf hohem Niveau", so Becker.
Wie sorgfältig neue Versorgungsstrukturen vorab durchdacht werden sollten, zeigen
erste Erfahrungen mit Modellversuchen. Nach Becker warten alle rund 70 laufenden
Modelle auf Erfolgsmeldungen - ganz besonders die "abartigste Form", die
Bonusverträge. Sie werden alle mit hohem finanziellem Aufwand, also Beiträgen der
Versicherten, am Leben gehalten.
Die Krankenkassen forderte Becker auf, das Angebot der Apotheker anzunehmen:
"Die Apotheker sind die Arzneimittelfachleute im System mit Know-how, das sie in
das System einbringen könnten". Arzneimittelauswahl, Pharmaceutical Care, Drug
Monitoring, Intensivberatung seien beispielhafte Angebote zur Effizienzsteigerung im
Gesundheitswesen. Die Arzneimittellogistik auf hohem Niveau sei selbstverständlich.
"Wir sind bereit, unseren Beitrag zur Zukunftssicherung der GKV zu leisten, nicht
zum Nulltarif und auch nicht als Prügelknabe von GKV und anderen
Leistungserbringern".
PZ-Artikel von Gisela Stieve, Heidelberg
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