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Selbstmedikation auf dem Weg ins neueJahrtausend

25.05.1998  00:00 Uhr

- Politik

Govi-Verlag

Selbstmedikation auf dem Weg ins neue Jahrtausend

Selbstmedikation ist ein nutzbringendes Instrument für den einzelnen und die Gesellschaft. Sie ist immer eine individuelle Entscheidung, wirkt sich aber auf viele unterschiedliche Ebenen aus. Mit diesen Gedanken eröffnete Hugues Lanrezac, Präsident der AESGP (Association Européenne des Specialistes Pharmaceutique Grand Public), die 34. Jahrestagung des Verbandes in Athen. Der Europäische Fachverband der Arzneimittel-Hersteller widmete sich in diesem Jahr der Frage, welchen Mehrwert die Selbstmedikation für das Gesundheitssystem bereits hat und bis zur Jahrtausendwende noch entwickeln kann. Die Glaubhaftigkeit des Apothekers als Berater und Gesundheitsmanager ist dabei unbestritten.

Dimitrios Marinopoulos, Vorsitzender des griechischen Fachverbandes, wies auf die großen Veränderungen hin, die auf Europa zukommen: Der Arzneimittelmarkt werde sich vor allem unter der gemeinschaftsweiten Währung stark verändern. Insofern werden nach seinen Worten die Vorträge und Diskussionen der 550 Teilnehmer dazu beitragen, den Kurs für das nächste Jahrtausend abzustecken. Mit der Ankoppelung der mittel- und osteuropäischen Staaten an die Marktentwicklung und die Harmonisierung der Rahmenbedingungen für pflanzliche Arzneimittel beschäftigten sich zwei Workshops während der dreitägigen Versammlung.

Dr. Hubertus Cranz, Direktor der AESGP, stellte im Gespräch mit der PZ heraus, wie wichtig dem europäischen Verband der OTC-Hersteller die Zusammenarbeit mit den Apothekern ist. Die Mündigkeit der Verbraucher und Patienten sei allerdings je nach Mitgliedsland verschieden und dürfe nicht unterschätzt werden. In den hochentwickelten Ländern sollten die Pharmazeuten daher ihre "Beschützerrolle" nicht übertreiben. Die Entwicklung der Selbstmedikation in Europa - Cranz überblickt in seiner Funktion die vergangenen zehn Jahre - wäre ohne die kooperative Verantwortung der Apotheker nicht so beispielhaft verlaufen.

Bangemann: EU muß sich der Marktwirtschaft öffnen

"Die Europäische Union hat einen Vorteil", sagte EU-Kommissar Dr. Martin Bangemann, der traditionsgemäß zur Eröffnung der Jahrestagung nach Athen kam. "Wir können voneinander lernen." Er befürchtet nicht, daß Europa gegenüber anderen Wettbewerbern zurückfällt. Die Wettbewerbsfähigkeit hänge schließlich nicht nur von der Industrie, sondern auch von den politischen Systemen ab. Der Europäische Rat müsse darauf achten, daß Europa weiter auf dem eingeschlagenen Weg in die Marktwirtschaft bleibe. Bangemann zeigte sich zufrieden mit den Industriestrukturen in Europa, weil es hier keine nennenswerten Konzentrationen gebe.

Dennoch werden die Anforderungen an die Handelsstrukturen wachsen. Das hätten jedoch viele Marktbeteiligte noch nicht begriffen. "Die Apotheker geben sich der Illusion hin, daß die Welt noch so ist wie vor 250 Jahren", so Bangemann deutlich pointierter als noch im vergangenen Jahr. Mit dem Internet komme eine Revolution auf den Berufsstand zu, die nicht mehr zu bremsen sei. Der EU-Kommissar riet, diesen Prozeß mitzugestalten. Denn wer Bestehendes nur erhalten und Neues verhindern wolle, stärke lediglich andere Kräfte und überlasse ihnen das Feld.

Einen großen Erfolg in Sachen Zulassung und Klassifizierung sieht Bangemann in der europäischen Arzneimittelagentur EMEA in London. "Das ist einzigartig in der Welt, obwohl es noch Binnenmarkt-Hürden gibt." Mit einem europäischen Sozialsystem würde sich die Union allerdings überheben, ist er überzeugt. Es gebe Probleme, die besser auf nationaler Ebene gelöst werden. Es werde aber auch EU-weite Gemeinsamkeiten geben. Damit kam Bangemann auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 28. April 1998 zu sprechen.

Für den EU-Kommissar ist unstrittig, daß das Urteil des EuGH für alle Gesundheitsprodukte sowie für ärztliche Leistungen gilt und nicht nur für Brillen und kieferorthopädische Behandlungen. Wenn man den Wettbewerb nicht nutzt, gehe ein wesentliches Einsparpotential verloren. Ihm sei nicht bekannt, daß jemand schlechte Erfahrungen mit der Marktwirtschaft gemacht habe. Im Gegenteil: Ein funktionierender Markt mit Informationen, Transparenz und Preiswettbewerb führe zu Preiskonvergenz. Preiskontrollen würden überflüssig und geben zudem Raum für Innovationen.

"Verbot von Teleshopping ist inzwischen überholt"

Electronic commerce kommt und ist nicht mehr aufzuhalten. Im Jahr 2010 werden nach Bangemanns Einschätzung 20 Prozent des Umsatzes über den elektronischen Einkaufsweg abgewickelt. Die Kommission habe sich den Forderungen der Interessenverbände zu schnell gebeugt und Teleshopping zum Beispiel für Arzneimittel verneint. "Das halte ich inzwischen für überholt", sagte Bangemann, da der Binnenmarkt nur ein Teil des globalen Marktes sei. "Wenn wir uns selbst die Hände binden, stärken wir andere Märkte." Das sei die falsche Art, seine Interessen zu vertreten. Für Arzneimittel konzediert Bangemann Beschränkungen für den Bezug via Internet jedenfalls dort, wo von Arzneimitteln schädigende Wirkungen ausgehen könnten.

Ein Szenario, das für Bangemann vorstellbar ist: Eine Apotheke vergrößert ihr Geschäft, indem sie als Service anbietet, Arzneimittel über Internet zu bestellen. Eine Smart-Card gibt dem Apotheker den genauen Stand der Medikation an. "Wenn ich Apotheker wäre, würde ich überlegen, welche Chancen mir das neue Medium eröffnet." Die Deutschen hätten zu seinem Bedauern aber verlernt, Chancen zu erkennen. Sie sehen immer nur die Risiken, die mit neuen Entwicklungen verbunden sind.

Ein Wunschkind lehrt die Eltern das Fürchten

"Europa ist ein Wunschkind der europäischen Mitgliedsländer." Mit diesem Vergleich beschrieb Bangemann die Situation der Mitgliedsländer in der Gemeinschaft. Jetzt, da das Kind erwachsen wird, scheinen die Eltern voller Angst vor der Zukunft zu sein. Anstatt das Kind in das Leben zu entlassen, fühlten sie sich von seiner Selbständigkeit bedroht. Ja, sie glaubten sogar, das gemeinsame Haus verlassen zu müssen. So würde auch im Leben eine Familie nicht funktionieren.

PZ-Artikel von Gisela Stieve, Athen Top

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