Wir lehnen Aut idem grundsätzlich ab |
03.06.2002 00:00 Uhr |
Interview
Um das Verhältnis zwischen Industrie und Apotheker stand es in den vergangenen Monaten nicht zum Besten. Der Grund war die Diskussion um Aut idem. Auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) und sein damaliger Chef Hans Sendler hatte die Apotheker hart angegriffen. Seit Anfang April leitet Henning Fahrenkamp den Verband.
PZ: Warum wehrt sich die Industrie
so heftig gegen Aut idem?
Fahrenkamp: Wir waren überrascht, dass Aut idem plötzlich ein
Thema war. Für uns kam es wie aus heiterem Himmel. Sie spielen sicher auf
die Aussage an, dass die Apotheker angeblich nicht in der Lage seien, Aut
idem richtig umzusetzen.
So isoliert gesehen ist der Vorwurf, der Apotheker sei mit Aut idem
überfordert, natürlich Unsinn. Die Industrie und übrigens auch die
Ärzte wollten aber ganz deutlich machen, dass Apotheker nicht
substituieren können, wenn sie die Indikation nicht kennen.
PZ: Wenn der Arzt Zweifel hat, kann
er Aut idem doch ausschließen.
Fahrenkamp: Das konnten wir zu Beginn nicht absehen. Zuerst waren
sehr viel weitreichendere Regelungen in der Diskussion. Außerdem ist zu
erwarten, dass der häufige Ausschluss von Aut idem Kriterium für eine
Wirtschaftlichkeits- oder Auffälligkeitsprüfung wird. Für Ärzte ist es
deshalb grundsätzlich bequemer, Aut idem jetzt zuzulassen. Aber es geht
auch nicht allein um das Problem mit der fehlenden Indikation. Es gibt
Arzneimittelgruppen, bei denen Aut idem aus unserer Sicht grundsätzlich
nicht möglich ist. Zum Beispiel bei Phythopharmaka. Hier ist der Extrakt
der Wirkstoff und die Extrakte können sich erheblich unterscheiden . Eine
Substitution, wie sie sich Gesundheitsministerin Ulla Schmidt vorstellt,
ist deshalb hier nicht möglich. Ähnliches gilt für Dermatika.
PZ: Ist es nicht inkonsequent, sich
bei der Zulassung auf die Monographie zu beziehen, hinterher aber zu
sagen, alle Präparate sind unterschiedlich.
Fahrenkamp: Entscheidend ist, dass in der Zulassung das Prinzip
"essentially similar" herrscht. Von einer Gleichheit kann damit
nicht ausgegangen werden. Das SGB V sieht nun eben nicht "Aut simile"
sondern "Aut idem" vor. Ein weiterer Punkt, der für alle
Arzneimittel gilt, sind unterschiedliche Hilfsstoffe und
Unverträglichkeiten bei den Patienten.
PZ: Wird dieser Aspekt nicht von
den Ärzten und der Industrie hochgespielt. Welcher Arzt kennt schon die
Hilfsstoffe in einem Präparat? Wenn er sie kennt und eine Allergie
vorliegt, kann er Aut idem ja ausschließen.
Fahrenkamp: Wenn ein Arzt seinen Patienten auf ein Präparat
eingestellt hat und der Patient verträgt es, dann sollte der Arzt ohne
sich später dafür rechtfertigen zu müssen dabei bleiben dürfen.
Außerdem kann ich die Apotheker nicht verstehen, warum sie sich über
eine Aut-idem-Regelung freuen, bei der ihnen der Gesetzgeber als einziges
Auswahlkriterium den Preis einräumt. Die Begeisterung der Apotheker für
Aut idem und ihr Kampf dafür beruhten doch auf der Erwartung, dass
pharmazeutische Aspekte im Zentrum ihrer Entscheidung stehen werden. Doch
diese spielen keine Rolle.
