Politik
In der britischen Apothekerschaft ist eine lebhafte Diskussion über die
Frage entbrannt, ob Versicherungen das Recht eingeräumt werden sollte,
potentielle Kunden zu Gentests zu zwingen. Die Mehrheit der Apotheker
sagt nein. Die Frage ist inzwischen zu einem der umstrittetensten
gesundheitspolitischen Themen der vergangenen Jahre in Großbritannien
geworden.
Britische Assekuranzen streiten sich darüber, inwieweit genetische Testergebnisse,
die auf spätere Krankheiten und frühen Tod hindeuten, herangezogen werden
dürfen, um Prämien zu berechnen. "Die Wahrheit ist, daß unsere Branche
hoffnungslos zerstritten ist, ob es ethisch vertretbar ist, zukünftige Kunden auf ihr
genetisches Make-up hin zu checken", so ein Sprecher des
Versicherungs-Dachverbandes Association of British Insurers (ABI). "Bisher ist es
uns nicht gelungen, einen einheitlichen, verbindlichen Kodex aufzustellen." Die ABI
vertritt nach eigenen Angaben rund 440 Versicherungen in Großbritannien.
Diverse große Versicherungen verzichten inzwischen gänzlich auf Fragen nach
möglichen genetisch bedingten Krankheitsdispositionen. Beispiel ist die Standard
Life. Seit November 1996 wird kein Kunde, der bei Standard eine
Lebensversicherung abschließen möchte, danach gefragt, ob es genetische
Veranlagungen zu bestimmten Krankheiten gibt. Vor November 1996 hatte
Standard nach eventuell vorgenommenen Gentests gefragt. Das hatte der
Assekuranz viel Kritik eingehandelt. Ärzte- und Patientenverbände warfen dem
Unternehmen "Diskriminierung" vor.
Andere Versicherungen im Königreich sind dem Beispiel von Standard Life gefolgt.
Scottish Widows, Royal und Sun Alliance verzichten laut ABI inzwischen ebenfalls
auf genetische Fragen. Die Versicherung Commercial Union stellt die Fragen nur
dann, wenn die Versicherungssumme über 100.000 Pfund (270.000 DM) liegt.
Marktbeobachter rechnen damit, daß das Beispiel Commercial Union über kurz
oder lang Schule machen wird. Das heißt: bei Lebensversicherungen mit einer
Versicherungssumme von mehr als 100.000 Pfund dürfte auf die umstrittenen
Gen-Fragen verzichtet werden. Der britische Gesetzgeber hat der
Versicherungsbranche mehrfach mit Gesetzen gedroht, falls es zu Ausgrenzungen
kommen sollte.
Viele kleinere und mittelständische Versicherungen handhaben die Frage nach
genetischer Krankheitsveranlagung anscheinend weniger liberal. "Es gibt diverse
Versicherungen, die vor Versicherungsabschluß auf genetische Tests bestehen", so
der britische Verbraucherverband (Consumers Association, CA). Namen von
Unternehmen wurden nicht genannt. Laut bestehendem ABI-Kodex darf keine
Versicherung vom Kunden vor dem Vertragsabschluß genetische Untersuchungen
verlangen. Sollte ein Kunde allerdings entsprechende Untersuchungen vorgenommen
lassen haben, so ist er laut ABI-Kodex dazu verpflichtet, die Versicherung zu
informieren.
Der Streit über das Thema Gentests ist nicht neu. Mit Verbesserung der
medizinischen Diagnoseverfahren haben sich die Argumente allerdings deutlich
verschärft. Dazu Peter Robertson von Standard Life: "Die Familiengeschichte eines
potentiellen Versicherungsnehmers gibt schon heute hervorragend Aufschluß über
mögliche Risiken. Es wird mindestens noch zehn Jahre dauern, bis genetische
Diagnoseverfahren akurat und verläßlich genug sind, um als Parameter zur
Berechnung von Versicherungsrisiken brauchbar zu sein."
Der Gesetzgeber befürchtet ebenso wie die Berufsverbände der Apotheker- und
Ärzteschaft, Versicherungen könnten genetische Tests dazu benutzen, um bestimmte
Risikopatienten auszugrenzen. Die CA und die Royal Pharmaceutical Society (RPS)
haben davor gewarnt, auf diese Art und Weise eine "unversicherbare Unterklasse"
zu schaffen.
PZ-Artikel von Arndt Striegler, London
© 1997 GOVI-Verlag
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