Politik
SOLIDARITÄTSSTÄRKUNGSGESETZ
Wer geglaubt hat, das Vorschaltgesetz
"Solidaritätsstärkungsgesetz" werde mit der Verabschiedung am 10. Dezember im
Bundestag und am 18. Dezember im Bundesrat endgültig das kommende Jahr
gesundheitspolitisch bestimmen, der irrt. Bereits im Januar oder Februar wird es
Änderungsgesetze geben, um die jetzige Gesetzesgrundlage zu verändern.Vor
allem für den Arzneimittelmarkt gibt es neue Entwicklungen: Das Budget soll wieder
gekürzt werden. Derzeit streiten SPD-Abgeordnete heftig mit der
Bundesgesundheitsministerin. Der Grund: Eine chaotische nichtöffentliche Sitzung des
Gesundheitsausschusses und eine permanente Änderung von Änderungen zum Vorschaltgesetz.
"Handwerkliche Mängel" wirft der langjährige Sozialexperte der SPD und
deren stellvertretender Fraktionsvorsitzende, Rudolf Dreßler, der neuen
Bundesgesundheitsministerin vor. Die wiederum revanchiert sich. Sie habe überhaupt kein
Verständnis für die SPD-Abgeordneten. Nach Absprache mit den SPD-Bundesländern und der
Bundestagsfraktion sei ein Bündel von Änderungsanträgen beschlossen worden. Da hätten
die Abgeordneten ihre Meinung sagen sollen. Aber abstimmen und hinterher in der
Öffentlichkeit Forderungen aufstellen sei schlechter politischer Stil.
Tagelang wußten die Abgeordneten der Regierungskoalition selbst nicht, was sie an
Änderungen beschlossen hatten. Erst das mühsam erstellte Protokoll lieferte die
Grundlage für die Abstimmung im Bundestag.
Besonders an zwei Problemkreisen machten sich die Änderungen fest, nämlich beim
ärztlichen Honorar und beim Arzneimittelbudget. Das Arzneibudget ist allerdings auch
Dreh- und Angelpunkt der zukünftigen Veränderungen. Die unselige Geschichte: Im
Gesetzentwurf heißt es, daß das Budget 1999 aus dem Budget 1996 minus 4,5 Prozent
gebildet werde. Dann gab es den Änderungsantrag der Koalition im Gesundheitsausschuß,
das Budget neu festzulegen nach einer neuen Berechnungsmethode, nämlich nach der
Versichertenzahl multipliziert mit der Pro-Kopf-Summe 541,61 DM. Während der Sitzung
brachte die Koalition dann Änderungen der Änderungen ein.
Nun heißt es - vorerst - endgültig: Das Arzneimittelbudget wird aus dem Budget 1996
plus 7,5 Prozent gebildet. Das wiederum hatten die Krankenkassenverbände schon während
der Sitzung erfahren und schoben eiligst eine Berechnung nach. Das Budget dürfe nur um
4,0 Prozent erhöht werden. Allerdings haben die Krankenkassen geschickterweise auch die
abgespeckten Zuzahlungen der Versicherten um 870 Millionen DM in ihre Berechnungen
eingestellt. Das bedeutet: Pharmaindustrie und Apotheker müssen die Kosten der
abgesenkten Zuzahlungen übernehmen.
Es steht schon heute fest, daß Veränderungen am neu festgelegten Arzneimittelbudget
vorgenommen werden sollen. Gesetzestechnisch geht das nicht mehr in diesem Jahr. Darum
werden - höchstwahrscheinlich im Gesetz über die 620-DM-Jobs - sogenannte Omnibusgesetze
eingebaut. Das ist frühestens im Januar oder Februar kommenden Jahres möglich. Die
Folge: Das Arzneimittelbudget kann erst dann richtig festgelegt werden. Kein Wunder, daß
die Oppositionsparteien im Bundestag aufschreien und von Chaos, Katastrophe, Laienspielern
und Blamage sprechen.
Wie dem auch sei: Das Gesetz steht erst einmal. Seine wichtigen Inhalte:
- Das regionale Arzneimittelbudget wird nun wie folgt festgelegt: Es gilt das Budget von
1996 plus einem Zuschlag von 7,5 Prozent. Wenn Kassenärztliche Vereinigungen zur
damaligen Zeit kein Budget hatten, legt die zuständige Aufsichtsbehörde das Budget fest.
