Politik
Europa, die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme, der freien Berufe
und des Mittelstandes und die Rentenreform: Themen, die in diesen Tagen
die Bundesbürger mehr als sonst interessieren. Zu den rein
gesundheitspolitischen Fragen der Zeit sprach die Pharmazeutische Zeitung
kürzlich mit Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer.
SPD-Kanzler-Kandidat Gerhard Schröder lehnte selbst ein schriftliches
Interview mit dieser Zeitung ab. Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl dagegen
hatte Zeit, zu den Fragen, auf die Apothekerinnen und Apotheker Antworten
suchen, Stellung zu nehmen.
PZ: Bisher waren sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union darin einig, daß
sowohl das Krankenversicherungs- als auch das Rentenversicherungswesen
aufgrund des sozialen Gefälles in der Union nicht grenzübergreifend geregelt werden
kann. Teilen Sie die Befürchtungen der Apotheker, daß nach einer Harmonisierung
der Systeme die deutschen Krankenkassen künftig auch Leistungen in den
Nachbarländern einkaufen können und werden?
Kohl: In der Europäischen Union besteht ein breiter Konsens darüber, daß eine
Harmonisierung der sozialen Sicherungssysteme angesichts unterschiedlicher
nationaler Traditionen in den Mitgliedstaaten schwer möglich und für das
Funktionieren des gemeinsamen Marktes auch nicht erforderlich ist. Soweit Sie die
jüngsten Urteile des Europäischen Gerichtshofs zur luxemburgischen
Krankenversicherung ansprechen, bin ich der Auffassung, daß natürlich auch die
europäische Waren- und Dienstleistungsfreiheit nicht uneingeschränkt gelten können.
Diese europäischen Grenzfreiheiten haben nach EG-Vertragsrecht zumindest da ihre
Grenzen, wo sie die finanziellen Grundlagen sowie die Steuerungsfähigkeit der
sozialen Sicherungssysteme gefährden. Wir wollen keine über das geltende Recht
hinausgehenden Leistungen der Krankenkassen.
PZ: Herr Bundeskanzler, Sie sind einer der Protagonisten für die Einführung des
Euro. Preistransparenz und erhöhter Wettbewerb haben für die Verbraucher
sicherlich Vorteile. Teilen Sie die Befürchtungen der Apothekerschaft, daß der Euro
im Arzneimittel-Preisbildungssystem in großem Ausmaß zu Preissenkungen führen
könnte? Diese hätten ebenso deutliche Umsatzverluste in den Apotheken und
letztendlich auch Einkommensverluste zur Folge.
Kohl: Die Einführung des Euro ändert nichts an den rechtlichen Rahmenbedingungen
der Preisbildung für Arzneimittel. Die Arzneimittelversorgung ist ein wesentlicher Teil
des Gesundheitswesens. Für dessen Ausgestaltung sind nach dem EG-Vertrag
primär die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zuständig. Dazu gehört
selbstverständlich auch die Festlegung der wirtschaftlichen Spielregeln einer
Arzneimittelpreispolitik. Ein durch den Euro hervorgerufenes Änderungspotential
sehe ich deshalb nicht.
PZ: Die Apotheker gehören den freien Berufen an. Apotheken sind mittelständische
Unternehmen. Sie stehen einer Nachfragemacht der Krankenkassen gegenüber. Hier
lauert Gefahrenpotential, wenn nämlich den Kassen mehr Vertragsfreiheit
zugestanden würde. Genannt seien hier die von der SPD favorisierten
Einkaufsmodelle, die individuelle Preis- und Vertragsverhandlungen ermöglichen.
Welche Maßnahmen werden Sie bei einer Wiederwahl ergreifen, um die Apotheker
als Mittelständler, die immerhin über 120 000 Arbeitsplätze sichern, zu stärken?
Kohl: Die Gesundheitspolitik dieser Bundesregierung ist von jeher auf die
Gleichgewichtigkeit der beteiligten Partner ausgerichtet. Einseitige massive
Gewichtsverlagerungen zugunsten einer Seite wären töricht und trügen nicht zu einer
Verbesserung der medizinischen Versorgung unserer Bevölkerung bei.
