Pharmazeutische Betreuung ist die Zukunft |
26.10.1998 00:00 Uhr |
Politik
"Was würden Sie der neuen Bundesgesundheitsministerin raten zu tun", fragte Professor Dr. Matthias von der Schulenburg, Experte für Gesundheitsökonomie an der Universität Hannover, in die Podiumsrunde. Soll etwa ein neues Kostendämpfungsgesetz kommen? Nein, höhere Effizienz ist nach den Worten von Professor Dr. Marion Schaefer, Humboldt-Universität Berlin, gefragt. Und zwar von allen Beteiligten im Gesundheitswesen: Ärzten, Apothekern, Großhandel und Industrie. Arzneimittelsicherheit und die Effizienz der Arzneimitteltherapie müßten gewährleistet sein. Apotheke ist gleich Pharmazeutische Betreuung und die muß in die Netze integriert werden, stellte Schaefer fest. Heute würden viele Patienten aus eigenen Stücken zu verschiedenen Ärzten gehen, weil ihnen oft nicht geholfen werden könne oder sie mit der Therapie nicht einverstanden seien. Möglicherweise sei das "Doctor-Hopping" ein Indiz für die große Unzufriedenheit der Patienten mit den Ärzten.
Der Vertreter der Ärzte, Dr. Burkhard John, Vorsitzender des Hausärzteverbandes in Sachsen-Anhalt, sieht Leistungsausgrenzungen durch den Gesetzgeber kommen. Eine Überalterung der Gesellschaft sei zu befürchten, die zur Kostenexplosion der eh schon knappen Mittel führen wird. Er plädierte für eine Aufgabe der sektoralen Budgetierung, die mit einer Vernetzung der Versorgungsformen einhergehen sollte. Und wenn es eine Positivliste geben soll, dann soll sie wirklich grün sein und die Phytos mit einschließen", so John. Apotheker kann sich der Arzt in vernetzten Strukturen durchaus vorstellen. Sie könnten sogar ein Bonus für das System sein.
Für Wilfried Hollmann, Vorstandsmitglied der Noweda, ist vor allem das "Gefasel vom Versandhandel, der angeblich so günstig ist, und das Gerede von der Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzes unerträglich". Wer sich andere Versorgungsformen genau betrachte, müsse zu dem Schluß kommen, daß unser Gesundheitssystem Spitze ist. Teile des Großhandels könnten sich nach Hollmanns Einschätzung neu strukturieren oder Bestandteil eines Netzwerkes werden. Die Noweda jedoch mache sich Gedanken, wie sie den Apothekern helfen kann, damit sie noch mehr für ihre Patienten tun können. Die Patienten ihrerseits müßten lernen, daß Gesundheit etwas kostet. "Mental sind die Bürger aber noch nicht so weit." Die gesetzliche Krankenversicherung habe kein Kostenproblem, sondern ein Einnahmeproblem, weil sie zu viele versicherungsfremde Leistungen finanziere.
Daß die Gesellschaft nicht am, sondern mit dem Arzneimittel sparen muß, machte Knut Vocke, Vorsitzender des Apothekerververeins Sachsen-Anhalt, deutlich. In der ehemaligen DDR würden jetzt bei Diabetikern Spätschäden sichtbar, die aus einer mangelhaften Arzneimittelversorgung vor dem Fall der Mauer resultierten. Die Apotheker müßten jetzt in den Netzen mitwirken können und der Gesellschaft den Mehrwert Apotheke vermitteln.
