Sparen statt reformieren |
07.11.2005 00:00 Uhr |
von Thomas Bellartz, Berlin
So groß war der Wille zur Einigung dann doch nicht: Bei den Verhandlungen zur Bildung einer großen Koalition haben Union und SPD den Stolperstein Gesundheitsreform sicherheitshalber links liegen gelassen. Stattdessen behelfen sie sich erneut mit Sparmaßnahmen zu Lasten der Leistungserbringer auch der Apotheker.
Seit dem Jahreswechsel sind die Naturalrabatte ein Dauerthema in den Medien. Mit angeblich unsittlichen Angeboten der Generikahersteller füllten die deutschen Apotheken ihre Regale und Apothekerinnen und Apotheker ihren Geldbeutel. Dieser Nachricht gingen auch die Medien auf den Leim. Unterhaltungskünstler wie Professor Dr. Karl Lauterbach nutzten die Steilvorlage in gewohnter Manier. Der Gesundheitsökonom, seit einigen Wochen für die SPD im Deutschen Bundestag, rechnete bereits vor der Wahl aus, dass ein Verbot der Naturalrabatte zwei bis drei Milliarden Euro bringen würde. An den Zahlen hatten nicht nur seriöse Rechner ihre Zweifel. Auch das Gesundheitsministerium wies die Behauptungen zurück.
Obwohl Lauterbach nachweislich nicht recht hatte, blieb das Thema dank der Hartnäckigkeit der Kassen auf der Tagesordnung. Das Ergebnis wird nun Teil der Koalitionsvereinbarung zwischen Union und SPD. Naturalrabatte sollen verboten werden. Zumindest dann, wenn Apotheker und Pharmahersteller am Geschäft beteiligt sind. Eine halbe Milliarde Euro Einsparungen versprechen sich die Verhandlungspartner. Das Verbot des Rabatts nützt tatsächlich jedoch wenig. Das Geld besorgen sich die zukünftigen Koalitionspartner bei den Generikaherstellern. Diejenigen, die die Apotheken angeblich allzu üppig finanziell bedachten, sollen ab sofort einen Rabatt in Höhe von 5 Prozent an die Krankenkassen entrichten.
ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf reagierte bereits Ende vergangener Woche auf die halböffentliche Debatte: »Wie bekannt wurde, soll ausschließlich im Pharmabereich gespart werden. Natürlich stehen wir Apotheker zu unserer gesundheitspolitischen Verantwortung das haben wir bei allen bisherigen Reformen getan und werden dies auch künftig tun. Doch ich bin gespannt, was andere Bereiche zur Konsolidierung der Gesundheitsausgaben beitragen werden.«
Kassen sollen mit Firmen verhandeln
Apotheker erhielten zwar von der Pharmaindustrie etwa 450 Millionen Euro jährlich an Einkaufsvorteilen. Aber sie führten 1,2 Milliarden Euro als Verkaufsrabatte an die Krankenkassen ab. Dies entspreche etwa einem Viertel ihrer Vergütung, die sie von den Kassen erhalten.
In diesem Jahr habe die Apothekerschaft darüber hinaus auf die gesetzlich vorgesehene Anpassung des Kassenabschlages verzichtet und so einen zusätzlichen Solidarbeitrag von 350 Millionen Euro geleistet, erinnerte Wolf an den weitgehenden Verzicht der Apotheker auf die ihnen gesetzlich zustehende Absenkung des Kassenrabatts. »Kein anderer Akteur im Gesundheitswesen hat einen ähnlichen Beitrag gegeben«, sagte Wolf. »Anstatt auf die Einkaufsrabatte der Apotheken zu schielen, sollten die Kassen direkt mit den Pharmaherstellern Rabatte aushandeln.« Diese Möglichkeit gebe es bereits seit 2003.
Der ABDA-Präsident forderte, die Aut-idem-Regelung vollständig in die Hände der Apotheker zu legen. Laut Betriebskrankenkassen sparten die Kostenträger heute bei der eingeschränkten Substitutionsregelung durch die Mitarbeit der Apotheker jährlich zwischen 200 und 300 Millionen Euro. Wenig erfreut sind auch die Generikaunternehmen. Nach Auffassung des Verbandes Pro Generika sind die Verhandlungsergebnisse unverständlich und sachlich nicht gerechtfertigt. »Es ist paradox, wenn ausgerechnet die Hersteller preiswerter Arzneimittel, die Jahr für Jahr den Krankenkassen Ausgaben in Milliardenhöhe einsparen, zu einem Preisnachlass gezwungen und gleichzeitig die wahren Kostentreiber geschont werden«, erklärte Geschäftsführer Hermann Hofmann. Es gebe für diese einseitige Maßnahme keinen sachlichen Grund. Die immer wieder aufgestellte Behauptung, das Preisniveau für Generika sei in Deutschland deutlich höher als in anderen Ländern, bezeichnete Hofmann als »falsch und längst widerlegt«.
