Politik
Als "Kampfansage an die Apotheker" werten gesundheitspolitische
Beobachter die jüngsten Forderungen der Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). In ihrem "Deutschlandbericht
1997" verlangen die OECD-Experten, Apothekenketten in der
Bundesrepublik zuzulassen. Die Arzneimittelpreise in Deutschland seien im
internationalen Vergleich immer noch überdurchschnittlich hoch. Einen der
Gründe hierfür stelle offenkundig die "Einzelhandelsstruktur des Marktes"
dar.
Im Gegensatz zu Apothekenketten könne eine Vielzahl einzelner Apotheken keine
Marktmacht gegenüber den Herstellern von Arzneimitteln entwickeln, also nicht die
Einkaufspreise drücken. Preissenkend würde sich nach Ansicht der
OECD-Fachleute auch eine aktive Förderung von Arzneimittel-Parallelimporten
auswirken: Sie lägen im Schnitt um zehn Prozent unter dem Herstellerabgabepreis.
Gesundheitspolitiker der Bonner Regierung haben den OECD-Vorschlägen
mittlerweile eine Absage erteilt.
Es ist schon fast ein Ritual. Alljährlich legt die OECD ihren Deutschlandbericht vor,
diesmal mitten im Bonner Sommerloch. Darin nehmen die Experten der in Paris
beheimateten Organisation - ihr gehören 29 Länder an - stets die aktuelle
konjunkturelle Lage und die wirtschaftspolitschen Aussichten hierzulande unter die
Lupe. Ganz so, wie sie es mit den übrigen 28 Mitgliedsländern der OECD in jedem
Jahr ebenfalls zu tun pflegen.
Angesichts verstärkter Bemühungen der Bonner Koalition, die Ausgabenentwicklung
in der gesetzlichen Krankenversicherung in den Griff zu bekommen, haben sich die
Ökonomen der OECD in diesem Jahr das bundesdeutsche Gesundheitswesen als
Schwerpunktthema auserkoren. Die Analysen und die Schlußfolgerungen der Pariser
Experten lassen an radikaler Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig:
- Der Gesetzgeber müsse wieder Anreize für die Abgabe von Parallelimporten
schaffen, um den Preiswettbewerb auf dem hiesigen Pharmamarkt anzuheizen.
Im vergangenen Jahr habe sich der Anteil der Parallelimporte auf 1,5 Prozent
des Arzneimittelumsatzes der Apotheken summiert; rund 1,7 Prozent der
Ausgaben der Krankenkassen für Medikamente seien auf Parallelimporte
entfallen. Allerdings räumen die OECD-Experten ein, daß trotz der
Streichung der Importförderklausel aus dem SGB V Ende letzten Jahres die
Parallelimporte weiter an Bedeutung gewonnen haben.
- Apothekenketten zögen Preissenkungen nach sich. Sollten Ketten gesetzlich
ermöglicht werden, müsse gleichwohl an der Schlüsselrolle des qualifizierten
Apothekers festgehalten werden".
- Auch mit der Arzneimittelpreisverordnung scheint sich die OECD nicht
anfreunden zu können: Die Einheitspreisregelung für ganz Deutschland müsse
gelockert werden.
Immerhin machen die OECD-Experten auch deutlich, daß sich auf dem Markt der
öffentlichen Apotheken seit mehreren Jahren ein "gewisser Wandel" anbahnt. Die
Apothekerschaft insgesamt habe seit 1993 starke Einnahmeverluste hinnehmen
müssen. Die Möglichkeiten für Pharmazeuten, auf diese für sie negative Entwicklung
reagieren zu können, seien jedoch begrenzt.
Als Indiz für eine sich abzeichnende Umstrukturierung wertet die OECD die
Tatsache, daß die Zahl der öffentlichen Apotheken in den alten Bundesländern seit
1985 nur um drei Prozent zugenommen habe. Gleichzeitig sei jedoch die Zahl der
approbierten Pharmazeuten um 37,5 Prozent gestiegen.
Pharmamarkt wurde ebenfalls analysiert
In ihrer Analyse setzt sich die OECD nicht nur mit den Apotheken auseinander,
sondern auch mit dem Pharmamarkt und dem ärztlichen Verordnungsverhalten
insgesamt. So sei die Zahl der Arzneimittelverschreibungen pro Kopf der
Bevölkerung nach wie vor höher als in zahlreichen anderen OECD-Mitgliedsländern.
Die 1989 eingeführten Festbeträge für Medikamente hätten zwar im europäischen
Vergleich zu einem Rückgang der Arzneimittelpreise geführt. Doch habe die
Einführung der Festbeträge auch einen unverhältnismäßig starken Preisanstieg bei
Präparaten außerhalb des Festbetragsmarktes nach sich gezogen. Gleichzeitig
tendierten die niedergelassenen Mediziner weiterhin dazu, größere
Arzneimittelpackungen als notwendig zu verschreiben.
Die OECD schlägt deshalb vor, ein »neues Diagnosesystem für Ärzte« einzuführen,
das "die Verschreibung der jeweils effizientesten Medikamente gewährleistet".
Dadurch könnten die Verordnungspraktiken der niedergelassenen Mediziner laufend
beobachtet werden.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Ulf Fink hat inzwischen deutlich gemacht, daß er
von Apothekenketten wenig hält. Er stehe derartigen Gebilden »sehr skeptisch
gegenüber«, erklärte der Gesundheitspolitiker und ehemalige Berliner Sozialsenator.
Würde der Gesetzgeber Apothekenketten zulassen, drohe im Arzneimittelbereich
eine ähnliche Entwicklung wie im Einzelhandel: Verlagerung von Standorten auf die
"grüne Wiese", und eine Gefährdung der wohnortnahen Versorgung der
Bevölkerung. Im übrigen handele es sich bei OECD- Berichten häufig um
"Ratschläge von Leuten, die nicht sehr tief im System drin sind."
PZ-Artikel von Hans-Bernhard Henkel, Bonn
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