Schaefer: Mit den Ärzten gemeinsame Sache machen
Pharmazeutische Betreuung, per definitionem die "systematische Begleitung der Arzneimittelanwendung beim Patienten zur Sicherung des Anwendungserfolgs und zur Verbesserung seiner subjektiven Befindlichkeit und Lebensqualität", ist ein unzweifelhafter Trend in der deutschen Pharmazie. Pharmazeutische Betreuung kann jährlich 2,5 bis drei Millionen DM direkt einsparen, rechnete Schaefer in dem Workshop "Ärzte und Apotheker auf dem Weg in die Zukunft" vor. Bei Arzneimittelausgaben der GKV in Höhe von 23 Milliarden DM im Jahr nicht viel, gibt die Sozialpharmazeutin zu. Entscheidend seien aber nicht die Kosten, die "nicht mehr", sondern solche, die "gar nicht erst" auf das System zukommen. Häufig auftretende arzneimittelbezogene Probleme sind nach Schaefers Darstellung unvollständige Verordnungen, versehentliche Fehlverordnungen, Verunsicherungen der Patienten bei Therapiewechsel, Unverträglichkeiten, Complianceprobleme, Handhabungsprobleme und Wechselwirkungen auch mit OTC-Präparaten.
Die Apotheker seien für den Nutzeffekt und den Mehrwert des Arzneimittels verantwortlich, indem sie zum Beispiel eine Medikationsdatei anlegen, ein Medikationsprofil eines Patienten der vergangenen sechs Monate führen, arzneimittelbezogene Probleme erkennen und lösen, ein Betreuungs- und Interventionsprotokoll führen und die Therapie-Ergebnisse bewerten. "Der pharmazeutisch betreute Patient ist idealerweise ein Stammpatient", so Schaefer. "Schadensvermeidung ist das eine Standbein", die Dokumentation der Anwendungserfolge das andere.
Die Apotheker müßten den Schulterschluß mit den Ärzten suchen, um künftig bei klar definierten Kompetenzen die Patienten gemeinsam zu betreuen. Gemeinsamkeiten sieht Schaefer bei der Mitwirkung an der Früherkennung, Auswahl der am besten verträglichen Arzneimittel, Dosisfindung und Dosisanpassung, Vermeidung von Medikationsunterbrechungen, Berücksichtigung der Selbstmedikation, Management der Begleiterkrankungen, Motivation zur Physiotherapie und Beratung zur konkreten Arzneimittelanwendung.
Rezeptdatenauswertung als Steuerungsinstrument
Pragmatisch und anschaulich mit Beispielen aus der Praxis stellte Dr. Peter Froese, Apotheker aus Rendsburg, die Möglichkeiten der Rezeptdatenauswertung vor. Es handelt sich dabei um neutrale Analysen für Apotheker und Ärzte, die als Planungs- und Auswertungshilfe künftig ein unverzichtbares Steuerungsinstrument sein werden. Patienten- und Medikationsdaten seien in den Rechenzentren der Apotheker schon erfaßt. Jetzt müßten noch die Daten aus der Selbstmedikation dazugespielt werden. Die Vernetzung der Apotheken untereinander sei jetzt das Gebot der Stunde, weil auch sie dem Patienten Mehrwert bieten könne. "Man muß das Rad nicht noch einmal erfinden, und man muß Daten nicht doppelt erfassen", so der Referent.
Sechs Workshops mit breitem Themenspektrum
Am Samstagnachmittag haben sich die Apothekerinnen und Apotheker in Workshops exklusiv fortbilden können. Ursula Hasan-Boehme, Diplom-Volkswirtin und Steuerberaterin, gab ihren Hörern Eckpunkte einer systematischen Unternehmenssteuerung an die Hand. Die Geschäftsführerin der Treuhand, Hannover, entwickelte Kriterien der Sortimentsauswahl oder zeigte unter anderem, wie die Warenwirtschaft zu optimieren ist.
Unter der Moderation von Konrad Riedel, erster stellvertretender Vorsitzender des LAV Sachsen-Anhalt, haben die Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft der Selbsthilfe-Kontaktstellen Sachsen-Anhalt, Sigrid Roßberg und Kerstin Küchler, Vorsitzende des Magdeburger Förderkreises der Eltern diabetischer Kinder und Jugendlicher berichtet, wie die Zusammenarbeit von Selbsthilfegruppen und Apothekern gestaltet werden kann.
PZ-Artikel von Gisela Stieve, Magdeburg
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