Politik
Könnten vernetzte Praxen und Strukturverträge neue Wege der
ärztlichen Versorgung sein? Diese Frage diskutierten Experten auf einem
Symposium von Boehringer Ingelheim und Knoll am 25. Oktober im
Kongreßzentrum des ZDF in Mainz. Einig war man sich über das Ziel aller
Bemühungen: die Verbesserung der medizinischen Versorgung bei
möglichst nicht steigenden Kosten. Nur wer die Spinne im Netz sein würde,
darüber gingen die Meinungen auseinander.
Dr. Hartmut Schmall, Präsident der Bundesapothekerkammer (BAK), bot erneut
Dienstleistungen der Apotheken in vernetzten Praxen an, die Ärzte darin unterstützen
könnten, den Überblick über das Ausmaß ihrer Verordnungen zu bekommen.
Wesentlich schneller als die Kassenärztlichen Vereinigungen könnten die
Apothekenrechenzentren Daten und Verordnungsanalysen liefern. Die Vermeidung
asymmetrischer Informationen zwischen Ärzten und Apothekern, die Verbesserung
der Compliance und die Bewältigung des zunehmenden Kostendrucks aufgrund der
Einnahmenproblematik der Krankenversicherungen seien eine gemeinsame
heilberufliche Aufgabe, die nur in einer heilberuflichen Allianz gelöst werden könne.
Schmall rief zu gegenseitigem Respekt auf. Die Diagnose- und Therapiehoheit des
Arztes und der pharmazeutische Sachverstand des Apothekers müßten sich
ergänzen. Die pharmazeutische Betreuung diene der Erhöhung der
Anwendungssicherheit und nicht der Therapiekontrolle des Arztes. Sie könne nur
wirksam im Zusammenspiel zwischen Patient, Arzt und Apotheker sein. Ziel sei es,
die Lebensqualität des Patienten zu verbessern. Durch den richtigen und effektiven
Arzneimitteleinsatz könnten Kosten im Gesundheitssystem gespart werden, erklärte
Schmall. Die an den vernetzten Praxen beteiligten Parteien hätten bedauerlicherweise
bislang keine Gesprächsbereitschaft signalisiert. Die Apotheker könnten weitere
Einsparpotentiale erkennen und die ökonomische Verantwortung mittragen. Sie
könnten nach Schmalls Worten auch neue Versorgungsformen unterstützen, wenn
die Qualität gesichert sei.
Einen Schlagabtausch lieferten sich Dr. Hans-Friedrich Spies, 2.Vorsitzender der
Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, und der Vorsitzende des Hessischen
Apothekerverbands, Otto Späth. Der HAV-Vorsitzende forderte die KV auf, die
"sittenwidrigen und ethisch-moralisch nicht vertretbaren Bonusverträge"
zurückzunehmen. Es könne nicht angehen, daß Ärzte durch Einsparungen bei der
Arzneimittelverordnung ihr Honorar aufbesserten. Die KV wird nach den Worten
von Spies "diesen sinnvollen Vertrag" nicht zurückziehen, weil es sich um eine
berechtigte Honorierung der Arbeit in Qualitätszirkeln handele.
Vernetzte Praxen stehen, so Spies, für die Gesundheitsreform an sich. Dieser
Versuch, Strukturen des Managed Care auf das deutsche Gesundheitssystem zu
übertragen, beinhalte auch, daß "sich Patienten neu sortieren müssen", also
gegebenenfalls auf Rechte wie die Primärarztwahl verzichten. Gleichzeitig sieht der
KV-Vize in den neuen Vertragsformen eine Chance der niedergelassenen Ärzte.
Einnahmenprobleme der GKV forderten vom Patienten höhere Eigenbeteiligung,
zum Beispiel in Form einer Zusatzversicherung.
Die interessanteste Frage aber sei, wer das Zentrum des Netzes besetzen werde.
Hier geht es um Macht im Gesundheitswesen, sagte Spies. Beruhigend sollte auf die
Apotheker wirken, daß Erfahrungen in den USA zufolge die Arzneimittelausgaben in
den Netzen über kurz oder lang steigen, da immer mehr Patienten vor einer
Fehleinweisung geschützt und ambulant behandelt würden.
PZ-Artikel von Gisela Stieve, Mainz
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