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KBV will dem Druck der Kassen nicht nachgeben

18.05.1998  00:00 Uhr

- Politik

Govi-Verlag

KBV will dem Druck der Kassen
nicht nachgeben

Dr. Winfried Schorre, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), ging mit den Krankenkassen hart ins Gericht. Auf der Vertreterversammlung am 18. Mai in Köln warf er ihnen vor, sich als Partner in der gemeinsamen Selbstverwaltung "eine Kampagne gegen das Image der Ärzte" zu leisten, gleichzeitig aber ihren gesetzlichen Pflichten in der gemeinsamen Selbstverwaltung nicht nachzukommen. An die Kassenärzteschaft appellierte Schorre, die innerärztlichen Probleme zu lösen und sich weder von äußeren Machtgelüsten noch von internen Interessen auseinanderdividieren zu lassen.

Die Vertragsärzte fühlen sich nach den Worten ihres Vorsitzenden von vielen Seiten unter Druck gesetzt. Die Regierung werfe ihnen vor, die Instrumente des 2. NOG nicht zu nutzen: Wiedereinführung der sektoralen Ausgabenbudgets für die ambulante vertragsärztliche Versorgung, teilweise Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante fachärztliche Versorgung, Abschlüsse von Einzelverträgen unterhalb der Ebene des Kollektivvertrages oder die Neustrukturierung der kassenärztlichen Selbstverwaltung.

Als "empörend" bezeichnete Schorre das Verhalten der Spitzenverbände der Krankenkassen. Sie bezichtigten ganze Arztgruppen des Millionenbetruges. Sie würden aus Gewinnsucht gefährliche Methoden am Patienten anwenden. Deshalb hätten die Krankenversicherer eine Kassenpolizei angekündigt, "die endlich Ordnung schaffen soll bei den Kassenärzten". Schorre vermutet, daß die Kassen im Wahlkampf mehr an der Demontierung des ärztlichen Images in der Öffentlichkeit interessiert sei als an einer gestaltenden Kooperation mit den KVen.

Man müsse sich fragen, warum die Krankenkassen die Selbstverwaltung ad absurdum führen. "Sie spekulieren ganz eindeutig auf einen Regierungswechsel im September in der Hoffnung auf die Rücknahme der Reformansätze im 2. NOG durch die SPD und damit auf eine Stärkung ihrer Machtposition gegenüber den Vertragsärzten." Erst dann wollten die offensichtlich aus der Rolle des "payers" in die des "players" wechseln. "Dieses Ziel verfolgen sie jedenfalls und stellen sich damit für die Vergangenheit und die Gegenwart ein Armutszeugnis aus", so der KBV-Vorsitzende. Er forderte die Kassen auf, nicht auf den Ausgang der nächsten Bundestagswahl zu schielen, sondern jetzt mit den Kassenärzten gemeinsam das Gestaltungspotential des 2. NOG zu nutzen, um die erwiesenermaßen leistungsfähigen Strukturen der ambulanten Versorgung zu erhalten und auszubauen.

Keine Gefahr durch EuGH-Urteil

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur Freizügigkeit der Patienten in Europa wird nach Schorres Auffassung unmittelbar keine Bedeutung für die vertragsärztliche Tätigkeit haben. Einen Patientenexodus in andere Länder werde es wegen der hohen Qualität der Versorgung nicht geben - wohl aber Einkauf von Medizinalprodukten als Ausdruck des europäischen Wettbewerbs.

Politisches Eckpunktepapier

Ein Schwerpunkt der Beratungen war die Fortschreibung des Eckpunktepapiers, das die KBV zuletzt 1994 aufgelegt hatte. Die Aktualisierung berücksichtige die zwischenzeitlichen Entwicklungen sowie die durch die steigende Arbeitslosigkeit wachsenden Finanzierungsprobleme der GKV.

Das Papier enthält neben zahlreichen unbestritten gültigen Aussagen - "Der Patient steht im Mittelpunkt des Gesundheitswesens mit seinem Anspruch auf eine notwendige, ausreichende und wirtschaftliche Versorgung, freie Arztwahl, ..." - eine Klarstellung zum Leistungsumfang der GKV. Dies erfordere vor allem der wachsende Bedarf in der Arzneimittel- und Heilmittelversorgung. Daneben seien die Grundlagen der Wirtschaftlichkeitsprüfung mit dem Ziel neu zu ordnen, das Morbiditätsrisiko wieder ausschließlich in die Verantwortung der hierfür zuständigen Krankenversicherung anzusiedeln.

