Politik
"Wir scheuen
nicht die Auseinandersetzung mit den neo- und
ortholiberalen Gesundheitsökonomen", erklärte
ABDA-Präsident Hans-Günter Friese am Wochenende in
Oberhausen auf dem Apotheken-Strategie-Wirtschaftsforum
'97. Die Standesvertretung der Apotheker würde gerne in
die fossile Ecke der Dinosaurier gestellt, hatte Friese
den Eindruck. Tatsächlich aber gebe es eine Reihe
innovativer Konzepte der Apotheker, die eine Antwort auf
die Herausforderungen der Zukunft geben, ohne die
Grundfesten des Heilberufs zu erschüttern.
Gelegenheit zur Gegenrede gab der Vortrag von
Professor Dr. Peter Oberender, Universität Bayreuth, der
die Meinung vertritt, daß das Festhalten an den über
760 Jahre alten Standesregeln den Apothekerberuf in den
Abgrund führen wird. Ein Drehen an der
Arzneimittelpreisverordnung hält der liberale Ökonom
für politischen Selbstmord, weil die Folgen weder
abzuschätzen noch zu kontrollieren seien. Denkbar sei
allenfalls ein "geordneter Rückzug".
Die Pläne von Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer,
die Selbstbeteiligung der Patienten zu erhöhen, hält
Oberender für sinnvoll. Eine Gesellschaft, die 80
Milliarden DM im Tourismus, 60 Milliarden für Alkohol
und 40 Milliarden für Tabak ausgibt, "wird ja wohl
noch 20 Milliarden DM für die Gesundheit aufbringen
können". Die Patienten müßten sich mehr
emanzipieren, ebenso wie sich ihre
Konsumentensouveränität bei anwachsendem
Selbstmedikationsanteil entwickeln müsse. Mehr
Gesundheitsbewußtsein der Bürger würde das
Informations- und Aufklärungsbedürfnis wecken.
Der Apothekerschaft sagte Oberender unruhige Zeiten
voraus. Der Standesführung fehle es an Einsicht, daß
nicht nur mit dem Bewahren und Verteidigen der Tradition
ein Fortschritt zu erzielen sei. Es fehlten die
Vordenker, die Strategien, die Konzepte und die
taktischen Überlegungen, sagte Oberender. Er empfahl,
die pharmazeutischen Stärken auszubauen sowie
ökonomische Elemente in Fort- und Weiterbildung
aufzunehmen. Zum Beispiel Kostenmanagement für einen
zeitgemäßen Wareneinsatz und betriebswirtschaftliches
Handeln oder Team-Management innerhalb der Belegschaft.
Die Apotheke müsse für den Kunden und Patienten ein
positives Erlebnis sein.
"Es ist einfach, eine Situation zu beurteilen, wenn
man die Konsequenzen nicht umzusetzen und zu verantworten
braucht", konterte ABDA-Präsident Hans-Günter
Friese, der sich der Tatsache bewußt ist, daß er die
Verantwortung für das Unternehmen Apotheke mit 22 000
Betrieben, einem jährlichen Umsatz von 35 Milliarden DM,
über 120000 Beschäftigten und rund 1,5 Millionen
Kundenkontakten am Tag trägt. Es könne nicht
funktionieren, was Oberender vorschlage: zum Beispiel das
Mehrbesitzverbot zu lockern, ohne das Fremdbesitzverbot
anzutasten. Der Dammbruch könne nicht kontrolliert,
sprich auf drei "Fillialen" pro Apotheker
begrenzt werden. "Es gibt nicht ein bißchen
Apothekenketten so wie es auch nicht ein bißchen
schwanger gibt."
Friese wies den Vorwurf zurück, die ABDA habe weder
Konzepte noch taktisches Geschick. Das Konzept der ABDA
enthalte eine Reihe zukunftsweisender Aspekte, deren
Richtigkeit sich in diesen Tagen immer wieder zeige. Und
über die Taktik werde sich die ABDA nicht öffentlich
äußern, sonst wäre es ja keine Taktik mehr. Der
ABDA-Präsident versicherte aber: "Wir werden aus
allen Rohren schießen, wenn der richtige Zeitpunkt
gekommen ist."
Der Kammerpräsident von Nordrhein, Karl-Rudolf
Mattenklotz, erläuterte an zahlreichen Beispielen
aktuelle Verbands- und Kammerstrategien als Konsequenz
von Marktentwicklung und branchenspezifischen
Entscheidungen. Seine Konzept: Soviel Konfrontation wie
nötig, so viel Kooperation wie möglich. Nur über die
Konfrontation mit Partnern im Markt (wo nötig) könne
eine sinnvolle, der Gesellschaft nutzbringende
Kooperation wachsen. Die Apotheke stehe heute am
Scbeideweg, entweder zur Ketten- oder Versandapotheke mit
allen Qualitätsmängeln zu verkommen, oder sich auf der
heute bewährten Basis mit Arzneimittelpreisverordnung
und Fremd- und Mehrbesitzverbot gemäß den
Veränderungen der Zeit bei gleichbleibendem
Qualitätsniveau weiterzuentwickeln. Kammern und
Verbände verfolgen das Ziel, den Berufsstand in der
Gesellschaft zu stärken, die öffentliche Apotheke
unverzichtbar zu machen und den sicheren Vertriebsweg
für Arzneimittel über die öffentliche Apotheke zu
erhalten.
PZ-Artikel von Gisela Stieve, Bonn
Totengräber
contra Rattenfänger
Kommentar
Da hatten sich die Richtigen getroffen und viel Stoff
zum Nachdenken ausgebreitet. Der liberale Ökonom
Professor Dr. Peter Oberender redete mehr Marktwirtschaft
im Gesundheitswesen das Wort und stellte die
Standesführung der Apotheker als die ewig Gestrige dar.
Ein Scharfmacher, dieser Oberender, der sicherlich so
manchen verträumten Apotheker, der glaubt, seine Offizin
sei ein Selbstläufer mit Bestandsgarantie, wachrütteln
mag.
Wenn Oberender allerdings die ABDA oder einzelne Personen
als Totengräber des Berufsstandes bezeichnet, darf
ABDA-Präsident Hans-Günter Friese Oberender als
Rattenfänger bezeichnen. Dabei liegen die beiden so weit
nicht auseinander. Auch Friese weiß, daß ohne Ökonomie
in der Apotheke nichts läuft. Schließlich macht die
wirtschaftliche Unabhängigkeit den freien Heilberuf aus.
Aber manche Vorschläge, etwa die Aufhebung des
Mehrbesitzverbots, kann man nur dann so leicht und
publikumswirksam machen, wenn man deren Konsequenzen
nicht zu verantworten hat.
Friese zeigte sich schließlich ehrlich dankbar, daß es
Leute wie Oberender gibt. Sie geben ihm Gelegenheit, die
eigene Position und Politik zu überdenken. Daß die
Berufsangehörigen die pharmazeutische Initiative, zu der
die ABDA mit ihrem Konzept 1993 aufgerufen hat, ergreift,
sieht man an ihrer Präsenz bei solchen Veranstaltungen.
Verträumte Apotheker sind normalerweise nicht dabei.
Gisela Stieve
© 1996 GOVI-Verlag
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