Deutscher Apothekertag
1996
Pieck:
nichts ist
mehr sakrosankt
Wenn auch die
Privatisierung der Apotheken in den neuen Bundesländern
erfolgreich abgeschlossen ist, sollte sich der Deutsche
Apothekertag mit Entwicklungen beschäftigen, die alle
Apotheker gemeinsam betreffen. So mußte Dr. Johannes
Pieck, Sprecher der Geschäftsführung der ABDA -
Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände,
feststellen, daß ordnungspolitische Grundlagen des
freiberuflich geprägten Apothekenwesens "nicht mehr
sakrosankt" sind.
Er nannte das Verbot von Fremd- und Mehrbesitz,
die konsequente Apothekenpflicht unter Ausschluß aller
anderen Vertriebswege sowie die
Arzneimittelpreisverordnung. Es bestehe immer dort die
Versuchung, ein System in Frage zu stellen, wo
Parlamentarier oder Beamte unter politischen oder
finanziellen Druck geraten oder die öffentliche Hand
eigene wirtschaftliche Interessen erkennt.
Einspruch, Euer Ehren!
In dieser Phase der Gefährdung und der
Unsicherheit habe der Beschluß des
Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 1996 zu den
standesrechtlichen Werbebeschränkungen größte
Aufmerksamkeit gefunden. "Da hat man im Eifer des
Fortschritts wohl übersehen, daß weiterhin § 17 Abs. 1
Satz 1 der Apothekenbetriebsordnung gilt, wonach
Arzneimittel und apothekenübliche Waren nur in den
Apothekenbetriebsräumen abgegeben werden dürfen".
Pieck bedauerte, daß das Bundesverfassungsgericht die
gesetzlich fixierte Aufgabe des Apothekers mit Distanz
referiert und dessen Pflicht zur Beratung und Information
des Kunden nicht erwähnt habe, wohl aber den Status des
selbständigen Apothekers als "Kaufmann"
zitierte. Das Gericht verzichtete auf den Terminus
"Heilberuf" und ordnete den Apotheker gerade
noch den "sogenannten freien Berufen" zu.
"Wir lassen es uns nicht nehmen", so Pieck,
"zu den grundsätzlichen, inhaltlich durchaus
defizitären Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts
über den Apothekerberuf Stellung zu nehmen".
Das Selbstverständnis des Apothekers, einen Heilberuf
auszuüben, und nicht "Arzneimittelkaufmann" zu
sein, ist ein gesundheitspolitisches Postulat, das sich
aus dem geltenden Apothekenrecht ergibt. Die
wirtschaftliche Situation des selbständigen Apothekers
beruhe fast ausschließlich auf der Versorgung der
Bevölkerung mit Arzneimitteln und somit auf der
Arzneimittelpreisverordnung. Insofern sollten die
Warnungen des Bundesgesundheitsministers ernst genommen
werden, Apotheken nicht auf ein Drugstoreniveau abgleiten
zu lassen. Nur solange der "Apotheker in seiner
Apotheke" sich darauf konzentriert, die Versorgung
seiner Kunden sicherzustellen sowie informiert, berät
und abrät, habe die ABDA gute Argumente und reelle
Chancen im Kampf der Meinungen und Interessen. Nun
müssen die Apothekerkammern ihre Berufsordnungen unter
Beachtung des Beschlusses aus Karlsruhe und der in ihrem
Schatten ergangenen Entscheidungen überprüfen und neu
fassen. Dies werde in einer Koalition der Vernunft und
ohne Ratschläge von außen zügig gelöst.
Gleichzeitig sieht Pieck keine Veranlassung, als Reaktion
auf den Beschluß aus Karlsruhe das klassische
Randsortiment der Apotheke in Frage zu stellen, das mit
dem Begriff der apothekenüblichen Waren korrekt
umschrieben ist. Den Bundesländern müsse signalisiert
werden, daß ihre Absicht, § 25 ApBetrO abzuschaffen
oder den Katalog des Randsortimentes zu liberalisieren,
nicht akzeptiert werde. Damit würde ein Freibrief für
jegliche Art von Marketingtrallala"
ausgestellt.
Ketten, Versand und ärztliches Auseinzeln
Der Bundesverband der Betriebskrankenkassen
fordert als arzneipolitische Speerspitze der
Krankenkassen, daß neben öffentlichen Apotheken auch
Krankenhausapotheken oder direktliefernde Hersteller für
spezielle Therapien zuständig werden, daß die
Apothekenpflicht für den Praxisbedarf aufgehoben und
ausgewählte Apotheken für den Versandhandel mit
Arzneimitteln für chronisch Kranke und überhaupt
Kettenapotheken zugelassen werden sollen.
Bezeichnenderweise, so Pieck, gelten in einem BKK-Papier
Pool-Apotheken als Vorstufen der Kettenbildung.
Der Sprecher der Geschäftsführung berichtet weiter,
daß die Deutsche Post AG mit "PostMed", einem
Versandhandel für Arzneimittel, ihrem defizitären
Paketbereich auf die Sprünge helfen will. Nachdem
PostMed absichtsvoll die Vertreter der Apothekerschaft in
einem Gespräch in die Irre führen wollte, hält die
ABDA nun dagegen: Wenn es tatsächlich so kommen sollte,
warteten 50.000 Apotheker nur darauf, künftig ihre
Briefe und Päckchen den Wettbewerbern der Post
anzuvertrauen. "Dann finanzieren wir nicht auch noch
den gelben Pseudoapotheker".
Arzneimittelversand in der EU
Handfester als die Strategen der Deutschen Post
AG gehen nach Piecks Bericht englische Apotheken in
Deutschland vor, indem sie einen Versandhandel aus ihren
Offizinen praktizieren und unter Verstoß gegen deutsches
Recht auch hierzulande etablieren wollen.
Damit sei hinreichend erwiesen, daß die vorgesehene
Versandhandelsrichtlinie der EU, wonach der nationale
Gesetzgeber in eigener Verantwortung, aber eben nur
national, den Versandhandel mit Arzneimitteln verbieten
darf, ineffizient sein werde. Mit Bedauern nehme die ABDA
zur Kenntnis, daß Apothekerorganisationen in anderen
EU-Staaten einen Versandhandel mit Arzneimitteln
keineswegs ablehnen. Die ABDA habe das
Bundesgesundheitsministerium dringend aufgefordert, in
der anstehenden Siebten Novelle zum Arzneimittelgesetz
auf diese eklatanten Mißstände zu reagieren.
Leistung statt Worte
Auch wenn man unterstellt, daß Vertragsärzte auf die
Budgetüberschreitung so reagieren werden wie 1993, so
ist nach Pieck damit zu rechnen, daß aufgrund der
Alterspyramide der Arzneimittelmarkt seine
gesundheitspolitische Bedeutung behalten und sein
finanzielles Volumen sich langfristig positiv entwickeln
wird. Gerade deshalb stehe das deutsche Apothekenwesen
auf dem Prüfstand.
Für das, was die ABDA und ihre Mitgliedsorganisationen
begründet fordern, müsse die Praxis in den Apotheken
Glaubwürdigkeit und Beweise liefern. ABDA-Politik, die
nicht durch die Apotheker unterstützt und bestätigt
werde, laufe Gefahr, unglaubwürdig und ineffizient zu
werden. "Das ist die Botschaft meines diesjährigen
Geschäftsberichts."
Artikel von der PZ-Redaktion
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