Politik
Am 8. August 1998 fand eine außerordentliche Mitgliederversammlung
des Deutschen Apothekerverbandes (DAV) statt, deren Diskussion in
einigen Fachzeitschriften als eine einmalige Auseinandersetzung
interpretiert wurde. Die Pharmazeutische Zeitung hat diese Diskussion
bewußt nicht öffentlich gemacht, weil wir der Meinung waren, daß es nicht
die Aufgabe der ABDA-eigenen Presse sein kann, eine noch nicht
abgeschlossene Diskussion in die Öffentlichkeit zu tragen. Das hätte aus
unserer Sicht dem DAV, besonders in seiner Rolle als Vertragspartner der
Gesetzlichen Krankenkassen, nur schaden können. Nachdem die
Diskussion intern zu Ende geführt ist, sprachen wir mit Hermann Stefan
Keller, dem DAV-Vorsitzenden , über das Ergebnis.
PZ: Herr Keller, können Sie den Hintergrund der Diskussion auf der
außerordentlichen Mitgliederversammlung am 8. August erläutern ?
Keller: Auf der außerordentlichen Mitgliederversammlung, die auf Antrag des
Apothekerverbandes Nordrhein einberufen wurde, sollte der
Niedersachsen-Vertrag und die Aut-idem-Auswahl als Bestandteil dieses Vertrages
in Ruhe diskutiert werden. Außerdem standen weitere Sachthemen, wie
Pharmaceutical Care, Elektronisches Rezept und aktuelle Probleme, wie die
Änderung der Arzneimittelpreisverordnung, auf der Tagesordnung. Das Programm
war also umfangreich, bot aber viel Platz für sachliche Diskussionen. So war auch
die Sitzung geplant: durch Informationen und Beratungen die Diskussion innerhalb
des DAV über diese Themen offen zu führen.
PZ : Wie kam es zu dem Bild, das in einigen Zeitungen gezeichnet wurde, der DAV
stehe vor der Spaltung ?
Keller: Ausgang für diese Spekulationen waren offensichtlich Anträge aus Sachsen,
die vorsahen, daß bei Verträgen mit bundesweiter politischer Bedeutung, wie der in
Niedersachsen, eine Diskussion vorher ausführlich in den DAV-Gremien geführt
werden muß. Dem hat sich die Mitgliederversammlung mehrheitlich angeschlossen.
Dem ist auch nicht zu widersprechen. Solche Verträge sollten nur mit dem Votum
des DAV umgesetzt werden, egal ob es sich um regionale Modellversuche oder
bundesweite Verträge handelt. Wir hatten leider bei der Diskussion zu diesen
Anträgen eine etwas emotionale und personenbezogene Aussprache, bei der die
Sache zunächst hinten anstand. Mit Vorträgen zweier Gäste aus Niedersachsen, die
aus der Sicht der Krankenkasse und der Apothekerkammer zu dem Modell
Niedersachsen Stellung bezogen, wurde wieder eine Versachlichung erreicht. In den
anschließenden Abstimmungen kam es dann auch zu einer klaren Meinungsbildung
des DAV, die zusammengefaßt heißt:
1. Das Niedersachsen Modell ist nicht vorbildlich für den gesamten DAV.
2. Solche Modelle müssen, bevor sie praktiziert werden, im Vorstand diskutiert
werden. Das heißt, Meinungsverschiedenheiten werden zukünftig intern
ausdiskutiert.
3. Der Antrag aus Sachsen, den Verhandlungsführer des DAV mit den
Krankenkassen abzuwählen, wurde von der Mitgliederversammlung angelehnt. Die
Vorsitzende des sächsischen Apothekerverbandes und Mitglied des
geschäftsführenden DAV-Vorstandes, Frau Koch, stellte nach dieser Entscheidung
die Vertrauensfrage. Sie wurde von der Mitgliederversammlung im Amt bestätigt.
PZ: Welche Bedeutung hat retrospektiv diese Diskussion für Sie als Vorstitzenden
des DAV?
