Politik
Angesichts knapper finanzieller Ressourcen ist für rationale
gesundheitspolitische Entscheidungen eine solide aktuelle Datenbasis
unentbehrlich. Trotz dieser Erkenntnis beklagen Wissenschaftler nach wie
vor, daß bundesweit noch keine fundierte Gesundheitsberichterstattung
existiert. Modellcharakter hat möglicherweise ein jetzt von der Thüringer
Landesregierung zusammengestellter über 320 Seiten starker
Gesundheitsbericht.
Der Bericht gibt Einblick in die Struktur der medizinischen Versorgung und deren
Leistungsfähigkeit, den Gesundheitszustand der Bürger, die Inanspruchnahme von
Leistungen und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Aufwand. Deutlich
werden darin die Fortschritte beim Aufholprozeß im Bereich der medizinischen
Versorgung gegenüber Westdeutschland. So kam 1995 auf 5100 Bürger eine
öffentliche Apotheke. Unmittelbar nach der deutschen Einheit war das Verhältnis
noch 7330 zu l. Ein niedergelassener Vertragsarzt betreut durchschnittlich 833
Bürger. Mit einem Mediziner auf 929 Einwohner fällt das Zahlenverhältnis im
Durchschnitt der übrigen neuen Länder wesentlich ungünstiger aus. Mit einem
Vertragszahnarzt je 1340 Einwohner weist Thüringen sogar die höchste
Zahnarztdichte im gesamten Bundesgebiet auf. Die 63 Krankenhäuser des Landes
verfügten zum Jahresende 1994 über 19.282 Betten. Mit einer Quote von 76,4
Klinikbetten je 10.000 Einwohner besitzt der Freistaat den höchsten stationären
Versorgungsgrad aller neuen Länder.
Nachholbedarf bei Großgeräten
Bei der Ausstattung mit medizinisch-technischen Großgeräten ist das westdeutsche
Niveau noch längst nicht erreicht. Aber einen Vergleich mit den übrigen neuen
Ländern braucht Thüringen nicht zu scheuen: Bei Computertomographien entfällt ein
Gerät auf durchschnittlich 76.000 Einwohner. Im Durchschnitt der übrigen vier
ostdeutschen Länder beträgt das Verhältis 1:81 000, in Westdeutschland 1:61 000.
Aus dem Report gehen im Vergleich zu den alten Ländern gravierende Unterschiede
beim Krankenversicherungsschutz der Thüringer Bürger hervor. Ende 1994
gehörten 54,8 Prozent der Allgemeinen Ortskrankenkasse an. Der Vergleichswert
für Hessen fällt mit 43,4 Prozent deutlich niedriger aus. Einer Betriebskrankenkasse
gehörten nur 5,9 Prozent der thüringischen Versicherten, aber immerhin 13,8
Prozent ihrer hessischen Nachbarn an. Verfügten im Bundesdurchschnitt 10,8
Prozent der Bevölkerung über eine private Krankenversicherung, so waren es in
Thüringen nur 1,9 Prozent.
Zum medizinischen Check-up gehen nur wenig Versicherte
Ist die Inanspruchnahme des medizinischen Check-up durch gesetzlich
Krankenversicherte ein Indikator für gesundheitsbewußtes Verhalten, dann ist es
darum weiterhin nicht gut bestellt. Nur rund 25 Prozent der Anspruchsberechtigten,
so ermittelten die Erfurter Statistiker, machten von dem Angebot Gebrauch. Kaum
günstiger die Situation bei der Krebsfrüherkennung. Nur 27,4 Prozent der
weiblichen Anspruchsberechtigten nahm diese Leistung wahr. Mit 9,2 Prozent fiel
das Interesse bei männlichen Versicherten noch geringer aus. Positiv dagegen mit
rund 89 Prozent die Teilnahmequote an der Kinder-Untersuchung U3.
Auf dem Rückzug befindet sich in Thüringen die Tuberkulose. Mit 9,9 gemeldeten
Neuerkrankungen je 100.000 Einwohner wies der Freistaat im Berichtszeitraum die
niedrigste Inzidenzrate aller Bundesländer auf. Bei den infektiösen
Durchfallerkrankungen rangierten Salmonellen mit einem Anteil von 67 Prozent
weiterhin an der Spitze. Rückläufig schließlich seit 1992 die Zahl der landesweit
HIV-sero-positiv erfaßten Laborfälle. Sie sank binnen vier Jahren von elf auf fünf.
Im ganzen Land wurde 1994 nur ein zusätzlicher Aids-Patient registriert.
Rund ein Prozent der Thüringer zwischen dem 35. und 40. Lebensjahr leidet an
Diabetes mellitus. Die Quote erhöht sich kontinuierlich mit zunehmendem Alter. Bei
den über 70jährigen sind bereits bis zu 20 Prozent der Bevölkerung betroffen.
PZ-Artikel von Jürgen Becker, Bonn
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