Politik
Ein Anstieg chronischer Erkrankungen in der britischen Bevölkerung hat
dazu geführt, daß immer mehr Patienten auf Wiederholungsrezepte
zurückgreifen, um ihren täglichen Bedarf an Medikamenten zu decken. In
einem landesweiten Pilotprojekt untersucht derzeit die National
Pharmaceutical Association (NPA), ob und wie Apotheker dazu beitragen
können, Wiederholungsrezepte kosteneffizienter zu beliefern. Vor allem soll
geklärt werden, ob die Intervention des Apothekers die Doppelverordnung
von Medikamenten und die Verschwendung von Arzneimitteln verhindern
kann.
"Uns geht es darum, festzustellen, ob es durch rechtzeitige Intervention des
Apothekers möglich ist, Doppelverordnungen sowie nicht vom Patienten benötigte
Medikamente zu identifizieren. Sollte das gelingen, würde das deutliche
Einsparungen bei den Verschreibungskosten bringen", sagte NPA-Sprecherin
Georgina Craig. "Wir sind davon überzeugt, daß Interventionen des Apothekers
volkswirtschaftlich sinnvoll sind." Die NPA legt Wert auf die Feststellung, daß "die
Intervention keine pharmakologische Kontrollfunktion über die Verordnung"
darstellt. Britische Ärzteverbände wachen dennoch mit Argusaugen über das auch
im europäischen Ausland auf Interesse stoßende Pilotprojekt.
Apotheken aus den Regionen Sunderland, West Surrey, Shropshire und South
Staffordshire nehmen an der Untersuchung teil. Das britische Gesundheitsministerium
sowie die Universitäten York und Aberdeen (Schottland) arbeiten als
Koordinatoren mit. In jeder der vier Regionen haben Primärärzte des staatlichen
Gesundheitsdienstes (National Health Service, NHS) nach dem Zufallsprinzip
Patienten für die Untersuchung ausgewählt. Der Patient muß einer Teilnahme
schriftlich zustimmen. Als Probanden kommen nur Patienten mit stabilen chronischen
Erkrankungen in Frage.
Die Rezepte des Patienten werden vom verordnenden Hausarzt mit einem roten
Stempel gekennzeichnet, damit der Apotheker ihn als Versuchsteilnehmer erkennen
kann. Alle Apotheker der genannten Regionen wurden auf ihre Rolle vorbereitet.
Reicht der Patient ein rot gestempeltes Rezept ein, muß der Apotheker telefonisch
auf einem automatischen Band seine Offizinadresse und Registrationsnummer
hinterlassen. Die einmalige Meldung genügt, auch wenn mehr Studienpatienten in die
Apotheke kommen.
Keine Verschwendung
Der Apotheker kann auf zweierlei Weise verhindern, daß Arzneimittel verschwendet
werden. Erstens: Bei einer Verordnung über beispielsweise drei Monate entscheidet
er, welche Menge des Arzneimittels er dem Patienten auf einmal mitgibt. Je geringer
die Menge, desto früher muß der Patient wieder in die Apotheke bestellt werden.
Zweitens: Stellt der Apotheker fest, daß der Patient noch eine ausreichende Menge
des verordneten Arzneimittels zu Hause hat, gibt er die verordnete Medikation nicht
ab. Folgende Materialien wurden für die einjährige Untersuchung verteilt:
- dreiteilige, computerlesbare Rezeptformulare. Auf dem zweiten und dritten
Formular ist zusätzlich eine handschriftliche Verordnung möglich (Ärzte sehen
das nicht gerne, da ihrer Meinung nach Patienten anstatt zum Mediziner zum
Apotheker gehen können, sollten sie während der Studie zusätzliche
Pharmaka benötigen.)
- Patientenmedikationskarten, weil für einen bestmöglichen Service dem
beratenden Apotheker die Medikationsgeschichte bekannt sein muß.
- Gemeinsame Arbeitsgruppen Apotheker und Ärzte sollen die Kommunikation
verbessern. Erfahrungen haben laut NPA gezeigt, daß interdisziplinäre
Projekte besser funktionieren, wenn Apotheker und Ärzte eng miteinander in
Kontakt stehen.
- Ein Empfehlungsbogen für den Patienten soll Überweisungen vom Arzt zum
Apotheker oder umgekehrt dokumentieren. Kopien werden beim Aussteller
der Empfehlungen aufbewahrt.
- Fortbildungsveranstaltungen. An der Studie teilnehmende Kollegen wurden
unmittelbar vor Studienbeginn klinisch nachgeschult.
- Ein umfangreiches Paket mit Informationen für die beteiligten Apotheken wird
ständig zum Versand bereitgehalten. Zusätzlich erhält jede Apotheke eine
Zusammenstellung der wichtigsten Interventionsschritte zum internen
Gebrauch.
- Eine Presseinformation soll vor allem Apotheker außerhalb der vier beteiligten
Regionen informieren. Nützlicher Nebeneffekt: Sollte eine nicht an der
Untersuchung teilnehmende Apotheke auf ein rot gestempeltes Rezept stoßen,
weiß der Apotheker, wie er damit umzugehen hat.
Die NPA geht davon aus, daß sich mit Hilfe der Apotheker jährlich
"Millionenbeträge bei den NHS-Arzneimittelkosten sparen ließen. 1997 wurden in
Großbritannien nach offiziellen Angaben insgesamt 577 Millionen Rezepte ausgestellt
und eingelöst. Es gibt keine offiziellen Statistiken, wieviele der 577 Millionen
Rezepte Wiederholungsverschreibungen waren. In Großbritannien entfallen rund
zwölf Prozent der jährlichen Gesundheitsausgaben auf rezeptpflichtige Medikamente.
1997 gab der NHS dafür 5,47 Milliarden Pfund (16,4 Milliarden DM) aus. Mit
einer Vorlage der Studienergebnisse wird Ende 1998 gerechnet.
PZ-Artikel von Arndt Striegler, London
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