Politik
Mit allen zur Verfügung stehenden politischen und juristischen Mitteln
will der Bundesfachverband der Arzneimittelhersteller (BAH) gegen den
Entwurf der Arzneimittel-Richtlinien des Bundesausschusses Ärzte und
Krankenkassen vorgehen. Das kündigte BAH-Hauptgeschäftsführer Mark
Seidscheck auf einem Symposion seiner Organisation in Bonn an. Erste
Kontakte mit Politikern ließen bereits jetzt erkennen, daß der Entwurf in
seiner gegenwärtigen Form vermutlich keinen Bestand haben werde.
Der FDP-Parlamentarier Dieter Thomae, Vorsitzender des
Bundestags-Gesundheitsausschusses, machte auf der Veranstaltung aus seinen
Vorbehalten gegen die Intentionen des Bundesausschusses unter Staatssekretär a.
D. Karl Jung keinen Hehl. Keinesfalls dürften sich die Richtlinien zu einem zweiten
Zulassungsverfahren für Medikamente entwickeln. Aus gutem Grund habe die
Regierungskoalition die seinerzeit im Sozialgesetzbuch V enthaltenen Vorschriften
über die Arzneimittel-Positivliste wieder gestrichen.
Die Bonner Regierungskoalition werde sehr genau darauf aufpassen, daß der
empfehlende Charakter der Richtlinie gewahrt bleibe. Es gebe keinen Beweis dafür,
so der liberale Politiker weiter, daß wie auch immer geartete Medikamentenlisten mit
Ausschlußcharakter kostendämpfend wirkten. Nur weil die Auswahl an
verordnungsfähigen Präparaten kleiner werde, gehe damit nicht automatisch ein
Spareffekt einher. Dazu Dieter Thomae: "Es werden dann manchmal lediglich teurere
Medikamente eingenommen."
Thomae warnte davor, verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber den Befugnissen
des Bundesausschusses Ärzte und Krankenkassen einfach vom Tisch zu wischen.
Den definitiven Ausschluß von Arzneimitteln aus der Leistungspflicht der gesetzlichen
Krankenversicherung dürfe sehr wahrscheinlich nur der Gesetzgeber vornehmen.
Das Selbstverwaltungsgremium könne das gesetzlich verankerte
Wirtschaftlichkeitsgebot wohl nur mit Vorgaben empfehlenden Charakters
konkretisieren.
Für den Fall eines Wahlsieges der Regierungskoalition am 27. September kündigte
der Vorsitzende des parlamentarischen Gesundheitsausschusses schon jetzt eine
"intensive Diskussion" zwischen CDU/CSU und FDP darüber an, wie das Gebot
der Wirtschaftlichkeit und der Konzentration auf das medizinisch Notwendige
sinnvollerweise mit dem Grundsatz der Therapiefreiheit zu koppeln sei. Gleichzeitig
gehe es dann auch um die Frage, wer darüber letztlich zu befinden habe.
Der Staatsrechtler Matthias Cornils von der Universität Bonn erneuerte die massiven
verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Vorgehen des Bundesausschusses. Den
Arzneimittel-Richtlinien komme der Charakter einer "untergesetzlichen Norm" zu.
Sie habe "Verbindlichkeitsanspruch" gegenüber verordnenden Vertragsärzten und
Versicherten. Es gebe keine rechtliche Handhabe dafür, daß der Gesetzgeber eine
primär ihm anvertraute Rechtssetzungsaufgabe auf andere staatliche oder gar
außerstaatliche Stellen abwälzen dürfe.
PZ-Artikel von Jürgen Becker, Bonn
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