Politik
Der Entwurf für die neuen Arzneimittel-Richtlinien (AMR) stößt in der
Pharmabranche, bei Selbsthilfegruppen, Berufsverbänden und auch in der
Politik auf immer breitere Kritik. In der vergangenen Woche ist die
Anhörungsfrist zu Ende gegangen. Pharmaverbände sowie Organisationen
der besonderen Therapierichtungen haben ihre Stellungnahmen beim
Bundesausschuß Ärzte und Krankenkassen eingereicht.
Jetzt muß der 21köpfige Ausschuß, in dem Vertreter der Vertragsärzte und der
Gesetzlichen Krankenkassen unter sich sind - allerdings gibt es drei neutrale
Mitglieder -, die Papiere prüfen. Wenn Einwände bei der endgültigen
Richtlinien-Fassung nicht berücksichtigt werden, hat der Bundesausschuß das zu
begründen. Bevor die neuen Richtlinien in Kraft treten, müssen sie vom
Bundesgesundheitsministerium genehmigt werden.
Der Entwurf enthält eine ganze Reihe neuer Verordnungseinschränkungen, etwa bei
Lipidsenkern, Antidementiva, Antidiabetika und Mitteln gegen Prostatahyperplasie.
Ärzte werden zu Erfolgskontrollen, dokumentierten Einzelbegründungen sowie
zusätzlicher Diagnostik verpflichtet.
Bereits in den vorangegangenen Wochen haben der Bundesverband der
Pharmazeutischen Industrie (BPI) und der Bundesfachverband der
Arzneimittel-Hersteller (BAH) massive fachliche und juristische Einwände gegen die
Novelle vorgebracht. Zuletzt hat sich der Verband Forschender
Arzneimittelhersteller (VFA) zu Wort gemeldet. VFA-Hauptgeschäftsführerin
Cornelia Yzer erklärte in Bonn, man erkenne zwar die Bemühungen des
Ausschusses an, den sich wandelnden Anforderungen in der Arzneimittelversorgung
Rechnung zu tragen. Der Entwurf werde diesem Ziel aber nicht gerecht.
Insbesondere kritisiert der VFA, daß künftig Heilversuche auf den individuellen
Einzelfall beschränkt und von einer vorherigen Zustimmung der Krankenkasse
abhängig gemacht werden sollen.
"Medizinisch und ethisch ebenso problematisch" sei "der vollständige Ausschluß der
Erstattungsfähigkeit von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen
Indikationen". Insbesondere in Schwerpunktpraxen - etwa für Aids- und
Krebskranke - komme es häufig vor, daß der Arzt etliche Patienten gleichzeitig
betreue, für die ein derartiger Heilversuch eine letzte Behandlungschance darstelle,
gab Yzer zu bedenken. Der Entwurf erschwere eine Therapie nach den neuesten
wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Die Gesellschaft für Phytotherapie in Köln stellte fest, daß pflanzliche Präparate
überproportional von Verordnungsausschlüssen betroffen seien. Durch die Pläne des
Bundesausschusses werde der im Sozialgesetzbuch niedergelegte Grundsatz
"Arzneimittel der besonderen Therapierichtung sind nicht ausgeschlossen" verletzt.
Am stärksten davon betroffen wären Demenzkranke, Männer mit Prostataleiden,
Leberkranke, Frauen mit Monats- und klimakterischen Beschwerden, an
Venenleiden Erkrankte sowie Patienten, die eine Immunstimulationstherapie
benötigen, befürchtet der Fachverband.
Auch die politische Rückendeckung für den Bundesausschuß und seinen Entwurf
wird schwächer. So warnte der Vorsitzende des
Bundestags-Gesundheitsausschusses, Dr. Dieter Thomae, davor, aus den Richtlinien
eine Arznei-Ausschlußliste zu machen. Jetzt hat Rudolf Dreßler (SPD) zu bedenken
gegeben, der Bundesausschuß habe für die Ausgrenzung von bisher gewährten
Leistungen keinerlei gesetzliche Kompetenz. Und die schleswig-holsteinische
Gesundheitsministerin Heide Moser (SPD) warf dem Bundesausschuß eine
"arzneimittelpolitische Salamitaktik" vor, die "mehr Verunsicherung als sinnvolle
Einsparungen" produziere. Gleichzeitig plädierten Dreßler und Moser allerdings
dafür, den GKV-Leistungskatalog mit Positivlisten gesetzlich zu definieren.
PZ-Artikel von Karl H. Brückner, Bonn
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