Politik
"Der Apotheker
hat mit dem Arzneimittel absolut nichts mehr zu tun.
Deshalb wollen wir auch die Leistung nicht mehr
bezahlen", sagte Dr. Gerhard Schulte von der BKK
Bayern. Bei der Forum-Veranstaltung am 4. Juli in Bad
Soden stellte Schulte nahezu das gesamte geltende System
der Arzneimitteldistribution in Frage. Die relativ engen
Grenzen des Systems müßten aufgebrochen werden.
Schulte nannte die Arzneimittelpreisverordnung
ein ungeeignetes System der Preisfindung. Das Argument
der Mischkalkulation ließ er nicht gelten. Bei den
Apothekern gehe es vorrangig um die Handelsleistung, die
honoriert werden müsse, nicht um die Beratung. In vielen
Fällen berate der Apotheker gar nicht, werde aber
aufgrund des System dennoch dafür honoriert. Beratung
solle nur bezahlt werden, wenn sie tatsächlich
stattgefunden hat.
Zu einer Strukturreform der Arzneimitteldistribution
gehören nach Schultes Darstellung auch die Aufhebung des
Fremd- und Mehrbesitzverbotes und eine Staffelung des
Kassenrabatts nach Umsatzgrößen oder nach der Art der
Apotheke: Einzelhandelsapotheken erhalten einem
BKK-Papier zufolge dann einen Rabattsatz von fünf
Prozent, Kettenapotheken von 13,8 Prozent und
Versandapotheken von 22,8 Prozent. Überhaupt könnten 25
Prozent des Arzneimittelumsatzes auch über den direkten
Weg des Arztes gesteuert werden. "Arbeitsplätze zu
sichern, ist aber nicht unser Job", so der BKK-Mann.
In knapp zwei Monaten wird die BKK Bayern als erste
Krankenkasse Deutschlands Strukturverträge abschließen,
kündigte Schulte an. Im gleichen Zuge soll auch die
Arzneimittelversorgung gestrafft werden, soll heißen: zu
allererst sollen "unnötige Verordnungen"
unterbunden werden. Nach Schultes Worten könnten auch
die Wettbewerbsschranken völlig abgebaut werden. Als
exotisches Beispiel nannte er die Marktentwicklung im
hochpreisigen Bereich. Hier könne auf die Beratung des
Apothekers verzichtet werden, weshalb sich hier ein
Versandhandel anbiete. Denkbar sei für ihn auch, den
Versandhandel aus dem Ausland anzukurbeln, um dann die
deutschen Vorschriften vom Europäischen Gerichtshof
abklopfen zu lassen.
Rechtsanwalt Dr. Fritz Oesterle, bekannter Verfechter
einer weitergefaßten Werbefreiheit für Apotheker, hielt
Schultes Vorstellungen für gefährlich. Er forderte ihn
auf, den Versicherten offen und ehrlich zu sagen, daß
die Betriebskrankenkassen auf lange Sicht die Apotheken
abschaffen wollen. Es sei nicht fair, auf Umwegen und
verdeckt zu argumentieren.
Oesterle: "Werbung und Heilberuf sind
vereinbar"
Werbung kann Bewußtsein und Überzeugung
schaffen, meint Oesterle. Er plädierte dafür, daß
Apotheker für das werben dürfen, was sie von anderen
Vertriebswegen unterscheidet: Beratung und
pharmazeutische Dienstleistung. Für ihn sei der
Apotheker das Paradebeispiel dafür, daß Werbung und
freier Heilberuf vereinbar sind. Schließlich sei auch
Anwaltwerbung zulässig, wenn sie sachlich ist.
Dr. Johannes Pieck, Sprecher der ABDA-Geschäftsführung,
stellte klar, daß die Substanz einer Apotheke im
Vordergrund stehen müsse, erst dann könne man über das
Image reden Das Selbstverständnis der überwiegenden
Mehrheit der Apotheker, einen Heilberuf auszuüben, und
nicht bloß Arzneimittelkaufmann zu sein, gelte
weiterhin. Es sei darüber hinaus ein
gesundheitspolitisches Postulat, das sich konsequent aus
dem System des geltenden Arzneimittelrechts ableiten
läßt.
Zum Versandhandel gab Pieck erneut zu bedenken, daß die
Wertschöpfung der Apotheken an den Gesamtausgaben der
gesetzlichen Krankenversicherung gerade 2,9 Prozent
beträgt. Auch ein Vergleich der Apothekenhandelsspannen
in Europa könne nicht den Eindruck vermitteln, daß hier
mit anderen Vertriebsformen viel zu sparen sei. Ohne den
gesetzlichen Abschlag von fünf Prozent auf den
Apothekenabgabepreis liegt die Apothekenhandelsspanne an
siebter Stelle, unter Berücksichtigung des Abschlags an
vorletzter Stelle.
Großhandel: Distribution ist mehr als ausliefern
Auch der Pharmagroßhandel lehnt jede Form von
Versandhandel mit Arzneimitteln wegen mangelnder
Arzneimittelsicherheit ab. "Distribution ist mehr
als ausliefern", erklärte Dr. Jürgen Brink,
Vorstandsvorsitzender der Sanacorp, und verwies auf die
Betriebsordnung des Pharmagroßhandels. Sie enthalte
genaue Vorschriften zu Transport und Lagerung,
Dokumentation, Kühlkette, Auslieferung und Übergabe
sowie dem Rückruf- und Rücknahmeprozedere. Die
eingebauten Kontrollsysteme machten den deutschen
Pharmagroßhandel führend. Versandhandel würde das
System verteuern, ist sich Brink sicher, weil kein
Auslieferer bei gleicher Qualität günstiger und ebenso
zuverlässig liefern könne. Außerdem könnte der
Großhandel sein optimiertes Preis-Leistungs-Verhältnis
nicht mehr halten. Es handele sich ausschließlich um
Rosinenpickerei, die die Mischkalkulation, auf dessen
Grundlage auch der Pharmagroßhandel arbeitet, aus dem
Gleichgewicht brächte.
PZ-Artikel von Gisela Stieve, Bad Soden
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