PZ: Das ist ein Problem. Auf der
anderen Seite war die Regelung aber ein Weg, bei Aut idem die Tür langsam
zu öffnen. Aber mal konkret, dem BPI geht es mit seiner Kritik doch vor
allem darum, die Abwärtsspirale zu verhindern, die durch die
vierteljährliche Anpassung der Preislinien entstehen könnte.
Fahrenkamp: Natürlich sind auch die ökonomischen Interessen neben
den Patienteninteressen der zweite Hauptgrund, warum wir Aut idem
ablehnen. Wir vertreten die legitimen Interessen unserer Mitglieder. Es
geht um die Existenz mittelständischer Arzneimittelfirmen und damit um
Arbeitsplätze. Die Regelung ist für uns eine Todesspirale nach unten.
PZ: Lehnt der BPI denn Aut idem
grundsätzlich ab oder nur die jetzt beschlossene Variante?
Fahrenkamp: Wir lehnen es grundsätzlich ab. Aut idem ist immer ein
massiver Eingriff in den Wettbewerb. Es würde den Konzentrationsprozess
in der Pharmazeutischen Industrie beschleunigen und zu einem ruinösen
Wettbewerb und einer Oligopolbildung führen. Eine Aut-idem-Regelung kann
per se nicht gut gemacht sein. Die Trennung der Aufgaben zwischen Ärzten
und Apothekern, so wie sie zurzeit ist, ist sinnvoll.
PZ: War denn die aggressive
Strategie gegen die Apotheker bei Aut idem richtig? Schließlich haben
Industrie und Apotheker doch in vielen Punkten dieselben Interessen.
Fahrenkamp: Eine solche Strategie gab es von unserer Seite aus
nicht, wohl aber eine harte, kontroverse Diskussion, die in verschiedenen
Tonlagen geführt wurde. Ich selbst verfahre nach dem Motto: Fortiter in
re, suaviter in modo. Aber noch einmal: An einer Regelung wie Aut idem
gibt es nichts zu beschönigen. Die Verbandsvertreter der Apotheker
standen mit ihrer Zustimmung ja auch allein auf weiter Flur. Ärzte,
Verbraucherschützer, Pharmakologen und Pharmaindustrie lehnten und lehnen
weiter die Regelung ab.
PZ: Wobei es natürlich auch
Pharmakologen und Ärzte gibt, die Aut idem grundsätzlich für sinnvoll
halten. Ein anderes Thema: Wie stehen sie denn zum Versandhandel?
Fahrenkamp: In der Form, wie er jetzt geplant ist, lehne ich ihn
ab. Mir ist da zu viel Aktionismus im Spiel Man muss vor allem eines
sicherstellen: Der Patient muss flächendeckend, zeitnah und mit der
dazugehörigen Beratung mit Arzneimitteln versorgt werden.
PZ: Das sagt Ulla Schmidt auch.
Fahrenkamp: Frau Schmidt sagt auch, der Pharmazeutische Mittelstand
sei wichtig und gräbt ihm gleichzeitig immer mehr das Wasser ab.
PZ: Mir ist immer noch nicht klar,
welche Position der BPI zum Versandhandel hat. Am Runden Tisch hat die
Industrie für die Einführung gestimmt. Einige Tage später hat der BPI
in einer Pressemeldung die Empfehlung als Fehler bezeichnet.
Fahrenkamp: Der BPI hat am Runden Tisch keineswegs für die
Einführung gestimmt, sondern deutlich gemacht, welche Voraussetzungen
erfüllt sein müssen, um überhaupt über die Einführung des
Versandhandels entscheiden zu können. So steht es auch im
Empfehlungspapier der Arbeitsgruppe Arzneimittel des Rundes Tisches. Wir
hatten die Empfehlung in unserer Pressemeldung deshalb auch keineswegs als
Fehler bezeichnet.
PZ: Anschließend haben aber am 22.
