Politik
Umstrittene
Arzneimittel sind genauso umstritten wie die These, daß
die Nichtverordnung solcher Arzneimittel immense
Einsparungen im Gesundheitswesen bewirken könne. Zumal
Unsicherheit in der Definition von "umstritten"
besteht. Was also sind umstrittene Arzneimittel? Die
Antwort wurde auf einem gesundheitspolitischen Forum
ausgearbeitet, zu dem die Landesapothekerkammer
Baden-Württemberg und die Pharmazeutische Zeitung nach
Heidelberg eingeladen hatten.
Die umstrittenen Arzneimittel sind seit Ende letzten
Jahres durch das Notprogramm der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung (KBV) in aller Munde: Um
möglicherweise drohende Regreßforderungen der
Krankenkassen quasi im letzten Moment noch zu reduzieren,
verbreitete die KBV ein Notprogramm. Gestützt auf den
Arzneiverordnungsreport, sollten beispielsweise
umstrittene Arzneimittel wie Expektorantien,
Venentherapeutika, Rheumasalben oder
durchblutungsfördernde Mittel nicht mehr verschrieben
werden.
Ursprünglich zur Transparenzschaffung statt
Kostensenkung
Unabhängig vom KBV-Notprogramm glauben
Krankenkassenvertreter, daß die Ärzte durch
Nichtverordnung dieser Mittel beträchtliche Summen
einsparen könnten. Nur dann könnte man den
medizinischen Fortschritt bezahlen. Dabei ist das Wort
"umstritten" ursprünglich gar nicht
eingeführt worden, um die Budgetprobleme der 90er Jahre
in den Griff zu bekommen, sondern um die
Arzneimittel-Landschaft besser zu strukturieren,
verfolgte Wolfgang Hartmann-Besche vom
Bundesgesundheitsministerium die Entstehungsgeschichte
zurück.
Nach den Worten Hartmann-Besches ist der Begriff ein
Formelkompromiß und macht deutlich, daß ein
wissenschaftlicher Streit über die Wirksamkeit dieser
Präparate bestehe. Professor Dr. Ulrich Schwabe,
klinischer Pharmakologe und Mitherausgeber des
Arzneiverordnungsreportes: Umstritten seien solche
Arzneimittel, deren Wirksamkeit schwer zu objektivieren
sei. Mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Prüfmethoden
sei kein eindeutiger Nachweis möglich. Man müsse bei
diesen Mitteln nämlich immer einen Placeboeffekt
berücksichtigen. Deshalb: "Umstritten ist nicht
gleich wirkungslos", machte Schwabe klar. Sondern:
"Umstritten drückt aus, daß bei diesen
Medikamenten die Wirksamkeit und der klinische Nutzen
bisher nicht ausreichend belegt ist." Da diese
Präparate keinen klinisch-sichtbaren Effekt brächten,
sind sie für Schwabe überflüssig.
Die Expertenrunde war sich einig, daß Arzneimittel, zu
denen bisher keine Daten vorliegen, nicht unbedingt als
schlecht charakterisiert werden können. Der Begriff
"umstritten" dürfe deshalb nicht
diskriminierend gebraucht werden. Rechtfertigt das
Datendefizit eine Nichtverordnung dieser Präparate? Für
den Arzt müsse es eine Legitimation geben, die Arznei
anzuwenden, war von Krankenkassenseite zu hören. Und das
seien wissenschaftlich durchgeführte Studien.
Patientenwünsche bleiben auf der Strecke
Ärzte, Apotheker und Verbraucherverbände machten
deutlich, daß bei der Diskussion um diese umstrittenen
Pharmaka vor allem die Interessen der Verbraucher und der
Patienten zu wenig oder überhaupt nicht berücksichtigt
werden. Professor Dr. Benno König vom Bundesverband
Deutscher Allgemeinärzte griff die Pauschalität an, mit
der Präparate als "umstritten" abgestempelt
werden. Es könne nicht angehen, daß die Subjektivität
einzelner Wissenschaftler darüber entscheidet, ob ganze
Medikamentengruppen aus der Verordnung herauskatapultiert
werden. Unterstützung erhielt König von seinem
Heilberufskollegen Michael Hofheinz, Fachapotheker für
Offizin-Pharmazie aus Karlsruhe. Hofheinz beklagte, daß
der "unsägliche Begriff" umstrittenes
Arzneimittel das Vertrauen der Patienten in den
Therapieerfolg nachhaltig gestört habe. Und ohne
Vertrauen auch keine Compliance.
Erstattung durch die GKV?
"Ich befürworte, daß alle Menschen die
bestmögliche Medizin innerhalb der Solidargemeinschaft
erhalten", bezog Dr. Hermann Schulte-Sasse,
Bundesverband der Allgemeinen Ortskrankenkassen,
Position. Dazu brauche man Präparate, die entweder in
randomisierten klinischen oder in epidemiologischen
Studien ihre Wirksamkeit bewiesen hätten. Ein
subjektiver Gewinn an Lebensqualität sei kein
zusätzlicher therapeutischer Effekt, der die Erstattung
des Medikaments durch die Solidargemeinschaft
rechtfertige.
Der Behauptung von Schulte-Sasse, daß die
Nichtverordnung von umstrittenen Arzneimitteln Kosten
für die GKV reduziere, wurde widersprochen. Es müßten
andere Wege gesucht werden, um die Kosten wirksam zu
senken. Steht also eine Reaktivierung der Positivliste
an? Die Diskussion machte deutlich, daß Kostenreduktion
und Positivliste nicht synonym zu gebrauchen sind. Die
Positivliste ist damals als qualitätssicherndes
Instrument eingeführt worden, um die Flut von
registrierten Arzneimitteln auszudünnen. Zu dieser Zeit
gab es rund 120 000 registrierte Arzneimittel.
Mittlerweile hat sich der Markt selbst bereinigt, etwa 50
000 Präparate sind übrig geblieben.
PZ-Artikel von Elke Wolf, Heidelberg
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