Politik
Aller Anfang ist
schwer. Und einen Anfang gibt es immer: Erstmals wollen
Krankenkassen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den
Gesetzgeber klagen. Auch wenn das
Bundesgesundheitsministerium dem keine Chance gibt, hat
eine Klage Aussicht auf Erfolg.
Der Tatbestand wurde mit den Änderungsanträgen
der Koalitionsfraktionen in Bonn zum 2.
GKV-Neuordnungsgesetz geschaffen. Darin wird
festgehalten, daß ab Stichtag 11. März alle
Krankenkassen die Zuzahlungen erhöhen müssen, wenn sie
den Beitragssatz anheben. Geplant sind 1 DM mehr
Zuzahlung für je 0,1 Prozentpunkt Anhebung des
Beitragssatzes. Im ersten Gesetzentwurf, der bereits im
Bundestag eingebracht wurde, war der 9. Oktober als
Stichtag festgehalten worden.
Hinter den politischen Kulissen hatte es deswegen viel
Ärger gegeben. So erhöhte, wie andere auch, die AOK
Bayern den Beitragssatz. Die Landesregierung wollte ihre
Landeskinder aber nicht mit der erhöhten Zuzahlung
konfrontieren. Also wurde nun ein neuer Stichtag
gewählt.
Zwölf Ersatzkassen und vier Betriebskrankenkassen
reagierten und beantragten beim Bundesversicherungsamt am
10. März die Anhebung - ohne erhöhte Zuzahlung - ihres
Beitragssatzes. Die Koalitionsfraktionen wollen das nicht
hinnehmen. Begründung des Ministeriums: Nicht der
Antrag, sondern die Genehmigung des neuen Satzes durch
die Aufsichtsbehörde ist maßgebend.
Nun stehen die Krankenkassen vor der Frage: Machen sie
einen Anfang oder bleiben sie ein vollmundiger
Papiertiger? Dabei haben sie juristisch gesehen viele
gute Rechtsgründe: Zwar darf der Gesetzgeber
rückwirkend Gesetze in Kraft treten lassen, wenn das dem
Wohl des Staates dient und angekündigt worden ist, um
Mißbrauch zu verhindern. Aber: Der Änderungsantrag ist
nicht von einem Gremium mit Verfassungsrang (zum Beispiel
das Bundeskabinett), sondern von den Fraktionen
beschlossen worden.
Der Stichtag 9.Oktober wurde ohne zwingenden Grund auf
den 11. März verlegt. Damit ist eine "Beschädigung
des Staates und das gesetzgeberische Wollen, Schaden
abzuwenden", nur schwer zu beweisen.
Da ein Interessenkonflikt innerhalb der Politik (siehe
Bayern) zu Stichtagsveränderungen führte, dürfte auch
in diesem Fall Staatsinteresse kaum nachweisbar sein.
Außerdem setzt es die Kassen ins Recht, die bei einer
glaubwürdigen Rechtsgestaltung (9. Oktober 1996) von
Benachteiligungen wußten, und die Kassen in Nachteile,
die sich den politischen Vorgaben aus Staatsinteresse
beugten und nicht zum 1. Januar 1997 ihre Beitragssätze
anhoben.
Der Tag der Genehmigung ist kein Stichtag, da er
willkürlich von der Aufsichtsbehörde festgelegt werden
kann. Wobei der Arbeitsanfall zu gerechtfertigten
technischen Verschiebungen führen kann, die nicht zu
materiellen Nachteilen führen dürfen. Ein Beispiel ist
das Arzneimittelgesetz aus den 70er Jahren, das vom
Arzneimittelinstitut zum Nachteil von Pharmafirmen nicht
ausgefüllt werden konnte. Hier wurden Millionenklagen
mit Mühe verhindert.
PZ-Artikel von Rainer Vollmer, Bonn
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