Begünstigt würden die Hersteller patentgeschützter Arzneimittel. Diese Produkte, die in vielen Fällen lediglich als »Scheininnovation« angesehen werden, treiben die Ausgaben der Krankenkassen in die Höhe. Zum Naturalrabatt-Verbot sagte der Verbandsgeschäftsführer: »Damit wird den Unternehmen ein klassisches Wettbewerbsinstrument genommen.« Das widerspreche dem ordnungspolitischen Ziel, mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen zu erreichen. »Leider ist das Naturalrabatt-Thema in der Vergangenheit fast ausschließlich verzerrt und teilweise polemisch behandelt worden. Das ist bedauerlich.«
Immerhin ist die Koalition nicht auf die absurden Vorschläge der Kassen eingegangen. Das feurige Papier der Spitzenverbände der Gesetzlichen Krankenversicherer ist vorerst vom Tisch. Die hatten eine Absenkung der Honorarpauschale für die Apotheken von 8,10 Euro auf 6,10 Euro gefordert. Eine Milliarde Euro wären dies zu Lasten der Apotheken gewesen. Das war nicht durchsetzbar, hieß es sowohl von der SPD als auch aus den Reihen der CDU-Verhandlungsgruppe Gesundheit.
Arbeitsgruppe niedergeschlagen
In der Arbeitsgruppe, die sich eigentlich zum Ziel gesetzt hatte, mit einem Konsensmodell zur Reformierung des Gesundheitssystems einen sozialpolitischen Befreiungsschlag zu landen, gibt man sich einigermaßen niedergeschlagen. Die Verhandelnden haben sich freilich nicht mit Ruhm bekleckert. Es bleibt beim Kappen und Streichen. Die eigentliche Gesundheitsreform gilt bereits als aufgeschoben. Darüber werde frühestens im kommenden Jahr diskutiert, wahrscheinlich aber später.
Der Chef der bayerischen Staatskanzlei, Erwin Huber (CSU), hat zwar erklärt, man werde das Reformthema nicht ganz aus dem Koalitionsvertrag ausklammern. Doch konkrete Formulierungen wird man wohl vergebens suchen. Die Union hat sich wegen des Finanzierungsproblems wohl von der Gesundheitsprämie innerlich bereits verabschiedet, dafür will sie aber den Arbeitgeberanteil zur GKV einfrieren. Die SPD sperrt sich. Eine Annäherung könnte frühestens bei einer möglichen Entspannung der Wirtschaftslage im kommenden Jahr möglich werden.
Trotzdem gibt es Einigungen. Neben den Entscheidungen bei Naturalrabatten und zu den Generikapreisen sollen die Arzneimittelpreise insgesamt für zwei Jahre eingefroren werden. Ärzte dürfen sich auf Honorareinbußen bei Privatpatienten einstellen. Im Textentwurf zur Koalitionsvereinbarung ist von einer Überarbeitung der Gebührenordnung die Rede, geplant sind demnach fixe, aber gesenkte Gebührensätze. Auch die Abrechnung von GKV-Patienten soll verändert werden. Damit hätte sich Gesundheitsministerin Ulla Schmidt mit einer älteren Position durchgesetzt. Sie setzt auf Kopfpauschalen für Hausärzte und Fallpauschalen für Fachärzte.
Für die flächendeckende Versorgung dürfte eine neue Regelung ein echter Lichtblick sein. Praxisinhaber sollen Kollegen anstellen dürfen, Ärzte sollen sogar gleichzeitig in Praxis und Krankenhaus tätig sein dürfen. Weiterhin soll überprüft werden, inwieweit auch »nichtärztliche Heilberufe« Versorgungsaufgaben übernehmen können. Manchem Apotheker dürfte dies schon jetzt in den Ohren klingen.
Leichte Entspannung gibt es in den Gesichtern der PKV-Funktionäre. Die
Privatversicherungen sind noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen.
Die große Koalition plant bislang lediglich, dass Privatversicherte
zukünftig leichter zwischen einzelnen Anbietern wechseln können und ihr
angespartes Kapital mitnehmen können. Allerdings gilt diese Neuregelung
als komplex und schwer umsetzbar. Die PKV wird sich viel Zeit nehmen, um
dieses Gesetz umzusetzen.
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