Politik
"Basieren unsere Strategien auf berechenbarer Politik oder auf
Zeitzeichen?" fragte Dr. Paul Hoffacker, ABDA-Geschäftsführer für
Wirtschaft und Sozialpolitik, rund 150 Teilnehmer sowie die Referenten der
Pharma-Fachtagung '97 am vergangenen Montag in München. Die
Diskussion um die Rentenreform sei jedenfalls kein gutes Signal. Positiver
fiel dagegen das Urteil von Ministerialdirektor Dr. Manfred Zipperer,
Leiter der Abteilung Krankenversicherung und Gesundheitsversorgung im
Bundesgesundheitsministerium, über die Gesundheitspolitik aus. Das Gebot
"Vorfahrt für die Selbstverwaltung" ziehe sich wie ein roter Faden durch die
Reform im Gesundheitswesen und zeige Erfolge.
Sorge bereite dem Ministerium vielmehr das starke Anwachsen der Nullrezepte, so
Zipperer. Bei 18 Prozent aller zuzahlungspflichtigen Arzneimittel liege der
Abgabepreis unter dem seit 1. Juli geltenden Zuzahlungsbetrag. Bei Nl-Packungen
seien es sogar 30 Prozent. Die Versuchung sei für den Apotheker groß, so der
Ministerialbeamte, diese Rezepte nicht an die Apothekenabrechenstelle
weiterzuleiten. Eine solche Entwicklung würde die Bemühungen um
Datentransparenz unterlaufen und die Umsetzung der Richtgrößen beziehungsweise
Arzneimittelbudgets massiv erschweren.
Gesetzgeber wird auf die Zuzahlung nicht verzichten
Der Gesetzgeber werde auf die Zuzahlung als Mittel der Finanzierung des
medizinisch notwendigen Mehrbedarfs nicht verzichten. Andernfalls würden höhere
Ausgaben sofort auf die Beiträge und damit auf die Lohnnebenkosten
durchschlagen. Um die Krankenkassen in eine erhöhte Finanzverantwortung zu
nehmen, sei das Instrument der konditionierten Beitragssatzerhöhung eingeführt
worden. Dieses zwingt jeden Krankenversicherer, im eigenen Verhalten und in den
Verträgen mit den Leistungserbringern Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen, so
Zipperer. Die Dynamisierung, das heißt Koppelung der Zuzahlung an eine
Beitragssatzerhöhung ab 1999, hänge wie ein Damoklesschwert über den
Krankenkassen. Die Koalition beabsichtige jedoch nicht, diese Sanktionen
aufzuheben.
Nach den Worten von Zipperer wird die Abkehr von der Budgetierung konsequent
verfolgt. Dies werde besonders deutlich bei den Arznei- und Heilmittelbudgets, die
von Richtgrößen abgelöst werden müssen. Die Bundesempfehlung schlage vor, bei
der Festlegung von Richtgrößen für Arzneimittel solche Verordnungen auszunehmen,
bei denen keine Anhaltspunkte für eine unwirtschaftliche Anwendung außerhalb der
jeweils zugelassenen Indikation oder für eine Mengenausweitung bestehen.
Wirkstoffe, die von einer Richtgrößenfestlegung ausgenommen werden könnten,
würden in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe der Partner der Bundesempfehlung in
einer Liste zusammengestellt.
Unverständnis rief beim Bundesgesundheitsministerium hervor, daß die
Strukturverträge eine Welle der Entrüstung hervorgerufen haben. "Ich halte dieses
Instrument für einen wichtigen Meilenstein in der Weiterentwicklung unserer
Gesetzlichen Krankenversicherung", sagte Zipperer. Unbegründet sei die Sorge
einiger Leistungserbringer und ihrer Verbände, bestimmte Leistungen könnten durch
Strukturverträge ausgegrenzt werden. Bei einer verantwortungsbewußten
Ärzteschaft werde die Verknüpfung von medizinischer Notwendigkeit und
wirtschaftlichem Verhalten nicht zu einer Verschlechterung des Versorgungsniveaus
führen. Offenbar hätten die Patienten, die freiwillig an vernetzten Versorgungsformen
teilnehmen, keine Probleme mit Strukturverträgen.
Strukturverträge sind für Kassen zukunftsweisend
Strukturverträge sind der einzig wahre Weg in die Zukunft, waren sich die Vertreter
der Krankenkassen, Dr. Hans Jürgen Ahrens (AOK) und Wolfgang Schmeinck
(BKK), in der Diskussion einig. Auch der Vorsitzende der Kassenärztlichen
Vereinigung Hessen, Dr. Jürgen Bausch, sprach von einer Aufbruchstimmung, die
sich speziell bei den jüngeren Ärzten breit mache. Er könnte sofort fünf weitere
Versorgungsnetze in Hessen installieren. Die Honorare der Ärzte sollten "möglichst
unmittelbar" durch Einsparungen bei den veranlaßten Leistungen verbessert werden,
so der KV-Chef. Die Mehrarbeit in Qualitätszirkeln sollte vergütet werden. Bei
dieser Arbeit ginge es vor allem um die Entwicklung einer rationellen
Pharmakotherapie.
Für Dr. Bernd Eberwein, Bundesfachverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), ist
es ein Gebot der Redlichkeit, Industrie- und Apothekerverbände an den
Verhandlungen um die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens, vernetzte
Versorgungsformen und Verordnungsempfehlungen zu beteiligen. Dr. Johannes
Pieck, Sprecher der ABDA-Geschäftsführung, forderte Kontinuität in der
Gesundheitspolitik ein. Er plädierte für eine Beteiligung der Apotheker an den
Strukturverträgen. Dies hätte nicht - wie fälschlich behauptet - eine Bremswirkung.
Im Gegenteil: Der Berufsstand habe bei den jüngsten Reformmaßnahmen sozusagen
die Öffentlichkeitsarbeit für den Gesetzgeber und die Krankenkassen übernommen.
An der Basis wachse das Unverständnis, wenn immer neue Regelungen im
Halbjahresrhythmus eingeführt würden. Schließlich sei es ein Unding, Patienten mit
einem Malus zu belegen, während Ärzte aus Minderverordnungen Boni kassieren.
Mit Genugtuung stellte Pieck Einvernehmen zwischen Krankenkassen, Ärzten und
der Industrie fest, die die Beratungsleistung der Apotheker bei verordneten sowie
bei Selbstmedikationsarzneimitteln anerkennen. Die Phase der Aufgeregtheiten sei
zumindest in diesem Bereich offenbar überwunden.
PZ-Artikel von Gisela Stieve, München
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