Politik
Innovative Versorgungskonzepte sowie neue pharmazeutische
Wirkstoffe führen nicht nur zu einer besseren medizinischen Versorgung,
sondern wirken auch kostensenkend. Zu diesem Ergebnis kommt eine
Studie der Boston Consulting Group (BCG), die der Verband Forschender
Arzneimittelhersteller (VFA) in Auftrag gegeben hat. Pharmaunternehmen
beschränken sich dabei nicht mehr auf Forschung, Entwicklung und
Vermarktung neuer Präparate, sondern unterstützen Patienten, Ärzte und
Versicherungen auch in zunehmendem Maß durch Weitergabe von
Know-how, das sich auf die Prävention und alle Glieder der
Behandlungskette bezieht. Die weit verbreiteten chronischen Erkrankungen
stehen im Zentrum solcher Disease-Management-Konzepte, in die
idealerweise alle beteiligten Akteure und Leistungserbringer einbezogen
werden.
An sieben Erkrankungen zeigen die Autoren der Studie auf, daß es dabei auch in
Deutschland erste meßbare Fortschritte gibt: bei Diabetes mellitus, Asthma,
Hypertonie, HIV/AIDS, Krebs, Depression und Magengeschwüren. Bessere
Versorgungsqualität bei sinkenden Ausgaben sind aber auch bei anderen
Erkrankungen möglich, wie etwa eine zweijährige Pilotstudie im Bereich chronisch
obstruktiver Bronchitis und Lungenemphysem gezeigt hat.
Therapiedurchbruch: Magengeschwüre sind heilbar
Die inzwischen möglich gewordene Heilung der Magengeschwüre ist Paradebeispiel
für einen Therapiedurchbruch mit Hilfe von Produktinnovationen, die eine
Umstellung der gesamten Behandlungskette ausgelöst haben. Mit einer Kombination
aus einem Protonenpumpenhemmer und der Eradikationstherapie kann Helicobacter
pylori vollständig eliminiert werden. In über 90 Prozent der Fälle ist damit eine
kausale Heilung schon im ersten Anlauf möglich, und gleichzeitig wird die Häufigkeit
von Magenkrebs reduziert. Weniger Arbeitsunfähigkeitstage und kaum noch
Krankenhausaufenthalte haben bei dieser Krankheit zu starken Kosteneinsparungen
geführt. In Deutschland werde das jährliche Einsparpotential auf 3,2 Milliarden DM
direkter Kosten und möglicherweise bis zu zwölf Milliarden DM indirekter Kosten
geschätzt, so die Boston Consulting Group.
Ganz anders ist die Ausgangssituation bei Diabetes mellitus, an der vier Millionen
Menschen in Deutschland leiden. Eine schlechte Blutzuckereinstellung steht in
direktem Zusammenhang mit den auftretenden Komplikationen. Zudem führt die
wachsende Zahl von Neuerkrankungen in den Industrieländern zu hohen
Belastungen der Gesundheitssysteme. Eine kausale Therapie ist nicht in Sicht. Für
Deutschland konnte in Studien gezeigt werden, daß vor allem eine schlechte
Stoffwechseleinstellung, beispielsweise mit Blutzuckerwerten von über 7,8 mmol/l
nüchtern oder einem HbA1c größer 9,5 Prozent, für die hohen, durch Diabetes
verursachten Kosten verantwortlich ist.
Schlecht eingestellte Typ-I-Diabetiker verursachen demnach bis zu 4,5mal höhere
Kosten als gut eingestellte Patienten (14.000 DM gegenüber 3.000 DM pro Jahr).
Dabei handelt es sich hauptsächlich um Kosten, die durch verlängerte
Krankenhausaufenthalte sowie indirekt durch Arbeitsunfähigkeit verursacht werden.
Diese Kosten überwiegen bei weitem die Ausgaben der gut eingestellten Patienten
für vermehrten Materialbedarf zur Blutzuckerselbstkontrolle (etwa 2.000 DM pro
Jahr).
