Politik
Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik hat ein Kanzler
eine Wahl verloren. Es war die letzte Wahl in Bonn und in diesem
Jahrhundert. Der Wähler hat entschieden, daß SPD und Grüne die
christlich-liberale Regierungskoalition ablösen. Das Ende der Ära Kohl,
sagten die einen, oder nur "time for a change" die anderen. Die Gewinner
haben im 14. Deutschen Bundestag die absolute Mehrheit. Die PZ holte
erste Stellungnahmen zum Wahlausgang ein.
ABDA-Präsident Hans-Günter Friese warnte vor voreiligen Spekulationen. "Wir
nehmen das Ergebnis zur Kenntnis und warten zunächst einmal die
Koalitionsverhandlungen ab". Dem ABDA-Präsidenten stellen sich zur Stunde viele
Fragen: Bleibt das Krankenkassenressort im Bundesgesundheitsministerium, und
behält dieses Ressort damit auch künftig sein politisches Gewicht? Bleibt es beim
100-Tage-Programm der SPD, oder macht die Partei schon bald einen
"Kassensturz" im System der sozialen Sicherung, wie sich Schröder im Wahlkampf
geäußert hatte? Nimmt die neue Regierung die Zuzahlungen für Arzneimittel bei
chronisch Kranken zurück und erzeugt damit erheblichen Finanzdruck auf das
System? Kommt die Positivliste? Kommt es zu regionalen Einkaufsmodellen mit
gegebenenfalls einzelvertraglicher Gestaltung?
"Auf jeden Fall muß man heute konstatieren, daß das Gesetzgebungsverfahren
künftig einfacher sein wird, weil die Sozialdemokraten in Bundestag und Bundesrat
die Mehrheit stellen", so Friese. "Die ABDA setzt auf eine ordnungspolitisch saubere
Auffassung der SPD, das heißt, daß Versandhandel mit Arzneimitteln und die
Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes ausgeschlossen sind."
Es muß nach Frieses Worten auch konstatiert werden, daß die SPD bisher die
Leistungen des Apothekers anerkannt hat und sie stärken will. Die Partei habe die
Apotheke als die soziale und kommunikative Drehscheibe, insbesondere für ältere
Mitbürger, verstanden. "Als ABDA werden wir auf der Basis von nüchternen Zahlen
und Daten argumentieren und erwarten, daß eine Gesundheitspolitik gestaltet wird,
die nicht auf Ideologie und Wunschdenken basiert", so Friese.
Dr. Hartmut Schmall, Präsident der Bundesapothekerkammer, ist davon überzeugt,
"daß wir mit unseren ABDA-Thesen ein Programm haben, das wir - egal mit
welcher Regierung - auf den Weg bringen können; jetzt in Kooperation mit der SPD
und den Grünen". Die Apotheker seien sicherlich keine Freunde einer Positivliste.
Notfalls werde man sich mit ihr arrangieren müssen. Wesentlich wichtiger ist dem
BAK-Präsidenten die Frage der Strukturverträge. Schon unter den
Koalitionsparteien habe es gewissen Nachholbedarf gegeben. Jetzt gelte es mit der
neuen Regierung die Frage der Einbindung des pharmazeutischen Sachverstands zu
diskutieren.
Auch unter der bisherigen Regierungskoalition haben die Apotheker den Faden zur
SPD und den Grünen nicht abreißen lassen. Insofern werde es kein Problem sein,
diesen erneut aufzugreifen, um schon bald einen intensiven Dialog einzuleiten. "Ich
bin unter den neuen politischen Gegebenheiten zuversichtlich", sagte Schmall, ohne
deshalb gleich mit fliegenden Fahnen ins andere Lager überzulaufen. Es gelte wie
bisher, die Interessen mit aller Ernsthaftigkeit zu vertreten.
Hermann Stefan Keller, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands, in seiner
ersten Stellungnahme: "Das Ergebnis war überraschend klar. Ich sehe jetzt große
Veränderungen auf das Gesundheitswesen zukommen, obwohl das
100-Tage-Programm der SPD keine Angaben zum Apothekenwesen enthalten hat."
Jetzt müßten erst die Koalitionsverhandlungen abgewartet werden. Schließlich könne
es auch Veränderungen in den Zuständigkeitsbereichen der Ministerien geben.
"Wenn das Sozialgesetzbuch wieder beim Arbeitsministerium angesiedelt wird,
verliert der Gesundheitsbereich an Profil", so Keller. "In jedem Fall kommen auf uns
intensive Gespräche und Auseinandersetzungen zu".
Für Wilhelm Soltau, Präsident der Apothekerkammer Mecklenburg-Vorpommern,
ist der Machtwechsel im Land und auf Bundesebene nicht überraschend. Für die
Apotheker werden sich die Rahmenbedingungen aber nicht verbessern, ist er
überzeugt. Es sei zwar populistisch zu sagen, daß die Zuzahlungen auf Arzneimittel
gesenkt werden. Die SPD sei jedoch bisher die Erklärung schuldig geblieben, wie
sie das finanzieren will. Die von der SPD gewollte Positivliste ist für Soltau kein
Schreckgespenst. Er erwartet von ihr keine Auswirkungen auf den
Apothekenumsatz. Problematisch sei eine solche Liste eher für den Markt und für
die Ärzte im Umgang mit ihren Patienten. Für Mecklenburg-Vorpommern hält der
Kammerpräsident eine Koalition mit PDS-Tolerierung für wahrscheinlich. Und der
Kontakt zum Ministerpräsidenten dürfte auch kein Problem sein. Soltau hatte mit
ihm die Schulbank gedrückt.
Ruth Heintskill, Leiterin des Bonner ABDA-Büros, sieht in der neuen Konstellation
Chancen und Risiken zugleich. Chancen, die pharmazeutische Kompetenz der
Apotheker stärker im Gesamtgefüge zu etablieren. Risiken, weil sie fürchtet, daß die
Leistungserbringer unter der neuen Regierung einen weiteren Beitrag zahlen müssen.
Denn der Spagat zwischen der von der SPD eingeforderten Rückkehr zur
solidarischen Krankenversicherung und der Gewährleistung von Beitragssatzstabilität
einerseits sowie Senkung der Lohnnebenkosten andererseits muß ja finanziert
werden. "Begehrlichkeiten in Bezug auf den Apothekenrabatt sehe ich auf den
Berufsstand zukommen".
Generell sollte es für Lobbyisten möglich sein, mit jeder demokratisch legitimierten
Gruppierung zusammenzuarbeiten, "um in der Sache weiterzukommen". Es werde
auch eine schwierige Situation entstehen, wenn Industrie und Krankenkassen in
Preisverhandlungen eintreten. Das angekündigte Globalbudget werde das
Finanzierungsproblem nicht lösen. Dem konstruktiven Dialog mit den neuen
Verantwortlichen in der Gesundheitspolitik sieht die Bonner Lobbyistin gespannt
entgegen. "Wir treffen nicht auf Unbekannte, aber jetzt stehen die Gespräche
natürlich unter anderen Vorzeichen". Mit Spannung werde auch erwartet, ob der
Bereich der Krankenversicherung künftig ins Arbeitsministerium eingegliedert wird
oder ob er eigenständig im Gesundheitsministerium und damit in Bonn bleibt.
PZ-Artikel von Gisela Stieve, Eschborn
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