Der KBV-Vorsitzende zitierte im Laufe seines Berichtes zur Lage schließlich 24 Leitsätze, die eine Art Kondensat des Eckpunktepapiers darstellen sollten. Diese Leitsätze lagen dem Plenum als Leitantrag des KBV-Vorstandes zur Abstimmung vor. "Bei Annahme des Beschlußantrages kann dann wohl davon ausgegangen werden, daß Sie dem wesentlichen Inhalt der Eckpunkte zustimmen", sagte Schorre. Für Verwirrung sorgte bei Verbändevertretern und Beobachtern die Tatsache, daß das Kapitel IX des Eckpunktepapiers "Arznei- und Heilmittelversorgung" in den Leitsätzen keine Erwähnung mehr fand. Hierin wird ein Dispensierrecht für Ärzte durch die Hintertür gefordert. Wie aus KBV-Kreisen am Rande der Vertreterversammlung zu hören war, solle man sich an dem ersten Satz des Leitantrages orientieren, der lautet: "Die Vertreterversammlung wird um Zustimmung zu den von der KBV vorgeschlagenen Leitsätzen des Eckpunktepapiers gebeten". Damit seien also die Leitsätze, nicht aber das Eckpunktepapier verabschiedet worden. Sicherlich bestehe in diesem Bereich nachträglich Interpretationsbedarf, da auch einzelne Kapitelüberschriften der Eckpunkte und der Leitsätze voneinander abweichen.

Dr. Rainer Hess, Hauptgeschäftsführer der KBV, erklärte auf einer Pressekonferenz in betonter Kürze, daß das Eckpunktepapier ein Hintergrundpapier sei. Es gehe lediglich um Arzneimittel, die zum Beispiel im Rahmen der Diagnosestellung in der Praxis am Patienten angewendet würden. Kleine Mengen - "zwei bis drei Tabletten" - könnten allerdings auch mitgegeben werden. Das sollte von den Apothekern nicht bestritten werden.

Flexible Vertragsstrukturen

Schorre stellte zwei Probleme heraus, die die Krankenkassen bei der Schaffung vernetzter Strukturen zu lösen hätten: Sie müßten endlich die notwendigen Daten liefern, damit Einsparungen in anderen Leistungsbereichen feststellbar sind und der Grundsatz "Das Geld folgt der Leistung" sinnvoll realisiert werden kann. Außerdem müßten die Kassen die Idee aufgeben, daß jede Kasse ihre eigenes Netz mit eigenem Profil verwirklichen können soll. Dies würde zu einer Zersplitterung des Gesundheitswesens führen, "die wir uns im Interesse unserer Patienten so nicht leisten können". Einkaufsmodelle der Kostenträger lehnt die KBV einhellig ab.

Spaltungstendenzen

Vor innerärztlichen Spaltungstendenzen warnte Schorre seine Kollegen. Der Konkurrenzkampf unter den Niedergelassenen habe sich in den meisten KVen in die Facharztgruppe verlagert. Bei der Vorbereitung des zukünftigen EBM (Einheitlicher Bewertungsmaßstab), der neben einem neuen Vergütungssystem für Laborleistungen auf der Tagesordnung stand, gebe es häufig Kollisionen zwischen KBV und Verbänden. Der KBV-Chef appellierte an den BDA (Hausärzteverband), Pläne eines Primärarztsystems und einer eigenen Hausarzt-KV nicht weiter zu verfolgen. Wer in diesen krisenhaften Zeiten die KV als Träger des Kollektivvertragssystems spalten oder auflösen will, beraube sich selber der Schutzfunktion gegenüber den Kassen, stärke deren Machthunger und beseitige den einzigen Garanten einer qualitätsgesicherten flächendeckenden Versorgung. eine Abschaffung der KVen bedeute den Zusammenbruch eines potenten Solidarsystems mit allen Konsequenzen für die Selbstverwaltung, für Patienten uns Ärzte.

Das Gegeneinander in der innerärztlichen Auseinandersetzung hat laut Schorre Formen angenommen, die nicht mehr tolerabel sind. Sie reichen von gezielter Fehlinformation über Mißbrauch insbesondere der Printmedien, um eigene Interessen durchzusetzen, bis zur Denunziation und Diffamierung. Selbst vor anonymen Anzeigen gegen Kollegen werde nicht mehr halt gemacht. "Kehren wir zurück zu einem akzeptablen Stil der Auseinandersetzung".

PZ-Artikel von Gisela Stieve, Köln Top

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