April die Industrievertreter vom Generikaverband und dem VFA auch im Namen
der anderen Pharmaverbände der Empfehlung, den Versandhandel unter
bestimmten Bedingungen einzuführen, zugestimmt.
Fahrenkamp: Unsere Position ist klar: In der jetzigen Situation
kommt ein Versandhandel für uns nicht in Frage. Solange
Arzneimittelmarkt- und -vertrieb in Europa nicht harmonisiert sind, kann
Versand kein Thema sein.
PZ: Vorausgesetz es gäbe eine
europäische Harmonisierung. Könnten Sie sich dann den Versandhandel
vorstellen?
Fahrenkamp: Dann wird man nicht umhin können, sorgfältig darüber
nachzudenken. Aber immer unter der Maßgabe, dass die
Arzneimittesicherheit und die Beratung gewährleistet sein müssen.
PZ: Als Unternehmer müssen Sie
sich doch Gedanken über den Vertrieb ihrer Produkte machen. Das ist
ökonomisch unerlässlich.
Fahrenkamp: Natürlich, aber das Thema ist für einen Schnellschuss
zu wichtig und zu komplex.
PZ: Die ABDA schlägt eine
Veränderung der Arzneimittelpreisverordnung vor, um die Rosinenpickerei
der Versandhändler zu verhindern. Dann würden teuere Arzneimittel
preiswerter und im Gegenzug preiswerte etwas teurer. Wie steht der BPI
dazu?
Fahrenkamp: Das ist ein Punkt, über den Apotheker und Industrie
gemeinsam diskutieren sollten.
Ich persönlich glaube aber nicht, dass eine Drehung der
Arzneimittelpreisverordnung den Apothekern hier wirklich weiter hilft. Man
wird über die nicht immer transparente Einkaufspolitik der
Versandhändler reden müssen. Fakt ist aber, dass ein europäischer
Versandhandel - und nur der ist möglich - die Arzneimittelpreisverordnung
generell zur Disposition stellen würde.
PZ: Trotzdem würde eine Drehung
der Preisspannen der Apotheke helfen und den Bereich vergrößern, in dem
sie vom Preis her konkurrenzfähig ist.
Fahrenkamp: Durch eine Drehung würden wir die Produkte verteuern,
die der Patient selbst bezahlen muss. Dadurch würde im OTC-Bereich die
Schere größer zwischen den Arzneimittelpreisen in der Apotheke und dem
Drogeriemarkt.
PZ: Das sind doch unterschiedliche
Präparate. Freiverkäufliche Arzneimittel unterliegen nicht der
Arzneimittelpreisverordnung.
Fahrenkamp: Das können viele Patienten nicht unterscheiden.
Johanniskraut ist für viele Johanniskraut, egal ob es aus der Apotheke
oder dem Drogeriemarkt kommt. Eine Drehung könnte den Trend, Arzneimittel
außerhalb der Apotheke zu kaufen, verstärken. Dies schadet der Industrie
und das schadet auch den Apothekern.
PZ: Apropos Schaden. Der BPI klagt
über die schlechte wirtschaftliche Situation der Unternehmen. Geht es
Ihnen wirklich so schlecht?
Fahrenkamp: Die mittelständischen Unternehmen haben große
Probleme. Die Gesetzesnovellen von FBAG bis AABG, die Negativliste, die
Diskussion um die Positivliste und die Probleme bei der Nachzulassung
belasten die Pharmafirmen erheblich.
PZ: Wie passt das mit den
steigenden Umsatzzahlen der Branche zusammen?
Fahrenkamp: Sie müssen die Branche differenziert betrachten und
schauen, wo die Zuwächse herkommen: Das ist fast ausschließlich die so
genannte Strukturkomponente. Von dem Anstieg profitieren vor allem die
Unternehmen, die patentgeschützte Präparate im hochpreisigen Bereich
anbieten. Am Mittelstand geht der Zuwachs vorbei.
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