Politik
Massive Kritik wurde
vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen und den
anderen Spitzenverbänden der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) an den Plänen der Bonner
Regierungskoalition, die Arzneimittelbudgets durch
arztgruppenbezogene Richtgrößen zu ersetzen, am
Dienstag vor der Presse in Bonn geäußert. Wolfgang
Schmeinck, Vorstandsvorsitzender des BKK-Bundesverbandes
befürchtet dadurch Mehrausgaben der Krankenkassen von
vier bis fünf Milliarden DM jährlich für Medikamente.
Die Kassen könnten einem Verordnungszuwachs dann nur
noch über aufwendige Wirtschaftlichkeitsprüfungen
begegnen, mit denen man aber schlechte Erfahrungen
gemacht habe. Derzeit kämen deshalb nur
budgetbegleitende Richtgrößen für Arzneimittel in
Frage.
Auch der Vorsitzende des Verbandes der
Angestellten-Krankenkassen, Karl Kaula, beklagte, daß
die Bonner Koalition offenkundig statt eines Sparkurses
nun die Maxime verfolge, es müsse "mehr Geld ins
System". Angesichts des Milliardendefizits in der
GKV sei diese gesundheitspolitische Kehrtwende völlig
unverständlich. Neben den Ärzten und der
Pharmaindustrie würden auch Krankenhäuser und
Zahnärzte finanzielle "Geschenke" von der
Bonner Regierungskoalition erhalten.
Der Verwaltungsratsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes,
Gert Nachtigal, prognostizierte, die Koalition werde mit
ihren gesundheitspolitischen Reformplänen ihr
selbstgestecktes Ziel, die Belastung mit
Sozialversicherungsabgaben unter 40 Prozent zu halten,
nicht erreichen. Sinnvoller sei es, den Kassen mehr
Spielräume bei den Vertragsverhandlungen mit den
Leistungserbringern einzuräumen, Überkapazitäten im
Krankenhausbereich abzubauen, den ambulanten und den
stationären Sektor besser miteinander zu verzahnen und
Transparenz im Leistungs- und Abrechnungsgeschehen zu
schaffen. Folge die Koalition nicht noch in letzter
Minute diesen Vorschlägen der Krankenkassen, seien
Beitragssatzsteigerungen der Krankenkassen im Wahljahr
1998 unausweichlich.
Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller hat die
Kritik der Krankenkassen-Spitzenverbände an der
geplanten Ablösung der Arzneimittelbudgets durch
arztgruppenbezogene Richtgrößen in einer ersten
Stellungnahme als gesundheitspolitisches Lamento
bezeichnet. Die von der Bonner Regierungskoalition
vorgesehenen Richtgrößen führten nicht zu Mehrausgaben
in Milliardenhöhe. Zum einen würden die Krankenkassen
maßgeblich an der Ausgestaltung der zu erwartenden
Richtgrößen beteiligt. Zum anderen könnten die Kassen
durch Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach wie vor
arztindividuelle Überschreitungen der Richtgrößen
wirksam ahnden.
PZ-Artikel von Hans-Bernhard Henkel, Bonn
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