Diabetes: bis zu zwölffache Kosten bei schlechter Einstellung
Noch deutlicher ist der Kostenunterschied nach Angaben der Autoren bei
Typ-II-Diabetikern. Hier verursacht eine schlechte Einstellung acht- bis zwölfmal
höhere Kosten (13.100 DM im Vergleich zu 1.100 DM pro Jahr und Patient).
Die Ursachen einer schlechten Einstellung liegen teilweise bei den Patienten, teilweise
bei den Ärzten, heißt es in der Studie. Die Compliance sei vor allem beim Typ II
(ältere Patienten, zahlreiche Begleiterkrankungen) schon aufgrund der Vielzahl
verordneter Medikamente häufig niedrig. Hinzu komme, daß Ärzte oft wichtige
Parameter der adäquaten Blutzuckereinstellung sowie Untersuchungen
(Augenhintergrund, Füße) vernachlässigten, die erste Anzeichen von
Spätkomplikationen aufdecken sollten. Diese Versäumnisse dürften teils auf
betriebswirtschaftliche Gründe, teils auf Qualifizierungsmängel zurückzuführen sein,
wird vermutet.
Innovative Versorgung hebt die Lebensqualität
Dennoch haben in den letzten Jahren vor allem Prozeßinnovationen dazu geführt, die
Lebensqualität von Diabetikern zu verbessern, stellt die Boston Consulting Group
fest. Neben einer stärkeren Integration von Schulungsprogrammen,
Kommunikationssystemen zwischen Arzt und Patient sowie Dokumentationshilfen
für einzelne Stufen der Behandlungskette hätten sich innovative Versorgungsansätze
durch Kooperation von Krankenversicherungen, Patientengruppen und
Arzneimittelherstellern entwickelt. So wird beispielsweise beim Modellversuch von
AOK und Kassenärztlicher Vereinigung in Thüringen die ärztliche Vergütung -
allerdings noch in geringem Maße - von der Qualität der Untersuchungen und
Schulungsmaßnahmen bei Diabetikern abhängig gemacht. Alle Leistungen müssen im
Diabetiker-Paß und auf vereinbarten Vordrucken dokumentiert werden. Die
beteiligten Hausärzte und Schwerpunktpraxen wenden ein EDV-gestütztes
Dokumentationsprogramm zur Verlaufs- und Behandlungskontrolle an (technische
Plattform: Qmax), das den Vergleich der eigenen Behandlungsdaten mit denen der
Kollegen ermöglicht.
Aber auch Produktinnovationen haben die Diabetiker-Versorgung verbessert. Dazu
gehören besonders schnell wirksame modifizierte Insuline, bei denen der sonst
übliche Spritz-Eßabstand entfallen kann. Und ein neues orales Antidiabetikum vom
Sulfoylharnstoff-Typ, das nur einmal täglich verabreicht werden muß, erleichtert seit
kurzem die Therapietreue und weist zudem ein geringeres Unterzuckerungsrisiko auf
als ältere Vertreter dieser Substanzklasse. Ferner ermöglichen neue
Blutzuckermeßgeräte mit Sensortechnik und Vakuumstechhilfe eine einfachere
Handhabung und geringere Schmerzen bei der Blutentnahme.
Weniger Arbeitsunfähigkeits- und Krankenhaustage
Daß Prozeß- und Produktinnovationen bei der Diabetiker-Versorgung zu deutlich
verbesserter Qualität bei sinkenden Kosten führen, haben nach Einschätzung der
Autoren Diabetes-Schwerpunktpraxen bereits vorgemacht. Dort behandelte
Patienten weisen 74 bis 97 Prozent weniger Arbeitsunfähigkeitstage auf als
Diabetiker, die außerhalb von Schwerpunktpraxen behandelt werden. Die Zahl der
Krankenhaustage ist 67 bis 93 Prozent niedriger. Neue Schulungskonzepte und
Patientenbetreuung nach den Standards der Deutschen Diabetes Gesellschaft haben
diesen Erfolg ermöglicht. Außerdem hat sich nach Einschätzung der Patienten ihre
Lebensqualität mit der Betreuung in Schwerpunktpraxen verbessert.
PZ-Artikel von Karl H. Brückner, Bonn
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