Politik
Die Situation der Apotheken in der Schweiz ist sicher kein Vorbild für
deutsche Apotheken. Trotzdem können die deutschen Apotheker von ihren
Schweizer Kollegen lernen, wie auf negative Einflüsse, zum Beispiel
Versandhandel oder Dispensierrecht der Ärzte beziehungsweise einem
dirigistischen Preisbildungssystem, zu reagieren ist. Das war das Ergebnis
des Infotainments während des Wirtschaftsforums des Deutschen
Apothekerverbandes in Baden-Baden, das unter der Moderation des
ABDA-Geschäftsührers Dr. Paul Hoffacker zum Thema "Apotheke in der
Schweiz: gleiche Probleme, gleiche Lösungen?" mit Repräsentanten des
Schweizerischen Apothekervereins und dem geschäftsführenden Vorstand
des DAV stattfand.
Das Profil des schweizerischen Gesundheitswesens zeigte sich aufgrund des
konsequenten Föderalismus und des Liberalismus sehr undurchsichtig. Die nationale
Ordnung folge, so Dr. Christian Ruetz, Leiter der Abteilung Marketing und
Kommunikation im Schweizerischen Apothekerverein, dem Prinzip des kleinsten
gemeinsamen Nenners. Letztendlich seien die einzelnen Kantone für die Gestaltung
des Gesundheitswesens zuständig. Deshalb gebe es auch keine verbindliche
Arzneimittelpreisverordnung, vielmehr würden die Preise nach dem Prinzip des
Gentleman's agreements festgelegt und könnten nicht eingeklagt werden. Die letzte
Preissenkungsrunde habe viele Produkte auf 40 Prozent des ursprünglichen Preises
gedrückt. Da die Herstellerabgabepreise nicht parallel gesenkt wurden, mußten die
Apotheker diese Arzneimittel jetzt teurer einkaufen als sie sie verkaufen könnten.
Die Apotheke sei dadurch in eine Schieflage geraten. Die Erträge ständen nicht mehr
im Einklang mit dem Aufwand der Apotheker, kommentierte Dr. Max
Brentano-Motta, Präsident des Schweizerischen Apothekervereins, die
augenblickliche Situation der Apotheken in der Schweiz. Er hoffe auf Änderung im
Abgeltungswesen durch das von den Apothekern mitentwickelte neue System der
leistungsorientierten Abgeltung der Apotheker. Danach soll sich der
Arzneimittelabgabepreis in der Zukunft aus einer Medikamentenpauschale (64,4
Prozent), einer Kapitalmarge (12,9 Prozent), einer Patientenpauschale (5, Prozent),
einer Rezeptpauschale (10, Prozent) und einer Zahlungspauschale (6,6 Prozent)
zusammensetzen. Damit hoffen die Schweizer Apotheker die Quersubventionierung
(teure Arzneimittel subventionieren niedrige Arzneimittelpreise) aufzuheben.
Gleichzeitig soll dem Bestreben der Krankenversicherungen, etwa mit
Versandhandel Rosinenpickerei zu betreiben, der Boden entzogen werden.
Die Chance, dieses neue Preisbildungssystem verbindlich zu machen, wird von
Brentano als gut bewertet. Die Apotheke soll nach den Vorstellungen der Schweizer
Apotheker ein Gesundheitszentrum werden. Das Arzneimittel dürfe kein Konsumgut
mehr sein, sondern müsse öffentlich als Sozialgut definiert werden. Rabatte auf
Arzneimittel, meist bei Großpackungen, wie sie in der Schweiz zum Teil in
Kettenapotheken gewährt würden, oder Aktionspreise sollten von Apotheken nicht
mehr als Werbemittel eingesetzt werden. Geworben werden sollte ausschließlich mit
der pharmazeutischen Dienstleistung. Daß darüber durchaus unterschiedliche
Auffassungen in der Schweizer Apothekerschaft herrschen, belegte Dr. Theo
Voegtli, Landapotheker aus Aargau und Präsident des dortigen Apothekervereins.
Daneben ist er Gründungsmitglied von Pharmtop, einer Apothekenkette, die nach
"Best-Western-Konzept" das Marketing verstärken und durch Grundangebote
schneller preiswerte Arzneimittel anbieten will.
Dispensierrecht der Ärzte
Ein weiteres Negativum für die Apothekerschaft der Schweiz sei das
uneingeschränkte Selbstdispensierrecht der Ärzte in einigen Kantonen. Ruetz: "Die
Schweizer Apotheker definieren aufgrund dieser Tatsache die Partnerschaft
Arzt/Apotheker oft folgendermaßen: Ärzte sind die Partner, uns schafft's!" In vier
Kantonen haben die Apotheken das Arzneimittelabgabemonopol. Dort funktioniert
die Zusammenarbeit der Ärzte mit den Apothekern in Qualitätszirkeln. Die Chance,
das Dispensierrecht der Ärzte in der Schweiz abzuschaffen, sieht Brentano nicht,
weil in einigen Kantonen die Ärzte das Abgabemonopol hätten und 90 Prozent des
Arzneimittelmarktes bestimmten. Da würde auch das Hauptargument gegen das
Dispensierrecht nicht fruchten: Dispensierende Ärzte hätten im Gegensatz zur
Apotheke keinen Überblick über die Arzneimittel, die ihre Patienten einnähmen. Ein
weiteres Argument gegen das Dispensierrecht sei, so Brentano, daß die
Gesamtkosten für einen Patienten bei Selbstdispensation durch den Arzt höher seien
als bei nicht dispensierenden Ärzten. Zwar folgten die neuen Gesetze wie
Krankenversicherungsgesetz, Kartellgesetz und nationales Heilmittelgesetz den
Argumenten der Apotheker. Sie müßten aber noch verabschiedet werden, was
allerdings erwartet würde. Wie aber die Kantone dieses Gesetz rechtlich umsetzen
werden, sei eine andere Frage.
Versandhandel
Der Kanton Solothurn nimmt eine besondere Stellung im Gesundheitswesen der
Schweiz ein. Wie die Präsidentin des Kantonalen Apothekervereins, Regula Studer,
definierte, ist Solothurn das Land der unbegrenzten pharmazeutischen
Möglichkeiten. Hier hat sich unter anderem ein Versandhandel unter der
Trägerschaft einer Krankenversicherung etabliert, der mit 25 Millionen Franken
Startkapital aufgebaut wurde, öffentliche Wirtschaftsfördermittel in Anspruch
nehmen konnte, weil er 100 Arbeitsplätze versprach (aber nur 22 verwirklichte) und
keine Steuern zahlt. Der Spareffekt von 15 bis 20 Prozent, der versprochen wurde,
so Stefan Wild vom Schweizerischen Apothekerverein, sei nie belegt worden,
würde aber immer wieder in den Medien zitiert. Eigene Berechnungen hätten gezeigt,
daß wahrscheinlich mehr Kosten verursacht würden. Die Akzeptanz bei der
Bevölkerung, besonders bei den chronisch Kranken, wird von den Schweizer
Kollegen als schlecht bezeichnet. Allerdings können sie keine Zahlen präsentieren.
Andererseits sei dieser Versandhandel nur in der Verbindung mit einer
Krankenversicherung möglich geworden. Wäre er wirtschaftlich wirklich lukrativ,
hätten sich sicherlich längst private Anbieter etabliert.
PZ-Artikel von Hartmut Morck, Baden-Baden
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