Politik
Kombinierte Budgets, Bonusverträge, vernetzte Praxen sind Reizwörter
für viele Apotheker. Sie befürchten, daß Ärzte unter dem Deckmantel von
Strukturverträgen und Modellversuchen vor allem ihre eigene
Ertragssituation verbessern wollen. Ärzte und Krankenkassen sehen dies
naturgemäß anders. Dr. Wulf-Dietrich Leber, Projektleiter des
AOK-Hausarztmodells, warb auf dem DAV-Wirtschaftsforum in
Baden-Baden für neue Versorgungsstrukturen.
Diese seien eine Reaktion auf die statische sektorale Budgetierung, sagte Leber. Auf
der Suche nach weiteren Wirtschaftlichkeitsreserven müßten alte
Angebotsstrukturen überwunden und effizientere Wege erprobt werden. "Wir
brauchen mehr Flexibilität."
Die gesetzliche Grundlage für Erprobungsregelungen schafft das zweite
GKV-Neuordnungsgesetz mit den §§ 63 bis 65 (Modellvorhaben) und dem § 73a
(Strukturverträge). Vor allem die §§ 63 bis 65 böten die Möglichkeit zu
Versorgungsformen außerhalb des Leistungskataloges, sagte Leber. "Das sind die
Gesetzesbrecherparagraphen." Gleichzeitig seien sie jedoch auch mit einer großen
bürokratischen Hürde behaftet: Krankenkassen, die ein Modellvorhaben starten,
müssen dies in ihrer Satzung verankern. Weitere Schwierigkeiten seien die zeitliche
Befristung auf acht Jahre, die Innovationen erschwert, und die Pflicht zur
wissenschaftlichen Evaluation, die kleine Projekt überproportional verteuert.
Leber wandte sich gegen den Vorwurf, von den heute praktizierten Bonusregelungen
würden die Mediziner auf Kosten ihrer Patienten profitieren. Krankenkassen und
Ärzte hätten darauf zu achten, daß medizinische Standards eingehalten werden und
jeder Patient alles bekomme, was er benötige. Es sei aber nicht unmoralisch, den
Ärzten einen durch die Teilnahme an Projekten entstehenden Mehraufwand zu
vergüten.
Zur Zeit kläre die AOK in einem Pilotprojekt in Frankfurt am Main und Umgebung,
welche Bedingungen ein Hausarztmodell erfüllen solle, so Leber. Dort werden 500
Diabetiker und Herz-Kreislauf-Kranke von 60 Ärzten aus 40 Praxen betreut.
Zusätzlich zu den Medizinern übernehmen geschulte Krankenschwestern die Rolle
als Gesundheitsberaterinnen, die in Absprache mit den Ärzten die Compliance der
Patienten überwachen. Bei den Patienten komme dieses Projekt gut an, Ärzte
stünden den Gesundheitsberaterinnen eher skeptisch gegenüber. Inwieweit das
Hausarztmodell dazu geeignet ist, die ambulante Betreuung zu verbessern und so die
Krankenhauskosten zu senken, ist bislang noch nicht absehbar. Trotzdem kündigte
Leber an, daß die Kassenärztliche Vereinigung Hessen und die AOK das Projekt
jetzt in einem größerem Rahmen fortfahren und Fachärzte einbeziehen wollen.
Eine klare Abschätzung, wie sich solche Modelle ökonomisch auf Apotheker
auswirken, ist nach Lebers Analyse schwierig. Zum einen sinke der
Apothekenumsatz, wenn weniger Arzneimittel verordnet werden, zum anderen steige
er durch die Verlagerung stationärer Behandlung in die Ambulanz. Profitieren würde
in jedem Fall ein Apotheker, der sich an einem Modell beteilige. Leber: "Auch wenn
in der Summe gespart wird, kann die eigene Apotheke davon profitieren."
Keine Aussage machte Leber dazu, welche wissenschaftlich, pharmazeutische Rolle
Apotheker in Ärztenetzen oder Qualitätszirkeln spielen könnten. Das Gesetz sieht
eine Beteiligung der Apotheker nicht vor. Leber glaubt auch nicht, daß dies unter
dem Verweis auf das Verbot von Verträglichkeit zu Lasten Dritter einklagbar wäre.
"Ein Recht auf Umsatz gibt es nicht."
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Baden-Baden
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