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Wir lehnen Aut idem grundsätzlich ab

03.06.2002  00:00 Uhr

Interview

Wir lehnen Aut idem grundsätzlich ab

von Thomas Bellartz und Daniel Rücker, Berlin

Um das Verhältnis zwischen Industrie und Apotheker stand es in den vergangenen Monaten nicht zum Besten. Der Grund war die Diskussion um Aut idem. Auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) und sein damaliger Chef Hans Sendler hatte die Apotheker hart angegriffen. Seit Anfang April leitet Henning Fahrenkamp den Verband.

PZ: Warum wehrt sich die Industrie so heftig gegen Aut idem?
Fahrenkamp: Wir waren überrascht, dass Aut idem plötzlich ein Thema war. Für uns kam es wie aus heiterem Himmel. Sie spielen sicher auf die Aussage an, dass die Apotheker angeblich nicht in der Lage seien, Aut idem richtig umzusetzen.
So isoliert gesehen ist der Vorwurf, der Apotheker sei mit Aut idem überfordert, natürlich Unsinn. Die Industrie und übrigens auch die Ärzte wollten aber ganz deutlich machen, dass Apotheker nicht substituieren können, wenn sie die Indikation nicht kennen.

PZ: Wenn der Arzt Zweifel hat, kann er Aut idem doch ausschließen.
Fahrenkamp: Das konnten wir zu Beginn nicht absehen. Zuerst waren sehr viel weitreichendere Regelungen in der Diskussion. Außerdem ist zu erwarten, dass der häufige Ausschluss von Aut idem Kriterium für eine Wirtschaftlichkeits- oder Auffälligkeitsprüfung wird. Für Ärzte ist es deshalb grundsätzlich bequemer, Aut idem jetzt zuzulassen. Aber es geht auch nicht allein um das Problem mit der fehlenden Indikation. Es gibt Arzneimittelgruppen, bei denen Aut idem aus unserer Sicht grundsätzlich nicht möglich ist. Zum Beispiel bei Phythopharmaka. Hier ist der Extrakt der Wirkstoff und die Extrakte können sich erheblich unterscheiden . Eine Substitution, wie sie sich Gesundheitsministerin Ulla Schmidt vorstellt, ist deshalb hier nicht möglich. Ähnliches gilt für Dermatika.

PZ: Ist es nicht inkonsequent, sich bei der Zulassung auf die Monographie zu beziehen, hinterher aber zu sagen, alle Präparate sind unterschiedlich.
Fahrenkamp: Entscheidend ist, dass in der Zulassung das Prinzip "essentially similar" herrscht. Von einer Gleichheit kann damit nicht ausgegangen werden. Das SGB V sieht nun eben nicht "Aut simile" sondern "Aut idem" vor. Ein weiterer Punkt, der für alle Arzneimittel gilt, sind unterschiedliche Hilfsstoffe und Unverträglichkeiten bei den Patienten.

PZ: Wird dieser Aspekt nicht von den Ärzten und der Industrie hochgespielt. Welcher Arzt kennt schon die Hilfsstoffe in einem Präparat? Wenn er sie kennt und eine Allergie vorliegt, kann er Aut idem ja ausschließen.
Fahrenkamp: Wenn ein Arzt seinen Patienten auf ein Präparat eingestellt hat und der Patient verträgt es, dann sollte der Arzt ohne sich später dafür rechtfertigen zu müssen dabei bleiben dürfen.
Außerdem kann ich die Apotheker nicht verstehen, warum sie sich über eine Aut-idem-Regelung freuen, bei der ihnen der Gesetzgeber als einziges Auswahlkriterium den Preis einräumt. Die Begeisterung der Apotheker für Aut idem und ihr Kampf dafür beruhten doch auf der Erwartung, dass pharmazeutische Aspekte im Zentrum ihrer Entscheidung stehen werden. Doch diese spielen keine Rolle.

PZ: Das ist ein Problem. Auf der anderen Seite war die Regelung aber ein Weg, bei Aut idem die Tür langsam zu öffnen. Aber mal konkret, dem BPI geht es mit seiner Kritik doch vor allem darum, die Abwärtsspirale zu verhindern, die durch die vierteljährliche Anpassung der Preislinien entstehen könnte.
Fahrenkamp: Natürlich sind auch die ökonomischen Interessen neben den Patienteninteressen der zweite Hauptgrund, warum wir Aut idem ablehnen. Wir vertreten die legitimen Interessen unserer Mitglieder. Es geht um die Existenz mittelständischer Arzneimittelfirmen und damit um Arbeitsplätze. Die Regelung ist für uns eine Todesspirale nach unten.

PZ: Lehnt der BPI denn Aut idem grundsätzlich ab oder nur die jetzt beschlossene Variante?
Fahrenkamp: Wir lehnen es grundsätzlich ab. Aut idem ist immer ein massiver Eingriff in den Wettbewerb. Es würde den Konzentrationsprozess in der Pharmazeutischen Industrie beschleunigen und zu einem ruinösen Wettbewerb und einer Oligopolbildung führen. Eine Aut-idem-Regelung kann per se nicht gut gemacht sein. Die Trennung der Aufgaben zwischen Ärzten und Apothekern, so wie sie zurzeit ist, ist sinnvoll.

PZ: War denn die aggressive Strategie gegen die Apotheker bei Aut idem richtig? Schließlich haben Industrie und Apotheker doch in vielen Punkten dieselben Interessen.
Fahrenkamp: Eine solche Strategie gab es von unserer Seite aus nicht, wohl aber eine harte, kontroverse Diskussion, die in verschiedenen Tonlagen geführt wurde. Ich selbst verfahre nach dem Motto: Fortiter in re, suaviter in modo. Aber noch einmal: An einer Regelung wie Aut idem gibt es nichts zu beschönigen. Die Verbandsvertreter der Apotheker standen mit ihrer Zustimmung ja auch allein auf weiter Flur. Ärzte, Verbraucherschützer, Pharmakologen und Pharmaindustrie lehnten und lehnen weiter die Regelung ab.

