Politik
Auf die "besorgniserregende" Finanzlage der Gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) hat der gesundheitspolitische Sprecher der
SPD-Bundestagsfraktion, Klaus Kirschner, jetzt vor Journalisten in Bonn
aufmerksam gemacht. Allein im ersten Halbjahr 1998 belaufe sich das
Defizit auf mehr als 2,4 Milliarden DM. Trotz eines leichten Anstiegs der
Beitragseinnahmen in den alten Bundesländern - bei der AOK um 1,8
Prozent, bei den Angestellten-Krankenkassen um 4,5 Prozent - vergrößere
sich das Defizit nach einer kurzen Beruhigung erneut dramatisch.
Als Grund nannte Kirschner vor allem den Anstieg der Ausgaben für
Krankenhausbehandlung. So seien bei den Ortskrankenkassen in den alten
Bundesländern die Ausgaben um 6,2 und in den neuen Bundesländern um 3,4
Prozent gestiegen. Die Angestelltenkassen verzeichneten einen Ausgabenzuwachs
von 4,5 Prozent in West- und 5,5 Prozent in Ostdeutschland.
Die Einsparungen, die Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer mit seinen
Reformgesetzen erzielt habe, seien als Einmal-Effekte bereits verpufft. Die
Sozialdemokraten setzten sich deshalb für eine Globalbudgetierung der
Gesundheitsausgaben, eine "echte Krankenhausreform" sowie für die Einbeziehung
der 620-DM-Jobs in die Sozialversicherungspflicht ein. Darüber hinaus kündigte
Kirschner die "Rückkehr zu einer solidarischen Krankenversicherung" unter einer
SPD-geführten Bundesregierung an.
Nach einer Umfrage des Polis-Instituts in Nordrhein-Westfalen ist innerhalb der
letzten drei Jahre gerade bei schlechter verdienenden Menschen das Vertrauen in
das Gesundheitswesen untergraben worden. Der Umfrage zufolge waren 1995 von
den un- oder angelernten Arbeitern noch 76 Prozent "zufrieden oder sehr zufrieden"
mit dem Gesundheitswesen. Heute sei dieser Anteil auf 26 Prozent gesunken. Unter
allen Befragten sei die Zufriedenheit mit dem Gesundheitssystem von 71 Prozent
1995 auf heute 41 Prozent zurückgegangen.
Insgesamt gaben 38 Prozent der Befragten an, ihre Haushaltskasse werde durch die
Arzneimittelzuzahlungen spürbar belastet. Vor drei Jahren hatten dies 22 Prozent
angegeben.
Seehofer hat die Kritik der Sozialdemokraten zurückgewiesen. Die von Kirschner
kritisierten hohen Zuzahlungen und Leistungsausgrenzungen gebe es nicht. So lägen
die Zuzahlungen mit einem Anteil von 5 Prozent der GKV-Leistungsausgaben weit
unter dem Durchschnitt der westlichen Industrieländer.
Auch die Stabilität der Beitragssätze sei nicht gefährdet, versicherte Seehofer. Selbst
wenn das Defizit der GKV sich tatsächlich auf über 2 Milliarden DM belaufe -
amtliche Zahlen lägen noch nicht vor -, bedeute dies eine Halbierung des Defizits,
das die GKV in der ersten Hälfte des vergangenen Jahres verzeichnete. Wie schon
in den Vorjahren werde sich der Ausgabenüberhang des ersten Halbjahres bis zum
Jahresende ausgleichen, kündigte er an. Einmalzahlungen wie das 13. Monatsgehalt
sorgten erfahrungsgemäß für einen Einnahmenanstieg der Krankenkassen in der
zweiten Jahreshälfte.
PZ-Artikel von Ulrike Steckkönig, Bonn
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