Politik
Wieder einmal war der Medizinisch-Pharmazeutische Gesprächskreis
Ravensburg, der seit neun Jahren den interdisziplinären Austausch zwischen
Apothekern und Ärzten sowohl gesundheitspolitisch als auch
wissenschaftlich pflegt, am 29. September 1997 Mittelpunkt einer
Diskussion von Ärzten und Apothekern. Themen dieses Abends waren die
Auswirkungen der erhöhten Zuzahlungen seit dem 1. Juli 1997 und die
Konsequenzen, die sich für Apotheker und Ärzte durch die geplanten
Richtgrößen ergeben.
Aus der Sicht der Apotheker analysierte Joachim Dempe aus Neuravensburg die
Auswirkungen der Zuzahlungserhöhungen seit dem 1. Juli dieses Jahres. Dempe
bezeichnete die Zuzahlungen als den Beginn der Entsolidarisierung der Gesetzlichen
Krankenversicherung. Immerhin müßten im Regierungsbezirk Tübingen 24,7 Prozent
der verordneten Arzneimittel von den Patienten vollständig bezahlt werden, da sie
unter den Zuzahlungsbeträgen liegen. Durch diese finanzielle Mehrbelastung sieht
Dempe verstärkte Complianceprobleme, eine Kaufkraftabschöpfung und damit auch
keine steigende Selbstmedikation aus der Apotheke. Der Verbraucher würde jetzt
für die Selbstmedikation freiverkäufliche Arzneimittel aus Drogeriemärkten oder
SB-Ketten vorziehen.
Für die Apotheken habe die Erhöhung der Zuzahlungen sehr viel Frust, mehr Arbeit,
aber weniger Umsatz zur Folge. Immerhin sei die Rezeptzahl im Juli im
Einzugsbereich Tübingen gegenüber dem Vorjahr um 30,7 Prozent und der
Rezeptumsatz um 24,9 Prozent gesunken. Dieser Trend habe sich im August
fortgesetzt. Dempe interpretierte die Zurückhaltung der Ärzte bei der Verordnung
auch in der Richtung, daß Patienten Arzneimittel aus Gründen des Sparzwanges
vorenthalten würden. Außerdem sei das System nicht nur für die Patienten, sondern
auch für die beteiligten Heilberufe zu kompliziert. Befreiungs- und
Entlastungsmöglichkeiten würden nur selten genutzt. Er empfahl den anwesenden
Ärzten, im Zweifelsfall die Apotheker zu fragen. Außerdem gab er den Rat weiter,
zugelassene Arzneimittel, die als umstritten bezeichnet würden, aber preislich unter
den Zuzahlungsbeträgen liegen, wieder zu verordnen. Die Budgets der Ärzte würden
dadurch nicht belastet, und die Patienten seien zufrieden, da sie ihre gewohnten
Medikamente wieder verschrieben bekommen. Für die Selbstmedikation wünschte
sich Dempe die Zusammenarbeit mit den Ärzten. Ärzte sollten ihren Patienten nicht
die Arzneimittel aus den SB-Märkten empfehlen. Damit ginge die fachliche
Betreuung der Selbstmedikation verloren.
Professor Dr. Wolfgang Brech, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung
Südwürttemberg, stellte zunächst klar, daß aus seiner Sicht keine notwendigen
Arzneimittel von den Ärzten verweigert wurden. Es seien auch keine Schäden für
den Patienten wegen verweigerter Arzneimittel bekannt geworden. Die KV
Südwürttemberg empfehle allerdings, bei den Verordnungen Prioritäten zu setzen. Es
gebe eben auch Arzneimittel, die nicht mehr der Solidargemeinschaft zugemutet
werden könnten. Darin sehe er eine Verantwortung der Ärzte gegenüber dem
Gesundheitswesen. Allerdings sieht Brech, insbesondere vor dem Hintergrund neuer,
teurer, innovativer Arzneimittel, die Einsparmöglichkeiten bei den Arzneimitteln
annähernd ausgeschöpft.
Die Umstellung der pauschalen Budgets auf Richtgrößen hält der KV-Vorsitzende
für richtig. Das Arzneimittelbudget sei ungerecht und mit Recht gescheitert. Die
Vorteile der Richtgrößen sieht Brech in erster Linie darin, daß sie gerechter seien,
dem Arzt die Möglichkeit des Widerspruches einräumen und das Morbiditätsrisiko
wieder auf die Krankenkassen verlegen. Ziel sei es, arztbezogene Richtgrößen zu
erarbeiten, die für alle Krankenkassen verbindlich sind. Sie dürften nicht zum
Gegenstand des Wettbewerbs der Krankenkassen werden. Sie sollten einfach
handhabbar sein, Praxisbesonderheiten berücksichtigen und Arzneimittel für
Indikationen, die keine Mengendynamik haben, wie zum Beispiel Immunsuppressiva,
ausgrenzen. Gewisse Schwierigkeiten sieht Brech noch in der Überprüfung der
Richtgrößen, da die gesetztlich vorgegebenen Grenzen der Überschreitungen eine
Anzahl von Prüfungen bei den KVen verursachen würden, die von den vorhandenen
Kapazitäten nicht geleistet werden könnten. Man wolle mit den Krankenkassen
großzügige Handhabungen der Richtgrößen vereinbaren.
Angesprochen auf Modellversuche im KV-Bereich Südwürttemberg sagte Brech
den Apothekern zu: "Wenn wir Strukturmodelle machen wollen, werden wir die
Apotheker mit einbeziehen."
PZ-Artikel von Hartmut Morck, Weingarten
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