Einkaufsmodelle kommen daher für die Union nicht in Betracht. Aus diesem Grunde
wird es auch keine individuellen Preis- und Vertragsverhandlungen zwischen
Krankenkassen und einzelnen Apotheken geben. In diesem Zusammenhang sehe ich
insbesondere das von der Bundesregierung bereits 1989 geschaffene
Festbetragssystem für Arzneimittel als ein bewährtes Instrument zur Preisgestaltung
an. Es bringt in ausgezeichneter Weise die Intensivierung des Preiswettbewerbs für
Arzneimittel mit marktwirtschaftlichen Elementen zum Tragen und beläßt zugleich
erhebliche wirtschaftliche Anreize für die Neuentwicklung von Arzneimitteln. Alles in
allem wird das Festbetragssystem den berechtigten Anliegen aller Beteiligten, also
den Krankenkassen und ihrer Versicherten, den Apothekern und Herstellern in
ausgleichender Weise gerecht. Für die Bundesregierung gilt es daher, ein solch
erfolgreiches Modell durch eine zukunftsorientierte Gesundheitspolitik fortzusetzen.
PZ: Eine Maßnahme zur Mittelstandsförderung wäre eine umfassende Steuerreform.
In der vergangenen Legislaturperiode ist sie am Widerstand der SPD-regierten
Länder gescheitert. Sie haben angekündigt, nach einer Wiederwahl die Steuerreform
erneut anzugehen. Welche Ziele hätte diese Reform dann, um im nächsten deutschen
Bundestag mehrheitsfähig zu sein und die Zustimmung des Bundesrates zu erreichen?
Kohl: Die Ziele unserer großen Steuerreform sind unverändert: niedrige Steuersätze
für alle, Abbau von Steuervergünstigungen und Verwirklichung eines gerechten
Steuersystems. Mit diesen Zielen war unsere Steuerreform im Bundestag
mehrheitsfähig. Die wahltaktisch motivierte Blockade der Mehrheit der
SPD-regierten Länder im Bundesrat hat nur erreicht, daß die dringend notwendige
Reform zur Sicherung der Arbeitsplätze in Deutschland um ein Jahr verzögert wurde.
Eine weitere Blockade können sich weder die Länder noch Deutschland im
internationalen Wettbewerb leisten. Auch die Erfolge in anderen Ländern bestätigen
die Richtigkeit unserer Steuerreformpolitik. Die Beschäftigungserfolge in den USA,
in Großbritannien und in den Niederlanden wären ohne Steuersenkungen nicht
möglich gewesen. Deshalb wollen wir diese Politik mit der großen Steuerreform
konsequent und kontinuierlich fortführen. Unsere große Steuerreform ist solide
finanziert, seriös geplant und sozial gerecht ausgestaltet.
Nach wie vor hat die SPD keine ökonomisch überzeugenden, seriös berechneten
und sozial gerechten Vorschläge für den Abbau von steuerlichen Vergünstigungen
und Ausnahmen vorgelegt. Mit ihrem Finanzierungsvorbehalt werden eventuelle
Entlastungen gleich wieder einkassiert. SPD und Grüne planen zudem die Einführung
von acht neuen Steuern und Abgaben, wie zum Beispiel die Vermögenssteuer, die
Vermögensabgabe, die Devisensteuer, und die drastische Verschärfung von
bestehenden Steuern, wie zum Beispiel die Erbschafts- und Schenkungssteuer,
Gewerbesteuer und Mineralölsteuer.
PZ: Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Bundesbürger hängt auch vom
Wissensstand beziehungsweise vom Bildungsniveau ab. Im internationalen Vergleich
gehört Deutschland allerdings weder in der schulischen noch in der universitären
Bildung zur Elite. Experten fordern eine grundsätzliche Umstrukturierung des
Bildungswesens, auch unter stärkerer Berücksichtigung der Leistungen. Welche
Pläne haben Sie, Herr Bundeskanzler, um über eine Reformierung des
Bildungswesens die deutsche Wissenschaft und Forschung wieder international
wettbewerbsfähig zu machen?
