Kassen und Ärzte mit Modellversuch im Ried zufrieden |
25.05.1998 00:00 Uhr |
Politik
Seit dem 1. April 1997 arbeitet das Netzmodell "Ärztliche Qualitätsgemeinschaft
Ried (ÄQR)", ein Zusammenschluß von 27 Praxen mit 32 Ärzten im südhessischen
Ried in der Nähe von Darmstadt. Nach Angaben von Dr. Hubert Schindler, Leiter
der Ersatzkassenverbände in Hessen, werden die Ersparnisse bei den
Arzneimittelausgaben die Aufwendungen für das Projekt von etwa 650 000 DM in
zwei Jahren ausgleichen. "Im ersten Jahr können wir Einsparungen von 302 000 DM
im Arzneimittelbereich verbuchen. Damit werden sich unsere Investitionen
amortisieren."
Die daraus resultierenden Gewinneinbußen für die Apotheker seien "bescheiden".
Schließlich hätten diese die Möglichkeit, sich auf das veränderte
Verordnungsverhalten einzustellen und danach ihr Warenlager geschickter
auszurichten, sagte Schindler. Jetzt im zweiten Modelljahr wolle man jedoch "die
Schnittstelle zu den Apothekern weiterentwickeln" und diese in die Gespräche
miteinbeziehen. Grund: "In der Apotheke landet viel Information. Der Patient macht
beim Apotheker Äußerungen, die er dem Arzt nie mitteilen würde. Diese
Information muß demnächst zum Arzt zurückfließen."
"Wir winken nicht mit einem Scheck"
Die an der Qualitätsgemeinschaft teilnehmenden Ärzte haben sich verpflichtet,
regelmäßig an Arbeitsgemeinschaften oder Pharmakotherapiezirkeln teilzunehmen.
Es werde nicht "auf Teufel komm 'raus " auf Kosten der Patienten gespart; vorrangig
sei eine Verbesserung der Therapiequalität. "Für ihr Engagement erhalten die Ärzte
momentan nur eine Aufwandsentschädigung; wir winken nicht mit einem Scheck",
rechtfertigte sich Schindler. "Wenn das Praxisnetz in Zukunft jedoch wesentliche
Einsparungen abwirft, werden die Mediziner zusätzlich belohnt."
Den Grund für die verringerten Kosten bei den Arzneimittelausgaben sieht Dr.
Jürgen Bausch, Vorsitzender der KV Hessen, in der engen und damit effektiven
Zusammenarbeit der Netzärzte. "Man kennt sich, man vertraut sich, man hilft sich."
Das komme den Patienten zugute. Für Netzärzte sei es unkomplizierter, beim
Kollegen eine Zweitmeinung einzuholen oder mit dem Facharzt-/Hausarzt-Kollegen
das Beschwerdebild des Patienten durchzusprechen. Zusätzlich brächten
Behandlungsleitlinien, die von Arbeitsgemeinschaften erarbeitet werden, mehr
Rationalität in die Indikationsstellung.
Ein weiteres wesentliches Element zur Kostensenkung ist für Bausch der
"Aha-Effekt" durch den Verordnungsspiegel, den jeder Arzt zeitnah für jedes
Quartal erhalte. Die Auswertung der Arzneimittelverordnungen bestehe aus zwei
Teilen. Der erste Teil informiere alle Netzärzte über die aktuelle Entwicklung der
Verordnungsweise im gesamten Netz im Vergleich zu einer Kontrollgruppe. Der
zweite Teil informiere jeden Arzt über sein eigenes Verschreibungsverhalten.
Darüber hinaus wird seine Praxis den Praxen der jeweiligen Fachgruppe im Ried
gegenübergestellt.
Positivliste nicht praxisgerecht
Den Plan, eine interne Positivliste zu erstellen, habe man verworfen, teilte Dr. Brigitte
Kluthe, ÄQR-Vorstandmitglied, mit. "Es hat sich herausgestellt, daß jeder Arzt ein
individuelles Verordnungsverhalten hat, von dem er nicht abläßt." Dazu gehörten
auch sogenannte umstrittene Arzneimittel, die in manchen Fällen durchaus zur
Kostensenkung beitragen könnten. "Mit einer Positivliste hätten wir die allerdings
verbannt", und sich damit ins eigene Fleisch geschnitten. Deshalb habe man sich
entschlossen, Indikationen für einzelne Medikamente zu erarbeiten.
Obwohl das Projekt gut anlaufe, sei man wahrscheinlich auch nach zwei Jahren noch
nicht soweit, die Ergebnisse auf die Allgemeinheit zu übertragen. Dafür sei das Netz
auch zu klein. "Deshalb treten wir bereits jetzt in Verhandlung, um das Projekt zu
verlängern und auszubauen", informierte Schindler über die Zukunftspläne. Defizite
gibt es beispielsweise bei der Analyse von Heilmittelverordnungen. Deren Daten
liegen erst mit einer Zeitverzögerung von mindestens neun Monaten vor, Netzeffekte
seien deshalb bisher nicht bekannt. Schwer tue man sich auch, die Verlagerung von
stationär nach ambulant in Zahlen zu beziffern, sagte Schindler. Es gebe keine
Vergleichsdaten.
PZ-Artikel von Elke Wolf, Frankfurt am Main
© 1997 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de