Sie kann dann auch die in den Vorjahren nicht vorgenommenen Budgetanpassungen nachholen,
um eine Benachteiligung der Ärzte in diesen Regionen zu vermeiden. Sind Daten nicht
verfügbar, können Schätzungen vorgenommen werden.
- Die Festbeträge für Arzneimittel sollen den höchsten Abgabepreis des unteren Drittels
des Abstandes zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Preis der Arzneimittel nicht
überschreiten.
- Übersteigen die Ausgaben das Budget für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel, ist die
Gesamtvergütung der Ärzte um höchstens fünf Prozent des Budgets zu kürzen.
- Die Zuzahlungen für Arzneimittel: Je nach Packungsgröße sind jetzt 8, 9 und 10 DM zu
zahlen.
- Kassenärztliche Bundesvereinigung und Kassenärztliche Vereinigungen erhalten die
Erlaubnis, Vertragsärzten alle Informationen zur Sicherstellung der wirtschaftlich
notwendigen Versorgung, vor allem mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, zu übermitteln.
- Der Bundesausschuß Ärzte und Krankenkassen hat in seinen Richtlinien festzulegen, in
welchen medizinisch notwendigen Fällen Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate,
Elementardiäten und Sondernahrung in die Versorgung einbezogen werden können. Für diese
Mittel ist vom Versicherten eine Zuzahlung von 8 DM zu zahlen. Hier hatte das Ministerium
sachgerecht gefordert, daß die Krankenkassen zur Zahlung nur dann berechtigt sind, wenn
die Produkte aus einer Apotheke bezogen werden. Die SPD-Abgeordneten haben diese
Vorschrift wieder gestrichen. Das heißt: Verbraucher wie Pflegeeinrichtungen können die
apothekenpflichtigen Waren auch direkt von Firmen oder Großhändlern einkaufen unter
Umgehung der Apotheke.
- Nur noch freiwillig GKV-Versicherte erhalten Kostenerstattung. Nur Vertragsärzte
dürfen aufgesucht werden. Die Krankenkassen müssen eine Mindestlaufzeit der
Kostenerstattung durch Satzung festlegen.
- Verträge über Modellvorhaben sind den Aufsichtsbehörden vorzulegen. Sie kann deren
Einhaltung überprüfen.
- Beschlossene Strukturverträge können weitergeführt werden. Es wird ein zusätzlicher
Finanzierungsspielraum von bis zu 0,6 Prozent der Gesamtvergütung Ärzte zur Verfügung
gestellt.
- Für die ärztlichen Körperschaften gilt: Die laufende Amtsperiode der Selbstverwaltung
wird bis Ende des Jahres 2000 verlängert. Die Begründung: Vorbereitung der
Gesundheitsreform.
- Die Gesamtvergütung der Ärzte und deren Anhebung im Jahr 1999 werden in Ost und West
nach dem Anstieg der Grundlohnsumme ermittelt. Übersteigt die Veränderungsrate im Westen
die Veränderungsrate der beitragspflichtigen Einnahmen im gesamten Bundesgebiet, findet
ein Ausgleich statt. Die KVen West zahlen dann einen Ausgleich an die Ärzte im Osten. Das
Nähere sollen Richtlinien der KBV bestimmen. Das Bundesgesundheitsministerium stellt die
beitragspflichtigen Einnahmen der GKV-Mitglieder fest.
- Die GOÄ in Ostdeutschland wird von 83 auf 86 Prozent des West-Wertes angehoben.
- Bei der Förderung der Allgemeinmedizin wird die Zahlung der Krankenkassen auf "bis
zu 2000 DM" monatlich für Weiterbildungsstellen im ambulanten Bereich
festgeschrieben. Der stationäre Bereich erhält glatte 2000 DM.
- Zahlreiche Änderungen betreffen den Risikostrukturausgleich. Die wichtigste Neuerung:
Das Bundesversicherungsamt kann genehmigen, daß Nachzahlungen der Krankenkassen über
Jahre gestreckt werden.
PZ-Artikel von Rainer Vollmer, Bonn
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