Kohl: Für die CDU ist Bildung das Schlüsselthema für das 21. Jahrhundert. Im
internationalen Wettbewerb kann sich langfristig nur behaupten, wer hervorragend
qualifizierte Arbeitnehmer, eine leistungsfähige Forschung, innovative Unternehmen
mit modernsten Produkten und die Reformbereitschaft aller Bürger vorweisen kann.
Bildung wird immer mehr zur besten Vorsorge gegen Arbeitslosigkeit und zur
unerläßlichen Investition für die Sicherung des Standortes Deutschland.
Unser Land verfügt über eine erstklassige Wissenschaftsstruktur. Wir haben
hervorragende Forscher, exzellente Teams und traditionsreiche
Forschungseinrichtungen. Unsere Forschung kann sich mit ihren Ergebnissen
international sehen lassen.
Die Union will die beste Ausbildung für die Jugend, die besten Schulen,
Universitäten und die beste berufliche Bildung. Wir wollen, daß unsere Jugend eine
erstklassige Ausbildung erhält, mit der sie gegen Konkurrenz aus anderen Ländern
bestehen kann. Wir setzen uns dafür ein, daß das Leistungsvermögen der Schulen in
den einzelnen Bundesländern auf geeignete Art und Weise ermittelt wird, damit die
Vergleichbarkeit von Schulabschlüssen sichergestellt werden kann. In einer
weltoffenen modernen Dienstleistungs- und Industriegesellschaft müssen in Zukunft
wirtschaftliche Zusammenhänge, Fremdsprachen und der Umgang mit den neuen
Medien sehr viel intensiver unterrichtet werden.
Wir werden die Leistungsfähigkeit unserer Hochschulen stärken, indem wir ihre
Flexibilität erhöhen und ihnen mehr Gestaltungsraum einräumen. Hochschulen sollen
eigene Profile entwickeln können und stärker in den Wettbewerb untereinander
treten. Die Finanzierung soll stärker an die Leistungsfähigkeit der Hochschulen
geknüpft werden. Dies schließt nicht nur Forschungsleistungen ein, sondern auch die
Qualität der Lehre und die Zahl der pünktlich zum Examen gelangten Studenten. Der
Start für die Reform der Hochschulen ist das von der Union gegen den Widerstand
der SPD durchgesetzte neue Hochschulrahmengesetz des Bundes.
Die Bundesregierung gibt mit dem Haushalt 1999 ein deutliches Signal: eine halbe
Milliarde DM mehr für Bildung und Forschung. Vor allem drei Bereiche profitieren
von diesem Zuwachs: Hochschulen, Mittelstand und Zukunftstechnologien.
PZ: Noch einmal zur Rentenreform: Die demoskopische Entwicklung der deutschen
Bevölkerung läuft auf eine Überalterung der Gesellschaft und damit auf Engpässe in
der Altersversorgung hinaus. In der vergangenen Legislaturperiode haben Sie mit der
Rentenreform eine Lösung angeboten, die die SPD als Sozialabbau bezeichnet hat.
Sind Sie der Meinung, daß die verabschiedete Rentenreform ausreichen wird, um
auch noch im Jahr 2050 stabile Renten zu garantieren?
Kohl: Für keine Form der Alterssicherung lassen sich fundierte Prognosen über
einen Zeitraum von 50 Jahren erstellen. Für die voraussehbare Entwicklung bis zum
Jahre 2030 sichert die Rentenreform 1999 die Teilhabe der Rentner am steigenden
Lebensstandard bei einer noch vertretbaren Beitragslast der Aktiven.
Eine Rücknahme dieser Reform würde die Zukunft unseres bewährten
Generationenvertrages in Frage stellen. Konsequenz wären steigende Beiträge und
höhere Lohnzusatzkosten. Das wäre eine unverantwortliche Politik zu Lasten unserer
Kinder und Enkel. In der kommenden Legislaturperiode wird es darum gehen,
zusätzlich die private Altersvorsorge zu stärken.
PZ: Herzlichen Dank für dieses Interview!
PZ-Artikel von Hartmut Morck, Bonn
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