PZ: Wobei es natürlich auch Pharmakologen und Ärzte gibt, die Aut idem grundsätzlich für sinnvoll halten. Ein anderes Thema: Wie stehen sie denn zum Versandhandel?
Fahrenkamp: In der Form, wie er jetzt geplant ist, lehne ich ihn ab. Mir ist da zu viel Aktionismus im Spiel Man muss vor allem eines sicherstellen: Der Patient muss flächendeckend, zeitnah und mit der dazugehörigen Beratung mit Arzneimitteln versorgt werden.

PZ: Das sagt Ulla Schmidt auch.
Fahrenkamp: Frau Schmidt sagt auch, der Pharmazeutische Mittelstand sei wichtig und gräbt ihm gleichzeitig immer mehr das Wasser ab.

PZ: Mir ist immer noch nicht klar, welche Position der BPI zum Versandhandel hat. Am Runden Tisch hat die Industrie für die Einführung gestimmt. Einige Tage später hat der BPI in einer Pressemeldung die Empfehlung als Fehler bezeichnet.
Fahrenkamp: Der BPI hat am Runden Tisch keineswegs für die Einführung gestimmt, sondern deutlich gemacht, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um überhaupt über die Einführung des Versandhandels entscheiden zu können. So steht es auch im Empfehlungspapier der Arbeitsgruppe Arzneimittel des Rundes Tisches. Wir hatten die Empfehlung in unserer Pressemeldung deshalb auch keineswegs als Fehler bezeichnet.

PZ: Anschließend haben aber am 22. April die Industrievertreter vom Generikaverband und dem VFA auch im Namen der anderen Pharmaverbände der Empfehlung, den Versandhandel unter bestimmten Bedingungen einzuführen, zugestimmt.
Fahrenkamp: Unsere Position ist klar: In der jetzigen Situation kommt ein Versandhandel für uns nicht in Frage. Solange Arzneimittelmarkt- und -vertrieb in Europa nicht harmonisiert sind, kann Versand kein Thema sein.

PZ: Vorausgesetz es gäbe eine europäische Harmonisierung. Könnten Sie sich dann den Versandhandel vorstellen?
Fahrenkamp: Dann wird man nicht umhin können, sorgfältig darüber nachzudenken. Aber immer unter der Maßgabe, dass die Arzneimittesicherheit und die Beratung gewährleistet sein müssen.

PZ: Als Unternehmer müssen Sie sich doch Gedanken über den Vertrieb ihrer Produkte machen. Das ist ökonomisch unerlässlich.
Fahrenkamp: Natürlich, aber das Thema ist für einen Schnellschuss zu wichtig und zu komplex.

PZ: Die ABDA schlägt eine Veränderung der Arzneimittelpreisverordnung vor, um die Rosinenpickerei der Versandhändler zu verhindern. Dann würden teuere Arzneimittel preiswerter und im Gegenzug preiswerte etwas teurer. Wie steht der BPI dazu?
Fahrenkamp: Das ist ein Punkt, über den Apotheker und Industrie gemeinsam diskutieren sollten.
Ich persönlich glaube aber nicht, dass eine Drehung der Arzneimittelpreisverordnung den Apothekern hier wirklich weiter hilft. Man wird über die nicht immer transparente Einkaufspolitik der Versandhändler reden müssen. Fakt ist aber, dass ein europäischer Versandhandel - und nur der ist möglich - die Arzneimittelpreisverordnung generell zur Disposition stellen würde.

PZ: Trotzdem würde eine Drehung der Preisspannen der Apotheke helfen und den Bereich vergrößern, in dem sie vom Preis her konkurrenzfähig ist.
Fahrenkamp: Durch eine Drehung würden wir die Produkte verteuern, die der Patient selbst bezahlen muss. Dadurch würde im OTC-Bereich die Schere größer zwischen den Arzneimittelpreisen in der Apotheke und dem Drogeriemarkt.

PZ: Das sind doch unterschiedliche Präparate. Freiverkäufliche Arzneimittel unterliegen nicht der Arzneimittelpreisverordnung.
Fahrenkamp: Das können viele Patienten nicht unterscheiden. Johanniskraut ist für viele Johanniskraut, egal ob es aus der Apotheke oder dem Drogeriemarkt kommt. Eine Drehung könnte den Trend, Arzneimittel außerhalb der Apotheke zu kaufen, verstärken. Dies schadet der Industrie und das schadet auch den Apothekern.

PZ: Apropos Schaden. Der BPI klagt über die schlechte wirtschaftliche Situation der Unternehmen. Geht es Ihnen wirklich so schlecht?
Fahrenkamp: Die mittelständischen Unternehmen haben große Probleme. Die Gesetzesnovellen von FBAG bis AABG, die Negativliste, die Diskussion um die Positivliste und die Probleme bei der Nachzulassung belasten die Pharmafirmen erheblich.

PZ: Wie passt das mit den steigenden Umsatzzahlen der Branche zusammen?
Fahrenkamp: Sie müssen die Branche differenziert betrachten und schauen, wo die Zuwächse herkommen: Das ist fast ausschließlich die so genannte Strukturkomponente. Von dem Anstieg profitieren vor allem die Unternehmen, die patentgeschützte Präparate im hochpreisigen Bereich anbieten. Am Mittelstand geht der Zuwachs vorbei. Top

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