Politik
Für ein
fortschrittliches Europa als Ergänzung zum Nationalstaat
sprach sich Dr. Klaus Hänsch, ehemaliger Präsident des
Europäischen Parlaments, vor rund 700 Apothekern in
Meran aus. Nur mit einer Europäischen Einigung könne
man den Herausforderungen der Zukunft begegnen. Anlaß
seiner Rede zur "Zukunft Deutschlands in einem
vereinten Europa" war die Eröffnung des 35.
Internationalen Fortbildungskongresses der
Bundesapothekerkammer (BAK) in dem Südtiroler Kurort.
Hänsch beklagte, daß es in Europa inzwischen ein
verändertes Meinungsklima in Form eines neuen
Nationalismus gebe. Er denke dabei nicht so sehr an
Skinheads,
sondern an eine Art verkleideten Nationalismus in Schlips
und Kragen, der sich gegen die Europäische Einigung
wehre. Diese ablehnende Haltung gegenüber Europa hält
Hänsch für falsch: "Wir brauchen die Einigung
Europas, um den Herausforderungen der Zukunft zu
begegnen", sagte er. Ziel sei es, den Frieden zu
sichern, die Bevölkerung vor Kriminalität zu schützen
und ökologische wie ökonomische Aufgaben wahrzunehmen.
Längst seien die einzelnen Nationalstaaten dieser
Herausforderung nicht mehr gewachsen.
Fortschritt und Ausbildung
Besonders kritisch sieht Hänsch die deutsche
Beschäftigungspolitik. Es sei ein Fehler, immer nur vom
Sparen zu sprechen. Weitaus wichtiger sei die
Modernisierung in allen Bereichen. Ganz klar sprach sich
der Europapolitiker für die Förderung neuer
Technologien aus. Technischer Fortschritt und Ausbildung
seien geeignete Maßnahmen, um der zunehmenden
Arbeitslosigkeit zu begegnen. "Wir müssen weniger
in Beton als in Köpfe investieren", sagte er unter
dem Beifall der Apotheker. Die derzeitige Fehlentwicklung
könne man zum Beispiel daran erkennen, daß der Export
von Spitzentechnologien aus Deutschland immer mehr
zurückgehe. Außerdem investierten immer mehr deutsche
Unternehmen im Ausland. Als Ursache dafür nannte Hänsch
neben den Lohnkosten und gesetzlichen Auflagen den
Umstand, daß die Genehmigung eines Projekts in
Deutschland bis zu zwei Jahre dauern könne.
Thema Euro
Auch auf das Thema Euro kam Hänsch zu sprechen. Bei
allem Vorbehalt einer neuen Währung gegenüber müsse
man beachten, daß im Europäischen Binnenmarkt allein 40
Milliarden DM jährlich an Transaktionskosten für die
zur Zeit 14 verschiedenen Währungen anfielen. Damit sei
die Einführung einer einheitlichen europäischen
Währung ein Teil des anstehenden
Modernisierungsprogramms. Die Einführung des Euros als
deutsches Opfer zu sehen, läßt Hänsch nicht gelten. Es
sei auch ein nationales Interesse, in den Ländern rund
um Deutschland für eine stabile Währung zu sorgen.
Ängste in der Bevölkerung hält Hänsch dennoch für
normal. Schließlich sei die Einführung einer neuen
Währung immer mit Risiken behaftet. Beim Euro seien die
Chancen aber größer als die Risiken. Es sei zudem
falsch, die nationale Identität mit einem Geldschein
gleichzusetzen. Vielmehr sollten sich die Deutschen mit
ihrer Geschichte, der Demokratie und Gerechtigkeit
identifizieren.
Bei der Einigung Europas, so Hänsch, dürfe es nicht nur
um die Währungsunion gehen, sondern es sei vor allem
eine politische Union anzustreben. Ziele seien zum
Beispiel der Umweltschutz und der gemeinsame Kampf gegen
das organisierte Verbrechen.
Gegen den Versandhandel
Einige Bemerkungen machte Hänsch auch zur Situation der
Apotheken in Deutschland. Ganz klar sprach er sich gegen
den Versandhandel und für den Arzneimittelvertrieb über
die Apotheke aus. Der Versandhandel sei kein Beitrag zur
Verbesserung der Volksgesundheit.
Hänsch wies darauf hin, daß die Europäische Union
seines Erachtens nicht das Ende des Nationalstaates
bedeute. Sprachen, Kulturen und Traditionen blieben
erhalten. Europa sei kein Ersatz, sondern eine Ergänzung
zum Nationalstaat. "Europa muß eine
Wertegemeinschaft sein, in der die Freiheit des einzelnen
und die Verantwortung für das Ganze vorhanden
sind", so Hänsch.
PZ-Artikel von Monika Noll, Meran
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