Politik
Ein
Sparvorschlag: Listenmedizin à la Südbaden
Durch
praxisindividuelle Arzneimittellisten will die
Kassenärztliche Vereinigung (KV) Südbaden das
Verordnungsverhalten ihrer Mitglieder in den Griff
bekommen. Der Pharmazeutischen Zeitung liegt der
vertrauliche Entwurf für eine Anleitung vor, mit deren
Hilfe sich jeder südbadische Vertragsarzt quasi eine
eigene Arzneimittelpositivliste zusammenstellen kann.
Zwar betont die KV Südbaden mehrfach, sie wolle
lediglich Anregungen für eine rationale Pharmakotherapie
geben. Doch derartige Hinweise dienen offenkundig nur
dazu, gerichtliche Auseinandersetzungen mit der
Pharmaindustrie zu vermeiden. Faktisch kommen die
qualitativen und finanziellen Bewertungen ganzer
Präparategruppen einer Richtschnur für die
Verschreibungspraxis gleich, die kaum ein
niedergelassener Mediziner außer acht lassen wird.
In ihrer Anleitung nimmt die KV Südbaden ausdrücklich
Bezug auf den Arzneiverordnungsreport 1996 und listet
detailliert Arzneimittelgruppen mit umstrittener Wirkung
auf. Im vergangenen Jahr seien für knapp sieben
Milliarden DM derartige Präparate verordnet worden.
Jeder Arzt solle sich deshalb fragen, ob er diese
Medikamente noch in "budgetgefährdenden
Größenordnungen" verschreibe. Schließlich liege
das größte Einsparpotential darin, Arzneimittel, die
medizinisch nicht notwendig sind, gar nicht erst zu
verordnen.
Für andere, umsatzstarke Indikationsgruppen nennt die KV
Südbaden die Preisunterschiede für verschiedene
Präparate. Angegeben werden das teuerste und das
billigste Produkt einer Indikationsgruppe. Dabei werden
teilweise beachtliche Preisunterschiede deutlich:
ASS (500mg, 20 Tabletten) kostet zwischen 2,75 DM und
ll,75 DM, beim Antirheumatikum Piroxicam (20 mg, 50
Tabletten) liegt die Preisspanne zwischen 38,50 DM und
93,69 DM und das Antidiabetikum Glibenclamid (3,5 mg, 120
Tabletten) ist für 9,20 DM oder 26,46 DM zu haben.
Die KV Südbaden nimmt darüber hinaus konkrete
pharmakologische Bewertungen einzelner
Arzneimittelgruppen vor, wiederum gestützt auf den
Arzneiverordnungsreport und das Arzneimittelkursbuch.
Gleichzeitig gibt sie weitere Einspartips:
Die Vielzahl der angebotenen durchblutungsfördernden
Mittel zeige nur, daß es noch keine Substanz mit
erwiesenem therapeutischen Nutzen zur Behandlung von
Durchblutungsstörungen gebe.
Blutzucker-Teststreifen würden jährlich für über 200
Millionen DM verordnet. Sie sollten deshalb nur Patienten
verschrieben werden, die das Testergebnis eindeutig
interpretieren könnten und in der Lage seien, daraus
eigenständige therapeutische Konsequenzen zu ziehen.
Zahlreiche Pharmafirmen lieferten Hochpreismedikamente an
Krankenhäuser zum Nulltarif oder zu günstigen
Konditionen, weil bei chronischen Erkrankungen die
Erstverordnung durchschnittlich zwei bis drei Jahre
weitergeführt werde. Niedergelassene Ärzte sollten
deshalb die Klinikärzte bitten, die Inhaltsstoffe der
verschriebenen Medikamente und nicht die Markennamen in
den Entlassungsbriefen zu nennen.
Die Behandlung von Typ-II-Diabetikern sei ein gutes
Beispiel für eine nicht medikamentöse Therapie.
Patientenführung, Diätberatung und Gewichtsabnahme
stellten die Eckpfeiler der Therapie dar. Der Stellenwert
des oralen Antidiabetikums Acarbose werde äußerst
kontrovers diskutiert. Vor einer Therapie mit diesem
Mittel müsse daher eine besonders sorgfältige
Kosten-Nutzen-Abwägung erfolgen.
Die Primärprävention mit Lipidsenkern bei
Überschreitung bestimmter Laborwerte und gleichzeitigem
Vorliegen weiterer Risikofaktoren sei abzulehnen: Es
werden zwangsläufig eine große Zahl Gesunder behandelt,
die von der Therapie keinen Nutzen hätten.
Generell sei als Gegengewicht zur marketingorientierten
Herstellerwerbung die Lektüre kritischer Fachliteratur
wie dem Arzneimittel-Kursbuch unerläßlich. Jeder Arzt
müsse sich zudem fragen, in welchem Umfang sein
Verordnungsverhalten durch Patientenwünsche beeinflußt
werde. Die individuelle Arzneimittelliste sollte
letztlich eine überschaubare Menge bewährter Substanzen
enthalten. Innovationen seien einer sorgfältigen
Kosten-Nutzen-Bewertung zu unterziehen.
PZ-Artikel von Hans-Bernhard Henkel, Bonn
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