Politik
Bei ihren Versuchen,
den Versandhandel mit Arzneimitteln europaweit zu
unterbinden, dürfen die Apotheker nicht mit allzu
großer Unterstützung der Europäischen Union rechnen.
Auf dem DAV-Wirtschaftsforum in Baden-Baden machte
EU-Kommissar Martin Bangemann deutlich, daß die Union
nicht beabsichtigt, eine einheitliche Regelung in allen
Staaten der Gemeinschaft herbeizuführen. Er selbst
vertraut bei den meisten Fragen auf die heilende Kraft
des Wettbewerbs.
Die Fernabsatzrichtlinie der Europäischen Union
läßt den Mitgliedstaaten ausdrücklich nationalen
Spielraum bei der Regelung des Versandhandels mit
Arzneimitteln. Bangemann erwartet, daß einige EU-Länder
sich nicht der Position der Bundesregierung anschließen
werden, die diesen Distributionsweg grundsätzlich
ablehnt. Er gibt der Resolution des Zusammenschlusses der
Apotheker in der Europäischen Union deshalb wenig
Chancen, diese fordern ein einheitliches Verbot in der
gesamten EU. Die Fernabsatzrichtlinie sei erst vor kurzem
nach jahrelanger intensiver Diskussion beschlossen
worden, eine baldige Änderung sei deshalb
unwahrscheinlich.
Bangemann forderte die Apothekerschaft auf, Strategien zu
entwickeln, wie sie auf Versandhandel reagieren will.
Denn im Zeitalter der elektronischen Medien sei sicher,
daß Versandhandelsfirmen in anderen Staaten ihre Dienste
via Internet anbieten werden und Arzneimittel auch nach
Deutschland liefern werden. Bangemann: "Wer
Versandhandel nicht zuläßt, schießt sich ins eigene
Knie, weil sein Markt dann von außen bedient wird."
Ein schlechter Weg sei es, sich darauf zu beschränken,
den deutschen Arzneimittelmarkt ausschließlich mit
juristischen Mitteln zu verteidigen. Zum einen sei das
Internet schwer kontrollierbar, zum anderen seien
aufgrund seiner globalen Struktur nationale Gesetze
wirkungslos, selbst EU-weite Regelungen würden nicht
greifen. Ein Unternehmen, das seinen Sitz in einem Staat
habe, der Versandhandel zuläßt, sei juristisch nicht
angreifbar, so Bangemann weiter.
Statt nur ihre Position zu verteidigen, sollten die
Apotheker aktiv werden und selbst Versandhandelskonzepte
entwickeln. "Wer sich nur verteidigt, kann
bestenfalls überleben. Gewinnen kann nur, wer offensiv
wird." Daß dies mit der deutschen Gesetzeslage
nicht zu vereinbaren ist, scheint für Bangemann von
untergeordneter Bedeutung zu sein. Die Macht des
Wettbewerbs sei stärker als Gesetze. "Die Apotheker
halten sich an Gesetze, andere Anbieter tun dies nicht
und machen das Geschäft. Die Apotheker sind dann die
Dummen."
Für Bangemann sind Wettbewerb und freies Spiel des
Marktes die Antriebskräfte für Wirtschaftswachstum und
Wohlstand. Deshalb sollte auch der Arzneimittelmarkt
nicht den Möglichkeiten und Risiken des Wettbewerbes
entzogen werden. Wettbewerb sei zwar kein Ziel für sich,
aber "er bringt uns in vielen Bereichen
weiter." Auch die Apotheker sollten mehr
Marktwirtschaft nicht als Bedrohung ansehen, sondern als
Herausforderung und Chance begreifen. An seine Grenzen
stoße der Wettbewerb erst dann, wenn die nationalen
Sozialversicherungssysteme gefährdet werden.
Binnenmarkt für Arzneimittel schaffen
Eine wesentliche Aufgabe der Europäischen Union sei die
baldige Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes für
Arzneimittel, sagte der EU-Kommissar weiter. Bei der
Zulassung von Arzneimitteln sei dies schon weitgehend
gelungen. Die zentrale Zulassung durch die europäische
Zulassungsagentur in London und die gegenseitige
Anerkennung nationaler Zulassungsverfahren funktionieren
nach Bangemanns Einschätzung gut.
Entscheidend für das Schicksal der europäischen
Pharmaindustrie sei es, ob es den Europäern gelingt, den
Anschluß an das internationale Niveau der Bio- und
Gentechnik zu finden. In dem zukunftsträchtigen Bereich
hätten viele Staaten, darunter auch Deutschland, den
abfahrenden Zug schon fast verschlafen. Die Ursache
dafür sieht Bangemann nicht zuletzt in der seiner
Meinung nach unsachlich geführten Diskussion über die
Gefahren der Gentechnik. Gegner der Gentechnik würden
"die Unkenntnis der Menschen ausnutzen, um
Horrorszenarien an die Wand zu malen".
Es sei deshalb wichtig, daß alle Fachleute sich an einer
sachlichen Aufklärungsarbeit über die neuen
Technologien beteiligten, denn Europa könne es sich
nicht leisten, in diesem zukunftsträchtigen Bereich aus
dem Rennen auszuscheiden.
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Baden-Baden
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