Keller: Ich bin der Auffassung, daß es zum Selbstverständnis eines Verbandes
gehören muß, innerhalb seiner Gremien offen und ehrlich zu diskutieren. Dies wird
und wurde vielleicht manchmal zu wenig geübt. In einem demokratischen
Meinungsbildungsprozeß ist es nur so möglich, zu Beschlüssen zu kommen, die von
einer breiten Mehrheit mitgetragen werden und die die Richtung der Politik für alle
verbindlich machen.
PZ: Lassen Sie mich noch auf einen Punkt zurückkommen, der bei der Diskussion
um den Niedersachsen-Vertrag die Hauptrolle spielte: Die Qualität spiele bei der
Auswahl keine Rolle, nur der Preis sei maßgebend. War dieser Einwand
gerechtfertigt oder nicht?
Keller: Hier lag wahrscheinlich ein Fehler im Informationsaustausch, der in
Niedersachsen oder auch in Frankfurt verursacht wurde. Denn nicht allen war der
Wortlaut des Vertragsentwurfes bekannt. Das gab zu Spekulationen Anlaß. Wenn
man den Text aber genau liest und ihn im Kontext zu den entsprechenden
Paragraphen des SGB V interpretiert, sind diese Spekulationen nicht mehr
gerechtfertigt. Nimmt man nur die Preisschiene, dann hat dieser Vertrag sicher in
einem gewissen Sinne Nachteile, weil im Preissegment unterhalb des §129
ausgewählt wird. Sieht man allerdings die generelle Verpflichtung zu aut idem, ergibt
sich eine Sichtweise, bei der der Preis primär keine Rolle spielt. Hier ist die
Verantwortung des Apothekers angesprochen und das entspricht wiederum den
ABDA-Thesen zur besseren Versorgung des Patienten mit Arzneimitteln unter der
Mitverantwortung des Apothekers. Deshalb muß jeder Vertrag in seiner Gesamtheit
dahingehend beurteilt werden, ob die preisliche Verantwortung mit der
Verantwortung für die Qualität, mit der Möglichkeit für die Beratung durch den
Apotheker zur Stärkung der apothekerlichen Kompetenz eingebunden ist. Nur wenn
dies gegeben ist, kann man solchen Verträgen näher treten. Nach meinen
augenblicklichen Informationen ist der Niedersachen-Vertrag nach wie vor nicht
unterschrieben, weil beide Seiten Nachbesserungen haben wollen. Ich gehe davon
aus, daß das Thema zur Zeit erledigt ist.
PZ: Die Tendenz der Niedersachsen, aktiv in die Modelle und die Strukturverträge
einzusteigen, ist doch als positiv zu werten ?
Keller: Die Apotheker und insbesondere die Apothekerverbände müssen sich auf
die Realität einstellen. Es gibt Strukturverträge, und es gibt Modellversuche im
Gesundheitswesen. Und wir Apotheker sind aufgefordert, bei diesen Verträgen und
Modellen mitzumachen. Man kann sich sicher über den Modus streiten. Aber wir
sind gefordert, Modelle anzubieten. Jeder Landesverband muß für sich entscheiden,
in welcher Form er die Apotheker an Modellen mit Krankenkassen oder
Kassenärztlichen Vereinigungen beteiligen kann. Natürlich ist es für uns schwer, in
diese Modelle und Strukturverträge einzusteigen, weil der Gesetzgeber vorgesehen
hat, daß die Krankenkassen dies mit den Ärzten alleine regeln. Bisher ist es auch so,
daß solche Modelle und Strukturverträge ohne Apotheker laufen. Wir sollten
allerdings nicht den Anspruch aufgeben, mitzureden und eigene Vorschläge zu
machen. Deshalb ist das Generalthema auf dem Deutschen Apothekertag Der
Apotheker als Partner im Gesundheitswesen". Hier werden die Möglichkeiten
diskutiert, wie sich die Apotheker einbringen können.
PZ-Interview von Hartmut Morck, Eschborn
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