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Urteil der EU öffnet Grenzen

Datum 27.04.1998  00:00 Uhr

- Politik

Govi-Verlag

Urteil der EU öffnet Grenzen

Alle Bürger in der Europäischen Union können sich in einem anderem EU-Land zahnärztlich behandeln lassen oder medizinische Hilfsmittel, wie zum Beispiel Brillen, kaufen und dafür eine Kostenerstattung nach den Versicherungssätzen ihres Heimatlandes beanspruchen. Dieses Grundsatzurteil hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg am 28. April 1998 gefällt.

Bisher endeten die Gesundheitssysteme der einzelnen EU-Staaten weitgehend an ihren Landesgrenzen. Das Urteil des EuGH öffnet die Grenzen für Kassenleistungen auf der Grundlage des freien Dienstleistungs- und Warenverkehrs im Eurpäischen Binnenmarkt. Dieses Urteil wird auch auf die Apotheken Auswirkungen haben können.

Geklagt hatten zwei luxemburgische Staatsangehörige. Der eine hatte ein Brille im Nachbarland Belgien erworben. Der andere wünschte eine Zahnregulierung für seine minderjährige Tochter in der grenznahen deutschen Stadt Trier. In beiden Fällen hatten die luxemburgischen gesetzlichen Krankenversicherungsträger eine Erstattung der Kosten abgelehnt. Das Gericht entschied gegen die Krankenkassen und zugunsten der Kläger. Es sah in den Fällen eine Verletzung der Grundsätze des freien Dienstleistungs- und Warenverkehrs im Europäischen Binnenmarkt. Der EuGH sieht vor allem in der Forderung der luxemburgischen Versicherungen, eine vorhergehende Genehmigung für eine Behandlung im Ausland einzuholen, eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs. In beiden Fällen stellten die Erstattungen nach den landesüblichen Tarifen das finanzielle System der luxemburgischen Krankassen nicht in Frage. Das Gericht unterstrich aber, daß die Mitgliedsstaaten den freien Dienstleistungsverkehr in der medizinischen Versorgung einschränken könnten, wenn ihr Finanzierungssystem beeinträchtigt würde.

Aufgrund dieses EuGH-Urteils können zukünftig auch deutsche Versicherte Gesundheitsleistungen, einschließlich Arzneimitteln, im Ausland einkaufen, was insbesondere im kleinen Grenzverkehr wahrgenommen werden wird.

In einer ersten Stellungnahme zum EuGH-Urteil erklärte Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer, daß das im Vertrag von Amsterdam ausdrücklich vereinbarte Prinzip der Subsidarität den Mitgliedsstaaten uneingeschränkt die Kompetenz beläßt, ihre Systeme der sozialen Sicherheit selbst zu organisieren. Organisations- und Finanzverantwortung müßten in einer Hand liegen, das heißt in nationaler Verantwortung bleiben. Das muß auch in Zukunft so gelten. Eine Harmonisierung der Sozialversicherungssysteme bei unterschiedlicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit würde aus deutscher Sicht dazu führen, daß entweder das Niveau der Sozialleistungen abgesenkt werden müßte oder ein Finanztransfer zur Anhebung der Sozialstandards in den wirtschaftlich schwächeren EU-Staates nötig würde. Nach Meinung des Ministers höhlen die beiden Entscheidungen des EuGH die nationale Verantwortung für die Gestaltung und Finanzierung des jeweiligen Gesundheitssystems aus.

Es dürfe nicht, so der Minister, über die Einräumung eines Vorranges des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs zu einer faktischen Harmonisierung der sozialen Sicherungssysteme kommen. Die mittelfristigen Auswirkungen der EuGH-Entscheidungen auf das deutsche Gesundheitssystem können nach Meinung des BMG eine erhebliche Verteuerung oder die Absenkung des Niveaus der gesundheitlichen Versorgung sein. Außerdem würde das in Deutschland bestehende Problem der Überkapazitäten im Gesundheitswesen drastisch verschärft und die Qualität des deutschen Gesundheitssystems auf Dauer nicht zu halten sein.

Aus diesen Gründen hält Seehofer die Entscheidungen des EuGH für äußerst problematisch. Welche konkreten Konsequenzen aus dem Urteil im nationalen und im europäischen Recht zu ziehen sind, bleibe einer sorgfältigen Prüfung vorbehalten. Diese erfolge in engem Kontakt mit allen am Gesundheitswesen Beteiligten. Ziel müsse bleiben, daß eine schrittweise Auszehrung der deutschen Krankenversicherung vermieden wird.

Zu positiveren Urteilen kommen in ersten Stellungnahmen die deutschen Krankenkassen. Für den Bundesverband der Betriebskrankenkassen nahm BKK-Sprecherin Gerda Strack Stellung: "Wir sind für Behandlungsfreiheit im Ausland und damit für eine Liberalisierung. Wir werden unseren Versicherten helfen, ihre neuen Freiheiten zu nutzen". Nach Auffassung des Bundesverbandes der Innungskrankenkassen sind die Vergütungsstrukturen nach unten anzupassen, wenn zu viele Versicherte ins EU-Ausland gehen und dort preisgünstigere Leistungen einkaufen.

In einer ersten vorläufigen Stellungnahme der ABDA-Bundesvereinigung Deutscher Apotehkerverbände stellte Präsident Hans-Günter Friese heraus, daß mit diesem Urteil unter Umständen Erwartungen beim Patienten geweckt werden könnten, die nicht gerechtfertigt sind. Für den Patienten wird sich nach Meinung der ABDA nichts ändern. Er wird auch bei einem Kauf eines Arzneimittels im Ausland die Zuzahlung von neun, elf oder 13 Mark zu leisten haben. Die Apotheken im grenznahen Bereich stünden zwar in einem gewissen Wettbewerb mit den ausländischen Apotheken, dem würde sich das deutsche Apothekenwesen mit seiner international anerkannt hohen Leistungsfähigkeit mit Selbstbewußtsein stellen. "Auf keinen Fall werden wir es hinnehmen, wenn das Urteil von interessierten Kreisen zum Anlaß genommen wird, Versicherte zur Nutzung ausländischer Apotheken aufzufordern." Das Recht des Patienten auf freie Apothekenwahl müsse auf jeden Fall garantiert bleiben. "Für viele Patienten ist die Beratung in ihrer Apotheke unverzichtbar geworden. Mit uns wird es keine Änderung an diesem Prinzip geben", betonte Friese.

Das Urteil sei auch nicht geeignet, die Diskussion um den Versandhandel neu zu entfachen. Im Interesse der Arzneimittelsicherheit müsse es bei einem strikten Verbot des Versandhandels bleiben. Ein Grundsatz, den auch der Gesetzgeber in der 8.Novelle des Arzneimittelgesetzes erneut bekräftigen wolle.

Artikel von der PZ-Redaktion
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