Politik

Deutsche Medikamente waren und sind weltweit stark gefragt. Dafür
spricht nach wie vor die Statistik. Wurden 1996 noch 37,5 Prozent vom
Gesamtumsatz der deutschen Pharmaunternehmen im Ausland erzielt, stieg
der Auslandsanteil von Januar bis September 1997 auf stattliche 41,1
Prozent; die starke Beschleunigung dieses Wachstums hielt bis zum
Jahresende an. Deutschland, hinsichtlich der Produktionsmengen hinter den
USA, Japan und Frankreich auf dem vierten Platz, ist bei der Ausfuhr
pharmazeutischer Erzeugnisse vorerst noch Erster.
Wenn der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) während eines
Presseseminars in Fulda Ende letzten Jahres dennoch die Alarmglocken läutete,
geschah das mit besorgtem Blick in die Zukunft. Die günstige Position auf dem
Weltmarkt ist mittel- und langfristig nur zu halten, wenn vom viel gepriesenen
Wirtschaftsstandort Deutschland auch künftig Signale ausgehen und wenn
Deutschland für die Pharmaindustrie ein attraktiver Forschungsstandort bleibt. Hier
aber sieht Dr. Barbara Sickmüller, BPI-Geschäftsführerin für Medizin und
Pharmazie, erhebliche bürokratische Schwierigkeiten. Aus ihrer Sicht hinkt die
deutsche Pharmaindustrie schon hinterher, es seien "umgehend Maßnahmen
erforderlich, um die klinischen Prüfungen für Arzneimittel zu vereinfachen".
Forschung und Entwicklung eines neuen Arzneimittels kosten heute etwa 510
Millionen DM, davon allein die Zulassung 40 Millionen DM. Wenn man bedenkt,
daß die Entwicklungsdauer eines neuen Medikaments zehn Jahre beansprucht und
bei einem erwarteten weltweiten Umsatz von 300 bis 600 Millionen DM ein Tag
Zulassungsverzögerung bereits eine Million Verlust bedeutet, wird verständlich, daß
die Innovationsfreudigkeit durch bürokratische Hürden erheblich beeinträchtigt
werden kann. Hinzu kommt, daß von 6000 neu synthetisierten Substanzen nur eine
hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit den Anforderungen entspricht, die an ein
neues Arzneimittel gestellt werden müssen.
Voraussetzungen für Spitzenstellung gegeben
Dr. Eberhard Herchenhan von Pharmacia & Upjohn GmbH, Erlangen, beklagte in
Fulda den "Hindernislauf der pharmazeutischen Industrie" bei der klinischen
Forschung in der Bundesrepublik. Obwohl Deutschland mit seiner ausgezeichneten
medizinischen Infrastruktur (bestausgebildete Ärzte, gute Institutionen, Vielzahl von
Krankheitsbildern bei 80 Millionen Einwohnern) alle Voraussetzungen hat, eine
Spitzenstellung in der klinischen Forschung einzunehmen, gab es 1995 nur einen
schwachen vierten Platz hinter den USA, Japan und Großbritannien und nur knapp
vor Frankreich: Die USA registrierten 1995 insgesamt 974 klinische Prüfungen zur
Entwicklung innovativer Medikamente und sonstiger neuer Therapieprinzipien, Japan
immerhin noch 443, Deutschland dagegen nur 276.
Hechrenhan nannte weitere Zahlen, die zum Nachdenken veranlassen. Während
amerikanische Professoren ihre Arbeitszeit zu 50 bis 70 Prozent der Forschung
widmen, tun dies ihre deutschen Kollegen nur zu 10 bis 20 Prozent; der Anteil der
Lehrtätigkeit ist mit einem Zehntel der Arbeitszeit in etwa gleich. Dagegen entfallen
auf den klinischen Betrieb in den USA 20 bis 40, in Deutschland jedoch 60 bis 80
Prozent der Arbeitszeit. Der Referent schiebt diesen unverhältnismäßig hohen Anteil
in Deutschland unter anderem auf zeitraubende, administrative Aufgaben.
Angesichts der offensichtlichen Dominanz der Amerikaner und Japaner fürchtet
Herchenhan hierzulande langfristig eine "ernsthafte Beeinträchtigung fortschrittlicher
medizinischer Forschung". Um Deutschland wieder zu einem Mittelpunkt
medizinischer Forschungstätigkeit zu machen, ist aus Herchenhans Sicht "eine
Vielzahl von Standortnachteilen zu diskutieren, um in Kenntnis dessen hieraus
Standortvorteile zu entwickeln".
Administrative Perfektion lähmt die Forschung
In den USA habe man die lähmende Wirkung einer Überregulation auf den
medizinischen Fortschritt längst erkannt und ihr politisch entgegengesteuert, betonte
Dr. Wieland W. Wolf, Mitglied der Geschäftsleitung Dr. Rentschler Arzneimittel
GmbH, Laupheim. In Europa sei man dagegen "noch vollauf damit beschäftigt, alle
weißen Flecken mit neuen Gesetzen, Richtlinien und Verwaltungsvorschriften
abzudecken". Wolfs Blick in die Zukunft: "Wenn künftig nicht nur von einigen
wenigen multinationalen Konzernen bestimmt werden soll, was wert ist, erforscht
und entwickelt zu werden, dann müssen wir den Mut haben, uns von der
administrativen Perfektion insbesondere bei der klinischen Forschung zu trennen und
uns auf das ethisch und medizinisch Notwendige zu konzentrieren."
PZ-Artikel von Siegfried Löffler, Fulda



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